Wörterbuch alttestamentlicher Motive. Группа авторов
weiter gehen Versuche, das schwere Geschick von Blinden zu erleichtern. So sagt Hiob von sich: „Augen bin ich geworden dem Blinden, und Füße dem Lahmen bin ich“ (Hiob 29,15). Darin deutet sich konkrete Hilfe an, die den Mangel der Behinderten durch eigenen Einsatz auszugleichen sucht. So will auch Gott handeln: „Ich werde Blinde auf einem Weg führen, den sie nicht kennen (…); ich mache das Dunkel vor ihnen zum Licht“ (Jes 42,16). In Jer 31,8 verspricht er gar, dass auch Blinde und Lahme bei der Rückwanderung aus dem Exil (dem „Nordland“) in die Heimat dabei sein dürfen. Wer nicht sieht, ist angewiesen auf die Unterstützung anderer, die seinem Mangel abhelfen. Am weitesten geht dies bei Heilung (s. 5).
3 Gottes Gericht
Schon Gen 19 ließ erkennen, dass Blindheit von Gott verhängte Strafe sein kann (s. 1). Dieser Aspekt wird in anderen Texten auch bezüglich Israels und anderer Völker entfaltet. Für den Fall, dass Israel nicht auf Gott hört, kündigt Mose in Dtn 28,28 neben vielem anderen an, Gott werde es mit „Wahnsinn, Blindheit und Verwirrung des Herzens“ schlagen. Sach 12,4 nimmt später alle diese drei Ausdrücke auf und wendet sie auf Israels Feinde an, während Gott über dem Haus Juda seine Augen öffnet. Das Richten des eigenen Volkes wandelt sich so zum Gericht an den Gegnern. Offener ist dagegen noch die Vorstellung in Zef 1,17, die mit dem → Tag JHWHs (ab V. 14) Gottes Bedrängen aller Menschen verbindet, dessen Folgen mit dem Gehen von Blinden vergleicht und mit vorausgehenden Sünden begründet. In ähnlicher Weise erstellt Klgl 4,13f. einen Zusammenhang mit vorausliegender eigener Schuld und bezeugt so selbstkritisch, dass Gott im Richten seines Volkes gerecht ist.
Ohne dass ausdrücklich Gottes Beteiligung erwähnt wird, verknüpft Spr 30,17 fehlendes Ehren der Eltern mit dem Verlust des Augenlichts: „Ein Auge, das den Vater verspottet und Gehorsam gegenüber der Mutter verachtet – der Rabe am Bach pickt es aus, und die Jungen des Geiers fressen es“, wobei hier aber auch der Tod des Betreffenden im Blick sein kann, nach dem diese Aasvögel sich auf dessen Leichnam stürzen. Unbeschadet dessen gilt, dass mangelnde Ehrfurcht vor den Eltern viel mit Blindheit zu tun hat.
Eine andere Form eines Konfliktes spiegelt Num 16,14. Dort lassen Datan und Abiram ihren Unmut Mose ausrichten, indem sie ihn auf das nicht eingelöste Versprechen hinweisen, sie in ein von Milch und Honig fließendes Land zu bringen, und der in Worten gipfelt: „Hast du die Augen dieser Männer ausgestochen? – Wir ziehen nicht hinauf!“ Im Vorwurf klingt an, sie mutwillig getäuscht zu haben und für blind zu halten. Gott beantwortet diese Unterstellung seinem Gesandten und Plan gegenüber mit dem Untergang der Ankläger.
Ein besonderer Text ist Jesaja 6. Dort erhält der Prophet den Auftrag: „Mach fett das Herz dieses Volkes, und seine Ohren schwer, und seine Augen verklebe, dass es nicht sieht mit seinen Augen (…) und umkehrt und Heilung ihm wird!“ (Jes 6,10). In Weiterführung von Ex 4 (s. 2) verhängt Gott Behinderung für die Gemeinschaft, die mit Herz, Ohren und Augen die wichtigsten Organe der Wahrnehmung umfasst und Antwort auf deren zuvor vielfach geschilderten sündhaften Zustand ist (Jes 1–5). Dies bleibt aber nicht Gottes letztes Wort, sondern ist Auftakt zu einer intensiven Beschäftigung mit dieser Thematik im weiteren Buch.
4 Das Motiv der Blindheit im Jesajabuch
Keine andere Schrift des AT beschäftigt sich so intensiv mit Sehbehinderung wie Jesaja. Wie schon Jes 6 mit der Fortführung „(…) und umkehrt“ zeigte, handelt es sich nicht so sehr um eine körperliche Einschränkung, sondern um ein geistliches Unvermögen, oft dazu im Kontrast mit dennoch vorhandenen Organen und Befähigungen. So fordert Jes 43,8 „Bring heraus das blinde Volk, das doch Augen hat, und die Tauben, trotzdem ihnen Ohren sind!“ als Ermutigung an Israel (BERGES 2008, 280f.) In der folgenden Auseinandersetzung mit den Nationen (Jes 43,9) benennt und bestellt Gott dann die Gemeinschaft als „meine Zeugen“ und „mein Diener“ (Jes 43,10). – Dieser Kontrast zwischen vorhandenen „Augen“ und fehlender Fähigkeit, sie zu gebrauchen, prägt auch die polemischen Beschreibungen von Götterstatuen (s. Jes 44,18; Ps 115,5; 135,16).
Zuvor schon sah Jes 42,19 in der Blindheit geradezu die charakteristische Eigenschaft des Dieners JHWHs und betonte sie mit dreifacher Wiederholung: „Wer ist blind, wenn nicht mein Diener, und taub wie mein Bote, den ich sende? Wer ist blind wie Meschullam („der als Ersatz Gegebene“, oder „dem vergolten worden ist“), und blind wie der Diener JHWHs?“ Die Spannung zwischen göttlichem Auftrag und fehlendem Erkenntnisvermögen prägt somit grundlegend die Gestalt des Dieners.
Im Gegensatz zu der nicht selbst gesuchten Blindheit steht jene, die Folge eigener Bequemlichkeit ist. In dieser Weise klagt Jes 56,10 Verantwortliche der Gemeinschaft an: „Seine Späher/Wächter sind blind, sie alle erkennen nicht. Sie alle sind stumme Hunde, können nicht bellen. Schauend liegen sie, liebend zu ruhen.“ Hier vergehen sich Leiter des Volkes und sind selbst schuld daran, dass sie nicht sehen – mit gravierenden Folgen für die ihnen Anvertrauten (Jes 56,11ff.).
Das Jesajabuch spricht aber nicht nur mehr als andere Bücher des AT von Blindheit, sondern es kennt auch die Aufhebung dieser Behinderung. Sie soll im nächsten Punkt zur Sprache kommen.
5 Lösung und Heilung von Blindheit
Im selben Kapitel, in dem Blindsein geradezu als Wesenszug des Dieners JHWHs beschrieben wird (s.o. Jes 42,19), findet sich auch die Aufgabe des Dieners, nämlich „die Augen von Blinden zu öffnen“ (Jes 42,7). Selbst behindert im Sehen, erhält er von Gott den Auftrag, andere von solcher Einschränkung zu befreien. In paradoxer Weise kann der, der selbst solches Leiden durchgemacht hat, ähnlich Betroffenen helfen, und das universal, wie die Sendung „zum Licht der Nationen“ im vorausgehenden V. 6 andeutet.
Solches zu tun wurzelt freilich nicht im eigenen Vermögen, sondern ist verbunden mit Gottes Kommen. Als dessen Folgen beschreibt Jes 35,5f. die Lösung vielfältiger Behinderungen; als erste werden Blindheit und Taubheit genannt: „Dann werden geöffnet die Augen von Blinden, und die Ohren von Tauben werden aufgetan“. Dies allein ist schon wunderbar, doch einige Kapitel zuvor wurde in Jes 29,18 sogar verheißen: „Hören werden an jenem Tag Taube die Worte einer Schriftrolle, und aus Dunkel und aus Finsternis werden die Augen von Blinden sehen.“ Die doppelt erwähnte Dunkelheit erhöht die Schwierigkeit des Sehens; doch für Gott ist es ein Leichtes, auch dieses Hindernis zusätzlich zu überwinden. Wie eine Vollendung dieser Verheißungen wirkt Jes 42,16: „Ich führe Blinde auf einem Weg, den sie nicht kennen, (…) ich mache Dunkelheit vor ihnen zum Licht.“ Gott löst hier noch ein weiteres gravierendes Problem für Sehbehinderte, nämlich damit nicht vertraut zu sein, wo sie gehen können. Insgesamt ist Jes 42 die Stelle in der Bibel, in der das Motiv von Blindheit und ihrer Lösung bzw. Heilung am häufigsten vorkommt, nämlich in den Versen 7, 16, 18 (dort die Aufforderung: „schaut [genau], um zu sehen“) und 19, insgesamt sechs Mal. Im Schlusshallel des Psalters erfährt das heilende Handeln Gottes hymnische Würdigung. „JHWH ist öffnend Blinde“ heißt es in verkürzter Redeweise in Ps 146,8, inmitten einer Reihe anderer lobender Aussagen über göttliches Helfen und Retten, besonders von schwachen Menschen. Die erzählerisch eindrucksvollste Realisierung dafür liegt im Buch Tobit vor. Tobit, die Hauptfigur des Buches, wird trotz guten eigenen Handelns blind und leidet darunter (Tob 2–3, s. 2). Der Engel Rafael, mit dem Symbolnamen „Gott heilt“, begleitet seinen Sohn Tobias auf dessen Reise und weist ihn auf Fischgalle als Medizin bei Augenkrankheiten hin (Tob 6,6–10). Bei der Heimkehr, kurz vor dem Wiedersehen mit seinem Vater, belehrt Rafael Tobias in der Anwendung und gibt ihm Zuversicht (Tob 11,7–8); dieser führt die Anweisung dann bei seinem Vater aus, worauf Tobit geheilt wird und wieder sieht (Tob 11,11–13). Im Hintergrund dieses Geschehens lässt sich auch eine „Heilung von theologischer Blindheit“ wahrnehmen, insofern Tobit die Begrenztheit einer eng gefassten Vergeltungslehre erfährt (KIEL 2011, 281f).
Eine Fortführung erhält dieses heilende Wirken Gottes im NT. Mehrere Evangelientexte schildern, wie Jesus Blinde heilt: einen bei Betsaida (Mk 8,22–26), Bartimäus bei Jericho (Mk 10,46–52), einen anderen Blinden an einem Sabbat in Jerusalem (Joh 9) u.a. (SCHRAGE 1969, 288–291). Die beiden