LOVE YOUR NEIGHBOUR. David Togni
und Schildkröten umsiedeln. Das war jedes Mal eine riesige Gaudi, wie wir hoch konzentriert am Beckenrand standen und versuchten, mit bloßen Händen diese glitschigen Fischlein zu fangen. Ständig flutschten sie uns durch die Finger und platschten zurück ins Wasser. Bald erfüllte schallendes Lachen den Empfangsbereich und wir trieften von Kopf bis Fuß.
Das Hotel, unsere Dachterrasse und der Unterricht mit Cécile, über den Dächern von La Mata und mit der Brandung im Ohr, ist mir wie ein heiliger Ort in Erinnerung. Wenn ich daran denke, habe ich gleich wieder den Geruch in der Nase. Er ist mit Worten kaum zu beschreiben – es ist ein Duft von Frieden, von Harmonie, wie ein Stück Himmel.
Als wir aus Spanien wieder zurück in die Schweiz kamen, zogen wir an den absolut herrlichsten Ort meiner Kindheit – den Bauernhof von Familie Schacher. Insgesamt zehn Jahre lang wohnten wir als Mieter bei ihnen. Bea und Sepp Schacher hatten vier Kinder: Stefan, der Älteste, dann noch Sandra, Patrizia und Rolfi. Rolfi war so alt wie ich und vom ersten Moment an waren wir ganz dicke Freunde. Fast jede freie Minute verbrachten wir zusammen im Stall, bei den Hühnern, Schweinen, Kühen oder Hasen. Schon ganz früh morgens vor der Schule gingen wir zu den Tieren. Auf dem Hof, der im dunstigen Morgengrauen ganz verlassen dalag, regte sich kaum etwas. Mit vereinten Kräften schoben Rolfi und ich die quietschende Tür zum Stall auf, wo uns der vertraute würzig-warme Duft empfing. Leise muhten die dampfenden Rinder, wedelten peitschend ihren Schwanz durch die Luft und schmatzten wiederkäuend vor sich hin. Wir hörten die Melkmaschinen surren, die der Knecht oder auch Sepp schon angeschlossen hatten, und fingen an die Tiere zu füttern. Bald glühten unsere Köpfe vor Leidenschaft.
Oft verloren wir dabei die Zeit völlig aus den Augen. „Schon halb acht! Schnell, Rolfi, ab zum Frühstück!“, rief ich und wie der Blitz rannten wir in unsere Wohnungen, um uns umzuziehen und hastig noch ein Brot zu essen. Mama verdrehte lachend die Augen, wenn ich in die Küche kam: „David, du stinkst nach Mist! Mit so einer Stallfahne kannst du doch nicht in die Klasse gehen!“ Kurz entschlossen steckte sie mich unter die Dusche und machte mit dem strengen Kuhduft kurzen Prozess.
Der Hof von Schachers lag auf einem Hügel etwas außerhalb von Inwil, einem kleinen Bauerndorf in der Nähe von Luzern. Unten im alten Bauernhaus wohnte Familie Schacher, darüber die Großmutter und ganz oben wir. Unsere Wohnung war herrlich lichtdurchflutet und die einzelnen Zimmer mit alten, von Holz eingerahmten Glastüren miteinander verbunden. Nachts hörten wir das Geraschel von Mäusen in den Vorratskammern. Einmal fingen wir die Katzen auf dem Hof und sperrten sie in die Kammern, damit sie die Mäuse fingen. Als wir nach einigen Stunden langsam die Tür wieder öffneten und nach unseren Jägern mit ihrer Beute sehen wollten, saßen da nur zwei verstörte Katzen, die uns mit großen Augen ansahen. Ans Mäusefangen hatten sie im Traum nicht gedacht.
Gegenüber vom Bauernhaus standen große hölzerne Bienenstöcke, um die herum immer ein geschäftig summender Betrieb herrschte. Rechts neben dem Haus gab es einen herrlich angelegten riesigen Garten mit einem kleinen Teich und einer schönen Sitzecke. Viele laue Sommerabende haben unsere Familien dort zusammen verbracht, beim Grillen draußen oder einem Glas Wein für die Großen. Wir Kinder spielten auf der Wiese Karten oder flitzten mit unseren Rädern oder Rollerblades um die Ställe und Garagen – umgeben von Summen, Muhen und dem Duft von frisch gemähtem Gras. Hinter dem Bauernhaus lag meine glückliche Abenteuerwelt – der Stall mit den Kühen und Hasen samt Heuboden, das Hühnergehege, der Schweinestall, die Garagen mit dem Traktor und dahinter die weiten Felder.
Den Tag, an dem ich endlich zum ersten Mal selbst Traktor fahren durfte, erwartete ich voller Ungeduld. Rolfi und ich hockten oft am Feldrand und schauten Sepp sehnsüchtig dabei zu, wie er den großen Schlepper lenkte. Manchmal durften wir auch mitfahren und saßen dann neben Sepp in der heiligen Fahrerkabine. Endlich war er dann da, der schönste Tag überhaupt. Ich war zehn, als Sepp uns verkündete, wir dürften jetzt Traktorfahren lernen. Natürlich schien die Sonne – in meiner Erinnerung war auf dem Bauernhof immer gutes Wetter. Vor Übermut jubelnd stürzten Rolfi und ich in die Fahrerkabine des Treckers. Zuerst durfte natürlich Rolfi, der Bauernsohn. Ich saß nebendran und versuchte meine Beine still zu halten, so kribbelten sie. Endlich war ich dran und wir wechselten. Zuerst nahm mich Sepp auf den Schoß, ich hielt das Lenkrad unter Kontrolle und durfte die Schaltung bedienen, die an einem langen Stab bis neben den Fahrersitz emporragte. Sepp betätigte das Gaspedal und rief mir durch den Motorenlärm zu, wann ich schalten musste. Der Traktor machte einen Ruck, knatterte laut und wir fuhren! Es war ein herrliches Gefühl. Als ich genug Übung hatte mit dem Rhythmus von Schalten, Kuppeln und Gasgeben, durfte ich auch selber ans Gaspedal und konnte (mit Sepp nebendran und natürlich nur auf dem Hofgelände) ganz allein Traktor fahren! Nur zum Kuppeln musste ich immer aufstehen, weil meine Beine noch nicht lang genug waren. An diesem Tag waren Rolfi und ich Helden.
Von jetzt an gehörte es zu unserer wichtigen Mission, jeden Abend das Wasserfass für die Kühe mit dem Traktor zu holen. Wer von uns beiden gerade nicht am Steuer saß, setzte sich auf die Mitfahrerbank und drehte das Radio auf, das in der Kabine angebracht war. Mit den aktuellen Schlagern im Ohr knatterten wir überglücklich über den Hof. Auch wenn Rolfi und ich sonst immer ein Herz und eine Seele waren, kannten wir beide nichts, wenn es darum ging, wer dran war mit dem Wasserfass. Da gab es heftige Streitereien, aber wir vertrugen uns auch ganz schnell wieder. Damals wussten wir ganz genau, wie unsere Zukunft aussehen sollte: Wenn wir groß sind, werden wir Bauern und übernehmen gemeinsam den Hof! Ja, so sollte das ganze Leben weitergehen!
Früh durfte ich auch eigene Tiere halten. Mit neun Jahren besaß ich Zwerghühner, deren Eier ich natürlich verkaufte. Alfred und Beatrice aus der Kirchengemeinde waren meine treuesten Abnehmer. Immer sonntags, wenn meine Eltern das Auto vor der Kirche geparkt hatten, raste ich voller Stolz mit meiner Ware los. Hatte ich Alfred gefunden, streckte ich ihm freudestrahlend meine Hand mit der Eierschachtel hin und nahm glücklich das Geld entgegen.
Einmal an Weihnachten ging dann mein größter Kinderwunsch in Erfüllung: Amy. Bereits um den vierten Advent herum hatte ich den Verdacht, dass es dieses Jahr an Heiligabend so weit sein würde. Durch die Glastür zum Wohnzimmer hatte ich nämlich heimlich beobachtet, wie Papa eine große Holzkiste hereingetragen hatte. Als ich am 24. Dezember dann vor dem Weihnachtsbaum mit den Geschenken stand, wusste ich es ganz sicher. Aus der Holzkiste waren kratzende Geräusche zu hören, etwas wetzte ganz aufgeregt darin hin und her. Als ich sie überglücklich öffnete, war da ein kleines rosa Ding mit einer riesigen grünen Schleife um den Bauch, die beinahe größer war als das Tier selbst: Ich hatte ein Schwein geschenkt bekommen! Endlich, endlich, mein eigenes Schwein! Zu der Zeit war der absolute Lieblingsfilm von uns Kindern Amy und die Wildgänse. Daher war es sofort beschlossene Sache, dass das Schwein Amy heißen sollte. Den Namen ließen wir ihr ins rechte Ohr stanzen und Amy durfte zusammen mit den Schweinen von Familie Schacher im Stall leben. Doch sie war natürlich nicht irgendein Schwein, sondern ein ganz besonderes und hochintelligent noch dazu!
Schweine sind normalerweise sehr scheu – aber meine Amy war handzahm. Wenn ich am Gitter zum Schweinestall stand und nach ihr rief, kam sie aus einer Herde von circa 200 Schweinen auf mich zugelaufen. Sie wusste, was dann geschah – dieses Vorrecht teilte keiner ihrer Stallgenossen: Ich holte die Leine hervor, legte sie ihr an und ging mit meiner Amy spazieren, so wie andere das mit ihrem Pudel machen. In der ganzen Hofumgebung waren wir zwei bekannt wie ein bunter Hund. „Da ist David und sein Schwein“, sagten die Leute lachend, wenn ich mit Amy an ihnen vorbeispazierte.
Leider sind auch die Tage eines Schweins gezählt, besonders auf einem Bauernhof. Nach sechs bis neun Monaten müssen sie geschlachtet werden, weil sie sonst zu groß werden. An dem Tag, als es für Amy so weit war, bekam ich schulfrei. Sensibel, wie Schweine sind, spüren sie es genau, wenn es zum Metzger geht. Auch Amy rannte an diesem Tag zum ersten Mal vor mir weg, als ich sie rief. Mir versetzte es einen Stich in die Brust. Schließlich verluden Sepp und ich Amy und alle anderen Schweine, die geschlachtet werden mussten, in den Transporter und fuhren zum Schlachter. Als wir sie wieder heraustrieben, rief ich Amy noch einmal. Diesmal kam sie zu mir und ich konnte ihr Tschüss sagen. Wehmütig blickte ich ihr hinterher. Ja, Schweine sind geniale Tiere. Wenn ich irgendwann mal ein großes Haus haben sollte, halte ich wieder eine Amy.