Ur-Praxis. Frank Viola
Den Römern schreibt er, als wäre er ihr Apostel. In Römer 1,15 verspricht er, das Evangelium zu verkünden, sobald er in Rom angekommen sein würde. Verschiedene Experten auf dem Gebiet antiker Briefschreibung sind zu dem Schluss gekommen, Paulus habe die Gemeinde in Rom gegrüßt, um kundzutun, in welcher Beziehung er zu ihnen stehe, und um damit seine apostolische Autorität zu begründen.31
Zusammengenommen machen alle diese Indizien glaubhaft, dass Paulus aufgrund „umgekehrter Verpflanzung“ der Apostel der Römer war. Das erklärt auch, wie Paulus all die Menschen kennen konnte, die er in Kapitel 16 grüßt. Damit entfällt die Notwendigkeit, Kapitel 16 vom übrigen Brief abzuhängen. Darüber hinaus stellt es uns eine weitere Vorgehensweise vor, Gemeinde Jesu Christi zu gründen.
Das Teamkonzept
Aus dem Neuen Testament wird deutlich, dass Gott es gut findet, wenn apostolische Arbeiter zusammen dienen, insbesondere zu zweit. Das ist im Neuen Testament zwar nicht überall der Fall, haben doch Paulus, Petrus, Timotheus, Titus, Epaphras und andere gelegentlich alleine gearbeitet.32 Allgemein gilt aber, dass Gottes Werk durch Menschen vorangebracht wurde, die zusammengearbeitet haben.33 Beachten Sie Folgendes:
• Die zwölf Apostel werden paarweise aufgezählt (Mt 10,2-4).
• Jesus sandte die zwölf Jünger zu zweit probeweise aus (Mk 6,7).
• Jesus sandte die zweiundsiebzig Jünger zu zweit aufs Missionsfeld (Lk 10,1).
• Lukas zählt die elf verbliebenen Jünger im Obergemach paarweise auf (Apg 1,13).
• Der Herr sandte seine Jünger oft zu zweit aus, um etwas zu erledigen (Mt 21,1; Lk 22,8).
• Petrus und Johannes haben zusammengearbeitet (Apg 3,1 ff.; 4,1.13 ff.; 8,14 ff.).
• Paulus und Barnabas arbeiteten zu zweit (Apg 13–15,35).
• Barnabas und Markus arbeiteten zu zweit (Apg 15,39).
• Paulus und Silas arbeiteten zu zweit (Apg 15,40).
• Paulus sandte die Männer zu zweit zum Dienst aus (Apg 19,22; 2 Kor 8,16-18).
Diese Beispiele sollten nicht als mechanisch zu befolgende Methode missverstanden werden. Vielmehr wuchsen die Arbeiter, die zusammen unterwegs waren, im gemeinschaftlichen Erleben organischer Gemeinde geistlich zusammen (Lk 22,8; Joh 20,2-3 u. Apg 3,1). Das gemeinsame Reisen war einfach der natürliche Ausdruck geistlichen Lebens.
Das Teamkonzept zeigt, dass christliche Mitarbeiter einander brauchen. Es bewahrt sie davor, zu selbsternannten Einzelkämpfern am Werk Gottes zu werden. Obwohl Teamarbeit dem biblischen Vorbild entspricht, erlebt man sie heutzutage nur selten. Ich persönlich finde, dass das ein großer Missstand und ein Armutszeugnis ist. Die Teamarbeit mag zwar mancherorts nicht möglich oder manchmal einfach nicht praktikabel sein, sie sollte aber wesentlich häufiger praktiziert werden, als es der Fall ist.
Eine Strategie für spontane Ausbreitung
Noch ein weiterer Aspekt paulinischer Gemeindegründungsstrategie scheint mir erwähnenswert.34 Paulus gründete Gemeinden hauptsächlich in Städten. Die ländlichen Gegenden ließ er meist links liegen und ignorierte die kleineren Ortschaften.35 Dagegen steuerte er die Hauptstädte an. Er wollte heimische Gemeinden in einflussreichen und bevölkerungsstarken Städten gründen.
Der Ausdruck Heiden (engl. heathen = Nichtchristen) leitet sich etymologisch von Landleute, Dorfbewohner, Bauern her (engl. heath = Heide, Acker, Feld).
Nur selten erwies sich das Christentum außerhalb antiker Städte als erfolgreich. Weil unser Glaube wesenhaft relational (beziehungsbegründet) ist, konnte die Gemeinde außerhalb des städtischen Milieus nur schwer Fuß fassen. In den Städten sahen sich die Christen täglich und konnten füreinander sorgen. Auf dem Land dagegen lebten die Gläubigen eher voneinander isoliert. Nur schwer konnten sie dort das „Miteinander“, das das Neue Testament betont, umsetzen. In der Folge entwickelte sich das Christentum zunächst zu einem hauptsächlich städtischen Phänomen.
Die Strategie des Paulus, Gemeinden eher in großen Städten zu pflanzen, geht allerdings über die Vorteile für das gemeinsame Leben hinaus: Das Evangelium sollte sich auch ganz spontan verbreiten können (1 Thess 1,8). Wenn eine organische Gemeinde gut funktioniert, wird sie die Verlorenen schon allein durch ihre Attraktivität anziehen. In der Großstadt, in der die Menschen oft nahe beieinander leben, ist so etwas gut möglich. Auf dem Land dagegen ist das viel schwieriger. Roland Allen schreibt:
Genau das meine ich mit „spontaner Ausbreitung“. Ich meine damit jenes Wachstum, das auf die nicht-verordnete und nicht-organisierte Aktivität einzelner Gemeindeglieder zurückzuführen ist, die anderen das Evangelium erklären, das sie selber für sich entdeckt haben. Ich meine damit die Ausbreitung als Folge einer unwiderstehlichen Anziehungskraft der christlichen Gemeinde auf Menschen, die deren geordnetes Leben sehen und von dem Wunsch ergriffen werden, das Geheimnis eines Lebens zu entdecken, an dem sie ganz instinktiv teilhaben möchten. Ich meine damit auch die Ausbreitung der Gemeinde durch das Hinzufügen weiterer Gemeinden.36
Antiochia in Pisidien, Philippi, Thessalonich, Korinth, Ephesus und Rom waren keine verschlafenen Nester. Es waren strategische Städte, wo eine spontane Ausbreitung leicht möglich war. F. F. Bruce kommentiert:
Paulus reiste entlang der römischen Straßen und Hauptverbindungswege. Er predigte das Evangelium und gründete Gemeinden in strategischen Zentren. Von diesen Zentren aus verbreitete sich die rettende Botschaft.37
Es fällt auf, dass Paulus eine ganze Provinz bereits als evangelisiert betrachtete, nachdem er in den zentralen Städten einige wenige Gemeinden gegründet hatte. Als er seinen Römerbrief verfasste, hatten er und seine Mitarbeiter erst weniger als zwanzig Gemeinden in Galatien, Griechenland, Kleinasien und Rom gegründet. Gleichwohl sprach Paulus von der „umfassenden Verkündigung“ des Evangeliums zwischen Jerusalem und Rom.
Nach nur zehn Jahren – und weniger als zwanzig Heidengemeinden auf dem Erdkreis – war Paulus der Ansicht, es gäbe für ihn zwischen Jerusalem und Rom kein Betätigungsfeld mehr zum Predigen (Röm 15,19-24). Mit den Worten Donald Guthries:
Zu seinen unmittelbaren Plänen meinte er [Paulus] überraschend, es fehle ihm in den erwähnten Regionen an Spielraum. Das heißt nicht, dass diese Gegenden völlig evangelisiert gewesen wären, war es doch Paulus’ Strategie, Gemeinden an wichtigen Zentren zu gründen und zu erwarten, dass diese das Evangelium in die Außenbezirke trügen. Nur dadurch war er in der Lage, in so vielen Regionen zu arbeiten.38
Strategien zur Gemeindegründung und die Leitung des Heiligen Geistes schließen einander nicht aus. Da apostolische Arbeiter von Gott ausgesandt werden,39 ist es Gottes Werk und nicht Menschenwerk, und daher ist es auch der Herr, der sein Werk dirigiert und es voranbringt. Er verfügt, wo das Evangelium verkündet werden soll und wohin seine Diener reisen sollen. Er bestimmt auch den Zeitpunkt (Apg 10,9-11, 19-20; 13,2-4; 16,6-8; 18,8-11; 23,11; Gal 2,2).
Apostel arbeiten auf Einladung örtlicher Gemeinden oder auch aufgrund einer Offenbarung, die sie an einen ganz bestimmten Ort führt. Den christlichen Mitarbeitern des ersten Jahrhunderts war die innere Leitung des Herrn nicht fremd (1 Kor 2,7-16). Letztlich ist es Jesus Christus, der die Gemeinde durch seinen Geist