LOVE YOUR NEIGHBOUR. David Togni
Wenn ich heute auf City-Trips gehe, habe ich immer einen Koffer mit T-Shirts, Mützen oder anderen Produkten dabei, die ich Bedürftigen auf der Straße schenke. Dabei ist mir wichtig, dass ich immer neue Kleider verschenke. Keine gebrauchten Sachen, aber auch keine alten Kleider. Wenn ich etwas gebe, soll es das Beste sein. Das ist mein Prinzip. Immer wieder überwältigt es mich zu erleben, was da passiert, wie Herzen berührt werden und sich öffnen! Ich bin überzeugt davon, dass Jesus auf jedem Herzen sitzt. Wenn man einen Menschen liebt – wenn man großzügig ist, ihm Wertschätzung schenkt oder ihm aus heiterem Himmel für etwas dankt –, öffnet sich das Herz und Jesus, also die Liebe, plumpst hinein. So simpel. Ja, es ist so simpel bei Gott. Weil ich so unendlich geliebt bin von Gott, kann ich andere lieben. Dann kann ich getrost aufhören, Menschen bekehren zu wollen. Das geht sowieso nicht. Gott sei Dank brauche ich niemanden zu überzeugen. Denn mein Auftrag und der von allen Christen ist es einfach nur, Menschen zu lieben. Wir sind Träger von Gottes Liebe. Durch die T-Shirts wird diese Botschaft doppelt transportiert. Im Verschenken und mit der Message.
Einmal als ich wieder in London war, lief ich zur Underground-Station. Dort am Eingang saß ein Obdachloser mit einem Hut vor sich. Als ich mich zu ihm hockte, fragte ich ihn, ob er ein neues T-Shirt möchte mit einer Botschaft drauf. Sein Gesicht hellte sich auf: „Yes, sure!“ Wir kamen ins Gespräch und ich erfuhr, dass er Peter hieß. Schließlich erklärte ich ihm, dass ich Klamotten mache und was es mit LOVE YOUR NEIGHBOUR auf sich hat. Dann begann er mir von seinem Leben zu erzählen. Mit erstaunlich emotionsloser Stimme berichtete er von all den harten Umständen und Schicksalsschlägen, die er erlitten hatte. Schweigend saß ich neben ihm und hörte ihm erschüttert zu. Meinen Arm hatte ich um seine Schulter gelegt. Nachdem er fertig war, blickte ich ihm in die Augen und sagte ihm, dass Gott ihn unendlich liebt und ihm alles geschenkt hat. Verwundert schaute er mich an, während ich redete. Seine feuchten Augen verrieten mir: Jesus war gerade in sein Herz geplumpst. „Darf ich für dich beten, Peter?“, fragte ich. Er stimmte zu und ich betete. Schließlich entschied sich Peter, sein Leben Gott anzuvertrauen, diesem Gott, der ihm so viel geschenkt hatte.
Am nächsten Tag war ich wieder in dieser Gegend unterwegs. Als ich die belebte Straße entlanglief, hörte ich plötzlich jemanden rufen: „David, David – how are you?“ Es war Peter. Fröhlich rannte er mir entgegen und umarmte mich fest. Tiefe Freude durchflutete mich. Ihn wiederzusehen und hier in dieser riesigen Metropole ein bekanntes Gesicht zu treffen, dessen Geschichte ich sogar kannte, war wunderbar. So zogen wir zusammen los zu einem China-Imbiss und kauften uns etwas zu essen. „Kann ich noch etwas für dich tun? Brauchst du noch etwas?“, fragte ich ihn, als wir satt wieder vor die Tür traten. „Oder kann ich noch einmal für dich beten?“ Seine Antwort haute mich total um: „Nein, David. Ich weiß jetzt, dass der Himmel über mir offen ist. Jetzt bete ich für dich.“ Da stand ich, mitten auf der Straße im hektischen London, und Tränen liefen mir übers Gesicht, während Peter für mich betete.
Neben Wundern und bewegenden Begegnungen mit Menschen passierten auch Wunder mit dem Modelabel selbst. Kurz nachdem die erste Kollektion raus war, bekam LOVE YOUR NEIGHBOUR mächtig Aufwind durch eine Aktion, die ich mir kaum hätte erträumen können. Aus Spaß machte ich bei einem Wettbewerb mit, den mir Tete, ein Freund meines Bruders, empfohlen hatte. Bei diesem Contest ging es darum, dass ausgewählte junge Schweizer Modemacher während der Fashion Days in Zürich eine Plattform erhielten, um sich und ihre Kollektion vorzustellen. Von der Jury erhielt ich eine völlig begeisterte Rückmeldung: „So ein cooles Konzept haben wir noch nie gesehen, wir spüren, das ist etwas anderes!“ Bääääm! Und so gewann ich den Wettbewerb und durfte mit drei anderen Jungdesignern am Züricher Flughafen beim Suisse Design Markt ein Wochenende lang ausstellen. Das war so ein Geschenk, ich war überwältigt!
In der Woche vor dem Design Markt schrieb mich eine junge Frau, die ich gar nicht kannte, über Facebook an und bot mir ihre Hilfe am Ausstellungsstand an. Sie hieß Jael und wollte am Sonntagnachmittag, nach dem Gottesdienst, beim Verkauf helfen. Als ich nach dem Mittagessen zum Stand zurückschlenderte, erwartete mich da eine fröhliche, charmante Frau, die eifrig verkaufte – Jael. Mit den anderen Ausstellern hatte sie sich schon bekannt gemacht und half mir dann den ganzen Tag lang. Wir hatten tolle Gespräche in den Pausen und ich war fasziniert von ihrem Helferherz. Wie sie ganz praktisch Nächstenliebe lebt, passte zum Spirit von LYN.
Nach den Fashion Days bekam ich zunehmend Bestellungen aus dem Ausland. Die Shirts waren in alle Welt mitgenommen worden und zogen nun ihre Kreise. Auch die sozialen Netzwerke taten das Ihre dazu, dass LOVE YOUR NEIGHBOUR immer bekannter wurde. Da die Botschaft und der Name des Labels identisch sind, läuft die Werbung beim Shirt ja direkt mit.
Ein finanzielles Wunder erlebte ich mit meinen 3 800 Franken Startkapital. Das war das Geld, das ich von meinem Gesparten so loseisen konnte, dass ich selbst noch etwas zum Leben hatte. Das fühlte sich an wie Lossegeln aus dem sicheren Hafen, ohne dass das Ziel oder die andere Küste in Sicht waren. Aber das Risiko wollte ich eingehen. Wer nicht lossegelt, kommt auch nirgends an. Am Anfang von LYN hatte ich Gott gefragt, wie lange ich ohne Einkommen aus dem Label auskommen würde, denn bis heute verdiene ich selbst nichts daran. Deutlich hörte ich, wie Gott mir sagte: bis Februar 2015 – das waren also knapp zwei Jahre. Darauf lebte ich vertrauensvoll zu, auch wenn mir manchmal mulmig zumute war. Im Grunde wusste ich ja auch nicht, was nach Februar 2015 kommen würde. Das hatte Gott mir nicht gesagt. Monat für Monat sah ich, wie mein Gespartes zusammenschmolz. Gelegentlich erhielt ich noch Aufträge aus meiner früheren Arbeit in der Finanzbranche, durch die ich hier und da etwas nebenbei verdiente. Doch irgendwann wurde es knapp. Schließlich verkaufte ich meine geliebte Breitling-Uhr und meinen Audi R8, auf die ich lange gespart hatte. Doch das Geld wurde trotzdem immer weniger.
Durch einen „Zufall“ traf ich wenige Wochen vor Ablauf meiner „Frist“ einen ehemaligen Kollegen aus meiner Finanzzeit. Beiläufig fragte er: „Sag mal, David, hast du noch Kontakte? Mein Team und ich sind seit Längerem nicht mehr glücklich in unserer Branche. Kannst du uns nicht als gut eingespielte Mannschaft empfehlen?“ Kurzerhand rief ich meinen früheren Chef an und vermittelte das komplette Team von zehn Mann. Alle zusammen packten sie ihre Sachen und wechselten Schlag auf Schlag. Durch die Vermittlung erhielt ich jeweils einen Anteil vom Gewinn, den das Team erwirtschaftete. So hatte ich punktgenau seit dem 1. März 2015 ein monatliches Passiveinkommen. Und konnte mich erst mal voll und ganz auf LOVE YOUR NEIGHBOUR konzentrieren. Mittlerweile läuft dieser Deal nicht mehr und so bin ich immer wieder abhängig, was die Zukunft bringen wird. Doch erst kürzlich ging wieder eine anonyme Spende über 10 000 Franken auf mein Konto ein. Unglaublich, oder?
Es flasht mich ständig zu sehen, was Gott macht, wie er das Label und mich versorgt und welche Wunder geschehen. Auch dass Gott sich ausgerechnet mich dazu ausgesucht hat, haut mich immer wieder um. In meinem Leben habe ich so viel Negatives erlebt, ich bin durch viele verletzende Erfahrungen mit Menschen und Untreue in Beziehungen gegangen, habe extreme körperliche Schmerzen und existenzielle Verluste erlitten. Ja, ich hätte allen Grund, bitter und verurteilend zu sein, und es hätte auch nicht viel gefehlt, dass ich abgestumpft wäre und den Kopf in den Sand gesteckt hätte. Aber das wäre zu einfach gewesen. Tatsächlich haben all die negativen Dinge das Gegenteil bewirkt: Sie haben mich stärker und fester werden lassen in meinen Überzeugungen und auch die Liebe in mir hat Gott wachsen lassen.
Krisen können in Bitterkeit führen oder stärker machen. Das Geheimnis dahinter (und hinter so vielen anderen wichtigen Dingen im Leben) ist, welche Entscheidung ich treffe. In diesen Erfahrungen habe ich für mich den Entschluss gefasst, dass ich immer, wenn sich zwei Wege vor mir auftun, den schweren nehmen will. Denn ich vertraue darauf und habe es erlebt, dass ich an den Herausforderungen wachse, dass sie meinen Charakter positiv formen. Wenn ich dazu bereit bin. Das ist absolut kein Spaß, aber am Ende ist es besser. Vor allem für die Menschen in meinem Umfeld ist es ein Segen, weil ich geschliffen wurde. Schon lange geht es in meinem Leben nicht mehr um mich. Gott sei Dank. And that's the point.
Doch an diesen Punkt zu kommen, hat mich viel gekostet. Den Weg dorthin hätte ich mir im Leben nicht selbst ausgesucht. Oft war er extrem hart und steinig oder überstieg meine Kraft …