Buchstäblichkeit und symbolische Deutung. Matthias Luserke-Jaqui

Buchstäblichkeit und symbolische Deutung - Matthias Luserke-Jaqui


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Schubart’s Leben und GesinnungenSchubart’s Leben und Gesinnungen (1791) spricht er selbst „von der grossen Revoluzion“ und meint damit den „Sturz des Jesuitenordens“ in Bayern.95 Man solle sich die republikanischen Beispiele der Schweiz und Hamburgs genau betrachten, um im Kontrast zu den deutschen Höfen „zu sehen, wie Sklaverei den Menschen verschnizelt, bis er so klein wird, daß er kriechen kann!!“96 ‚Frei‘ ist für ihn „das heilige Wort“97. Selbst ein „Märchen“ dichtete er mit dem Titel Die Freiheit.98 Und zu erinnern ist an sein Gedicht Deutsche FreiheitDeutsche Freiheit99 – zahllose weitere Belege ließen sich anführen.

      Hermann HesseHesse, Hermann meinte über SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel, keiner zeige so unverfälscht die „großartige Psychologie des genialen Amokläufers gegen Philistertum und Alltag“100. Und in anderem Zusammenhang schrieb er 1929: „Schubart ist noch immer ein Musterbeispiel für das deutsche ‚Genie‘ und sein Schicksal“101. „Es wäre aber sehr zu wünschen“, so fährt er in seinem Nachwort zur Ausgabe fort, dass nicht nur die Dokumente zu Schubarts Biografie interessierten, sondern auch „Neugierde und Teilnahme heutiger Leser“ die Werke des Dichters Schubart einschließen. Nun sind seitdem einige wichtige Ausgaben erschienen, ich erinnere nur an die Auswahlausgaben des Aufbau- und Reclam-Verlags Ost von Schubarts Werken in einem Band (beginnend in den 1950er-Jahren, bis zur einbändigen Ausgabe im Aufbau Verlag von 1988, hgg. v. Ursula Wertheim u. Hans Böhm), an die Reclam-Ausgabe-West (1978, hgg. v. Karthaus), an den Reprint der Jahrgänge 1774/1777 der Deutschen ChronikDeutsche Chronik (1975) sowie an die wichtige dreibändige Edition der Briefe durch Breitenbruch (2006). „Das beste Denkmal für Schubart wäre eine genaue, kritisch gesichtete und berichtigte Ausgabe seiner Werke und namentlich seiner Gedichte gewesen; aber gerade da fehlt es“102. Das hat Wilhelm HauffsHauff, Wilhelm Bruder GustavHauff, Gustav im Vorwort seiner Gedichteausgabe geschrieben, und das war im Jahr 1884. Heute, 135 Jahre später, ist dieser Zustand unverändert beklagenswert, es gibt sie nicht, die kritische Schubart-Ausgabe. Noch nicht. Denn mit dieser philologischen Miniatur will ich unterstreichen, dass es an der Zeit ist, das Projekt einer historisch-kritischen Schubart-Ausgabe anzugehen und auf den Weg zu bringen. Insofern schließe ich mit einem Plädoyer für eine historisch-kritische Schubart-Ausgabe, die zum Ziel hat, dass wir nicht den vielen Einzel- und Sammelausgaben eine neue hinzufügen, sondern dass die dichterischen, die publizistischen und die fachwissenschaftlichen Texte SchubartsSchubart, Christian Friedrich Daniel endlich auf eine verlässliche Textgrundlage gestellt werden.

      MODERNE

      Franz Blei als Editor

      Die nachfolgenden Bemerkungen widmen sich einem Aspekt des Œuvres von Franz BleiBlei, Franz (1871–1942), der bislang noch nicht die Aufmerksamkeit der literaturwissenschaftlichen Forschung erfahren hat. Insofern kann es sich hier auch nur um vorläufige Betrachtungen handeln, die allenfalls das Interesse darauf zu lenken und günstigstenfalls Forschungsaktivitäten zu initiieren vermögen. Denn in der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft und LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte sind die editorischen und literaturgeschichtlichen Leistungen Franz Bleis nahezu vollständig vergessen. Deshalb geht es im Folgenden auch nicht um die Darstellung von geschlossenen Forschungsergebnissen, sondern im Gegenteil, eher um die Skizze einer noch zu bewerkstelligenden Forschungsaufgabe. Diese Aufgabe ließe sich folgendermaßen beschreiben: Die Bedeutung der von Blei besorgten Ausgabe der Gesammelten SchriftenGesammelte Schriften (Lenz) von Jakob Michael Reinhold LenzLenz, Jakob Michael Reinhold (1751–1792) für die Lenz-Rezeption zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu untersuchen und in den Kontext einer Wissenschaftsgeschichte des Sturm und DrangSturm und Drang einzubinden. Damit würden – grob skizziert – die wichtigsten historischen Stationen sichtbarD die Sturm-und-Drang-Rezeption in der SpätromantikRomantik (ausgehend von der TieckTieck, Ludwig-Ausgabe), im VormärzVormärz, im NaturalismusNaturalismus, um die Jahrhundertwende, im ExpressionismusExpressionismus und in der Nachkriegsliteratur ost- und westdeutscher Provenienz. Damit könnte deutlich gemacht werden, dass die bleische Lenz-Edition eine bestimmte historische Phase der Sturm-und-Drang-Rezeption im literarischen und wissenschaftlichen Bereich kennzeichnet. Ein weiteres, grundsätzliches Desiderat der Forschung muss auch von der autorbezogenen Perspektive aus festgestellt werden, da von Blei her gesehen und aus dem Blickwinkel einer Blei-Forschung betrachtet, die Frage nach der Bedeutung der Lenz-Ausgabe im Zusammenhang der übergeordneten Frage nach der generellen Bedeutung der Literatur des 18. Jahrhunderts für Blei gestellt und diskutiert werden müsste.

      Zunächst soll der Autor selbst zu Wort kommen mit einem Zitat, das trefflich seine Sicht auf die Literatur des 18. Jahrhunderts charakterisiert; es stammt aus dem Buch Das Kuriositätenkabinett der LiteraturDas Kuriositätenkabinett der Literatur (1924): „Unsere Zeit verbraucht das Erbe des achtzehnten Jahrhunderts und tut es mit wenig Talent, aber mit einem schlechten Gewissen“1. Und weiter heißt es dort: „Der Anfang dieser Zeit kann uns kümmern, weil wir auf das Ende dieser Zeit aufmerksam werden“2. BleisBlei, Franz Interesse an der Literatur des 18. Jahrhunderts und an den vergessenen Autoren dieser Zeit ist also weit mehr als nur literarhistorisch motiviert oder bedingt gewesen. Der Rückgriff auf die Geschichte dient der programmatischen Bestimmung des eigenen geschichtlichen Standorts.

      Der Lenz-Ausgabe, als dem herausragendsten Produkt von Bleis Beschäftigung mit der deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts, gehen zwei bemerkenswerte Bücher zu aufgeklärten Literaten voraus. In dem Bändchen Fünf Silhouetten in einem RahmenFünf Silhouetten in einem Rahmen aus der von Georg BrandesBrandes, Georg herausgegebenen Reihe Die Literatur hat Blei fünf Autoren des 18. Jahrhunderts porträtiert. Im Einzelnen sind das Johann Jacob BodmerBodmer, Johann Jakob (1698–1783), Christoph Martin WielandWieland, Christoph Martin (1733–1813), Wilhelm HeinseHeinse, Wilhelm (1746–1803), Helferich Peter SturzSturz, Helferich Peter (1736–1779) und Karl Philipp MoritzMoritz, Karl Philipp (1756–1793).3 Dieses kleine Buch mit fünf Kurzessays zu den genannten Autoren wurde in einer Phase der äußerst intensiven Beschäftigung Bleis mit der Literatur des 18. Jahrhunderts publiziert. In demselben Jahr (1904) besorgte Blei auch eine Auswahl der Schriften von Helferich Peter Sturz im Insel-Verlag Leipzig.4 Diese Ausgabe ist bei Detlev Steffen5 nicht bibliografiert, Gregor Eisenhauer hingegen nennt sie6. Blei selbst hat sie in seinem maschinenschriftlichen Lebenslauf, der im Deutschen Literaturarchiv/Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar aufbewahrt wird, ebenso wie die Gesammelten Schriften von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold unter der Rubrik „Herausgegeben“ angeführt.

      Bleis Kurzessays, die Sturz-Ausgabe und die Lenz-Ausgabe zählen zur Phase der intensiven Beschäftigung Bleis mit der bekannten wie der unbekannteren deutschsprachigen Literatur des 18. Jahrhunderts. Soweit ersichtlich, das heißt unter dem Vorbehalt einer vollständigen Bibliografie vor allem der journalistischen und literaturkritischen Arbeiten, hat sich Blei nur zwei Mal noch zu Jakob Michael Reinhold LenzLenz, Jakob Michael Reinhold geäußert. 1911 und 1912 publizierte er zwei Porträtminiaturen zu Lenz, einmal in der SchaubühneDie Schaubühne7, das andere Mal in der AktionDie Aktion8. Bei diesem Text handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem dritten Band der Vermischten SchriftenVermischte Schriften (Blei) mit dem Titel Das Rokoko, Variationen über ein ThemaDas Rokoko, Variationen über ein Thema, die 1911/12 bei Georg Müller in München in sechs Bänden erschienen. Einen unveränderten Nachdruck publiziert BleiBlei, Franz in dem von ihm herausgegebenen Buch Der Geist des RokokoDer Geist des Rokoko (München: Georg Müller 1923) unter der verstümmelnden Überschrift Michael Reinhold Lenz. Daran schließt sich der Abdruck von Lenz’ Erzählung Zerbin oder die neuere PhilosophieZerbin oder die neuere Philosophiean.9 Alle vier Texte sind aber inhaltlich identisch mit dem Vorwort zur Lenz-Ausgabe und nur für den entsprechenden Publikationsort feuilletonistisch aufbereitet, sodass sie hier vernachlässigt werden können. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese beiden Texte zu den wenigen journalistischen, also außerhalb eines wissenschaftlichen Verwertungszusammenhangs stehenden Arbeiten über Lenz in den Jahren von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg gehören. Und bemerkenswert ist auch die Abweichung des Vorworts zur Lenz-Ausgabe vom Wortlaut der Lenz-Essays.10

      Die Lenz-Ausgabe von Franz Blei steht wie ein erratischer Block im Werk dieses Literaten. Es gibt keine vergleichbare editorische Leistung mehr und kein vergleichbares Interesse mehr an der Literatur der AufklärungskritikAufklärung


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