Die Kolonie Tongalen. Chris Vandoni
zum Fenster und sah hinaus.
»Nein, ich glaube, ich habe ihn abgehängt«, sagte sie beschwichtigend. »Bevor ich zu deinem Zimmer kam, bin ich mit dem Lift ein paarmal rauf und runtergefahren, hab jedes Mal den Schacht gewechselt und bin immer in einer anderen Etage ausgestiegen. Auf deiner Etage bin ich zuerst in die andere Richtung gegangen, bin vor einer anderen Zimmertür stehengeblieben und habe gewartet. Als nach einer Weile niemand erschien und nichts geschah, ging ich zurück zum Lift und kam hierher.«
»An die Gesichtsscanner hast du nicht gedacht?«, fragte er.
Sie antwortete nicht und holte stattdessen eine Sonnenbrille und einen gefalteten Damenhut aus ihrer Handtasche.
»Tja, hoffen wir, dass der Trick gewirkt hat.«
Als sie die Sachen wieder in ihrer Tasche verstaut hatte, fragte er: »Warum bist du zu mir zurückgekommen?«
»Ich möchte weg von hier«, antwortete sie entschlossen.
»Wie bitte?«
»Ich möchte Sie auf Ihrem Flug begleiten«, wiederholte sie, sah anschließend zu Ernest und zu Eric.
Christopher brauchte eine Weile, um sich von seiner Verblüffung zu erholen.
»Ich fühle mich hier nicht mehr sicher«, fuhr sie fort. »Ich will einfach weg.«
»Das kann ich verstehen, aber warum gerade mit uns?«
»Vielleicht hat Henderson einen Killer auf mich angesetzt, und der wartet nur auf die passende Gelegenheit.«
»Einen Moment mal«, mischte sich Ernest in die Unterhaltung ein. »Was erzählen Sie uns da für einen Bockmist! Ich glaube Ihnen kein Wort. Von wegen Mark soll einen Killer auf Sie angesetzt haben.«
Christopher versuchte, die Situation zu besänftigen. »Ich kenne Mark nun schon lange genug, dass ich dir versichern kann, dass er so etwas nie tun würde.«
»Warum hat er mir dann gedroht?«
»Vielleicht kommt er selbst in Teufels Küche, falls sich herausstellt, dass du doch geheime Informationen mitbekommen hast. Und er will nur sicher gehen, dass du nichts verrätst.«
»Ich würde trotzdem gerne mit euch mitfliegen«, sagte sie entschlossen. »Mich hält hier nichts mehr. Ich würde mich sicherer fühlen. Überlegt einmal, wenn Mark Henderson mich tatsächlich beschatten lässt, um sicherzugehen, dass ich mit niemandem Unbefugten rede, was wäre dann aus seiner Sicht der beste Ort, an dem ich mich aufhalten könnte?«
»Bei uns, weil du uns nichts über den Auftrag erzählen könntest, was wir nicht selbst schon wissen«, antwortete Christopher. »Das leuchtet mir ein.«
»Da ich keinen Job mehr habe, hält mich hier wirklich nichts mehr.«
»Du hast keinen Job mehr?« Christopher sah sie erneut verblüfft an.
»Ich habe gekündigt. Darauf haben sie mich per sofort freigestellt. Anscheinend hatten sie sowieso vor, mich zu feuern.«
Christopher blickte zu seinen beiden Freunden.
»Das kommt alles etwas kurzfristig«, meinte Ernest nicht gerade begeistert. »Eigentlich wollten wir heute früh abreisen.«
»Ihr fliegt jetzt schon los?«
»Das haben wir tatsächlich vor. Wäre es für dich ein Problem?« Christopher sah sie fragend an.
Wieder zupfte sie nervös an ihren Haaren. »Ich dachte, es würde noch ein paar Tage dauern. Ich müsste noch ein paar Sachen aus meiner Wohnung holen.«
»Wie viel Zeit brauchst du dafür?«
»Nicht viel. Wir könnten sofort hinfahren.«
»Wie lange dauert das?«, fragte Ernest. Er verbarg in keiner Weise, dass er darüber nach wie vor nicht sehr angetan war.
»Etwa eine Stunde.«
Eric räusperte sich. Er hatte sich bis dahin nicht zu der Situation geäußert. »Wenn alles stimmt, was Miss Evans uns bisher erzählt hat - und ich erkenne keinen Grund, warum sie uns belügen sollte -, dann sollte es für uns kein Nachteil sein, wenn sie uns begleitet.«
Sie sahen Eric eine Weile schweigend an. Ernest nickte. »Ich werde Sie aber im Auge behalten«, sagte er mit ernster Miene an Michelle gewandt.
»Wir müssten Sie noch bei der Raumflugkontrolle anmelden«, sagte Eric.
»Ich werde das übernehmen. Wir treffen uns in anderthalb Stunden im Raumhafen in der Bar, in der ich mich mit Mark getroffen habe. Ihr wisst ja, wo das ist. Seid bitte pünktlich. Ich werde in der Zwischenzeit noch mal versuchen, Mark zu erreichen.«
Kaum war Ernest wieder in seinem Zimmer, setzte er sich mit einem alten Freund bei der Terrestrial Security Agency in Verbindung.
»Hallo Thomas. Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Worum geht‘s denn diesmal? Doch nicht schon wieder um irgendeine Verletzung von Sicherheitsbestimmungen?«
»Nein. Du kannst dich beruhigen. Du sollst mir nur Auskunft über eine bestimmte Person geben.«
»Offiziell oder inoffiziell?«
»Am besten ohne den ganzen administrativen Kram.«
»Dann inoffiziell. Aber du weißt, dass es mir Ärger einbringen könnte?«
»Und du weißt, wie verschwiegen ich bin.«
»Zum Glück, sonst würde ich es nämlich nicht tun. Also, wer ist die Person?«
»Michelle Evans, wohnhaft in Geneva, etwa fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt. Arbeitete bis vor kurzem bei Norris & Roach.«
»Dauert nur ein paar Sekunden.«
12.
Christopher und Michelle saßen in einem Taxigleiter und ließen sich zu ihrem Apartment fahren. Das Gefährt wurde vollautomatisch gesteuert. Man brauchte lediglich über ein Touchscreen-Display das gewünschte Fahrziel einzugeben und die Bezahlung abzuwickeln.
Fahrzeuge wurden durch Leitsysteme gelenkt. Das manuelle Steuern war nur noch auf privaten Grundstücken oder auf Nebenwegen möglich, wo es keine Leitsysteme gab.
Michelle blickte immer wieder aus dem Rückfenster, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurden. Doch bisher schien das nicht der Fall zu sein.
Nach einer halben Stunde Fahrt erreichten sie ihr Ziel und stiegen aus. Michelles Apartment lag etwas außerhalb des Stadtzentrums in einem ruhigeren Viertel.
Als sie die Tür öffnete, bot sich ihnen ein chaotisches Bild. Die Wohnung bestand aus einem großen Raum, der als Schlaf- und Wohnzimmer diente, und einer zusätzlichen kleinen Kochnische. Im Hintergrund gab es ein kleines Badezimmer mit einer Dusche.
Michelle hatte diese möblierte Wohnung mit wenigen Gegenständen gemütlich eingerichtet gehabt, doch nun lag alles verwüstet und wild verstreut auf dem Fußboden. Schranktüren standen offen, Schubladen waren herausgezogen.
Eine Weile blieben sie in der Tür stehen und sahen sich das Durcheinander an. Dann machte sie den ersten Schritt, bückte sich und hob ein paar Gegenstände auf, die anscheinend noch intakt waren.
Wenn man vom Chaos absah, waren bei diesem Einbruch erstaunlich wenige Gegenstände kaputt gegangen.
»Da hat jemand anscheinend etwas ganz Bestimmtes gesucht«, unterbrach Christopher die Stille. »Hast du eine Ahnung, was das gewesen sein könnte?«
»Nein, ich besitze nichts Wertvolles und auch nichts, was so besonders wäre, dass man es stehlen müsste.«
»Ein gewöhnlicher Einbruchdiebstahl war das bestimmt nicht. Ist dir schon aufgefallen, ob etwas fehlt?«
»So auf den ersten Blick gesehen vermisse ich nichts.«
»Vielleicht wollte sich der Einbrecher nur vergewissern,