Ur-Praxis. Frank Viola
die Ausbildung dieser acht Männer durch Paulus in Ephesus nicht ausdrücklich erwähnt wird, lässt sich diese durchaus aus dem Neuen Testament herleiten. Beachten Sie folgende Punkte:
• Alle acht Männer waren bei Paulus in Ephesus während dessen längeren Aufenthalts dort.21 Wie die zwölf Jünger dreieinhalb Jahre mit Jesus zusammen waren, so verbrachten auch die Paulusschüler eine ähnlich lange Zeitspanne mit Paulus. In gewisser Weise duplizierte Paulus in Ephesus den Dienst, den Jesus in Galiläa getan hatte.
• Alle acht Männer brachten als Abgeordnete ihrer Gemeinden finanzielle Unterstützung nach Jerusalem. Statt jedoch mit ihren Gaben direkt nach Jerusalem zu reisen, trafen sie in Ephesus mit Paulus zusammen und blieben drei Jahre bei ihm. Timotheus und Gaius waren aus Galatien, das sehr viel näher bei Jerusalem als bei Ephesus liegt.
• Zwei Jahre lang lehrte Paulus täglich fünf Stunden lang in der Halle des Tyrannus. Die Intensität seines Dienstes trägt alle Merkmale einer Ausbildung.
• Paulus kam persönlich für seinen eigenen Unterhalt und den der Männer auf (Apg 20,34). Wieso sollte er sie unterstützen, wenn er sie nicht ausbildete?
• Nach seinem Einsatz in Ephesus sandte Paulus diese Männer aus, die von ihm gegründeten Gemeinden zu unterstützen und darüber hinaus in noch unversorgten Gebieten weitere Gemeinden zu gründen. Ganz ähnlich hatte Jesus die zwölf Jünger probeweise ausgesandt (Mk 6,7).
David Shenk und Ervin Stutzman haben das Ephesus-Modell so zusammengefasst:
Als Paulus Ephesus verließ, nahm er eine Gruppe von Leuten mit sich, um einige Gemeinden zu besuchen, die er in Mazedonien und Griechenland gegründet hatte. Wir dürfen davon ausgehen, dass es Leiter waren, die er in Ephesus selber ausgebildet hatte. Sie sollten die Gemeinden kennenlernen, von denen er im Unterricht erzählt hatte. Zu den Männern zählten Sopater, Aristarch, Secundus, Gaius, Timotheus, Tychikus und Trophimus. Nach seinem Willen sollten diese in Gemeindeaufbau erfahrenen Leiter aus Kleinasien auch die in europäischen Gemeinden gelebte christliche Gemeinschaft kennenlernen. Dies war eine interkulturelle Gemeindegründungstour für die bei Paulus in Ausbildung stehenden Leiter.22
Weil die Paulusschüler aus verschiedenen Gemeinden und Regionen (Galatien, Mazedonien, Achaia und Kleinasien) stammten, konnten sie zweifellos voneinander lernen, indem sie einander von ihren Erfahrungen in organischem Gemeindeleben aus jeweils unterschiedlicher kultureller Perspektive erzählten. In einer späteren Phase ihrer Ausbildung in Ephesus sandte Paulus seine acht Schüler nach Kleinasien aus, um das Evangelium Christi zu verkünden und neue Gemeinden zu gründen. Einige dieser Gemeinden begegnen uns in Offenbarung 2 und 3. Dazu schreibt F. F. Bruce:
Während Paulus in Ephesus blieb, missionierten einige seiner Kollegen in den Nachbarstädten. In dieser Zeit scheint sein Mitarbeiter Epaphras die Städte im Lycos-Tal gelegenen Städte Kolossä, Laodicea und Hierapolis evangelisiert zu haben – Städte, die Paulus offenbar nie persönlich besucht hat (Kol 1,7-8; 2,1; 4,12-13). Möglicherweise sind alle sieben Gemeinden, wie wir sie in der Offenbarung des Johannes finden, während dieser Zeit entstanden. Die ganze Provinz wurde intensiv evangelisiert und zählte über viele Jahrhunderte zu den führenden Zentren der Christenheit.23
Die acht Paulus-Schüler kann man in gewisser Weise mit den zwölf Jüngern Jesu vergleichen. Die zwölf Apostel brachten das Evangelium der jüdischen Welt; die jungen Mitarbeiter des Paulus trugen es in die heidnische Welt.
Das römische Modell
Das vierte und letzte Modell entfaltet sich am Beispiel der Gemeinde in Rom. Ich nenne es die „umgekehrte Verpflanzung“. Hatte sich beim Jerusalemer Modell eine Gemeinde auf mehrere Städte ausgebreitet, so fanden sich im römischen Modell Christen ganz unterschiedlicher Herkunft in einer Stadt zur Gründung einer neuen Gemeinde ein. So geschehen in Rom.
Die Indizien, die dafürsprechen, dass es in Rom so gewesen ist, liegen auf der Hand. Einige Neutestamentler sind der Meinung, Römer 16 sei gar nicht an die Gemeinde in Rom adressiert, sondern an die in Ephesus, weil Paulus noch gar nicht in Rom gewesen war, als er den Römerbrief verfasste. Allerdings kannte er alle, die er im 16. Kapitel erwähnt, persönlich, und einige von ihnen waren davor mit ihm in Ephesus gewesen.
Andere haben behauptet, jene, die Paulus in Römer 16 grüßen lässt, seien zufällig nach Rom gezogen und in derselben Gemeinde aufgetaucht. Beide Hypothesen sind eher unwahrscheinlich.
Die Gemeinde in Rom bestand ursprünglich wohl hauptsächlich aus Juden. Lukas berichtet von Besuchern, die zu Pfingsten aus Rom nach Jerusalem gekommen waren, wo sie das Evangelium aus Petrus’ Mund hörten (Apg 2,10). Etliche von ihnen kehrten offensichtlich nach Rom zurück und begannen sich dort zu versammeln. Möglicherweise gehörten auch Priscilla und Aquila dazu. Im Jahr 49 n. Chr. ließ der Kaiser Claudius die Juden jedoch per Edikt aus Rom vertreiben (Apg 18,2).
Als Paulus 54 n. Chr. seinen Brief an die Römer schreibt, sind viele Judenchristen bereits zurückgekehrt. Der Gemeinde gehörten auch etliche Heidenchristen an. In Römer 16 grüßt Paulus 26 Personen und fünf Haushalte. Er kannte diese Menschen alle persönlich. Fast alle waren aus Gemeinden, die Paulus über die Jahre gegründet hatte.
Zu den uns vorliegenden Berichten passt es am ehesten, dass Paulus Priscilla und Aquila zurück nach Rom sandte, nachdem das Edikt des Claudius im Jahr 54 n. Chr. wieder aufgehoben worden war. Einen Beleg dafür könnte man darin sehen, dass Priscilla und Aquila Paulus bei der Gemeindegründung in Ephesus halfen. Vier Jahre bevor Paulus seinen berühmten Römerbrief verfasste, brachte er dieses bemerkenswerte Ehepaar nach Ephesus. Sie sollten dort seine Gemeindegründung, die er später in Angriff nahm, vorbereiten (Apg 18,18-19). Die Neutestamentler William Sanday und Arthur Headlam stellen fest:
Dass wir Prisca und Aquila in Rom finden, überrascht kaum angesichts des strategischen Weitblicks, den Paulus bei solchen Gelegenheiten erkennen lässt. Nachdem er in Ephesus Fuß gefasst hatte und sich nunmehr mit dem Gedanken trug, Rom zu besuchen, wurde ihm klar, welchen wertvollen Dienst sie dort leisten konnten und wie geeignet sie wären, seinen eigenen Besuch in Rom vorzubereiten, nachdem sie in seiner unmittelbaren Umgebung fast überflüssig geworden waren. So erscheint es geradezu selbstverständlich, dass er sie nach Rom entsandte, wo sie bereits bekannt waren.24
Nachdem er Priscilla und Aquila nach Rom vorausgeschickt hatte, bat Paulus verschiedene andere Juden und Nichtjuden aus den verschiedenen Gemeinden, die er gegründet hatte, mit ihm nach Rom zu gehen.25 Was war sein Anliegen? Er wollte eine multikulturelle Gemeinde in der Weltstadt Rom gründen.26
Paulus wollte das Evangelium in Rom verkünden und diese gerade verpflanzte Gemeinde als Plattform benutzen, um die Stadt zu erreichen. (Paulus kam zwar schließlich nach Rom, jedoch nicht wie geplant: Er erreichte die Stadt als Gefangener.) Die Christen in Rom stellten sich als großartige Gemeinde heraus – worum man sie im ganzen Imperium beneidete.27
Diese Rekonstruktion der Ereignisse passt wesentlich besser zu den uns vorliegenden Daten als die Vermutung, das letzte Kapitel des Römerbriefes sei eigentlich Teil des Epheserbriefes und nur versehentlich dem Römerbrief angehängt worden.28 Sie macht auch mehr Sinn als die Vermutung, die 26 erwähnten Personen seien innerhalb eines Zeitraumes von nur drei Jahren mehr oder weniger zufällig nach Rom übergesiedelt.29
In Römer 15,20 stellt Paulus klar, dass er es nicht