Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit. Ingrid Schmahl
Winters sah und daran dachte, dass sie ja eigentlich nur arbeiten wollte, um der Einsamkeit zu entgehen, gab sie sich einen Ruck und nahm das Angebot Herrn Winters an.
„Gut, ich werde also für Sie arbeiten“, sagte sie zu.
„Können Sie schon morgen anfangen?“, wollte Herr Winter noch wissen. „Dann müssten Sie um neun Uhr bei der Großküche sein, um die bestellten Portionen Essen abzuholen. Von mir erhalten Sie eine Liste der Personen, die das Essen bekommen. Und nun wünsche ich uns eine gute Zusammenarbeit.“
„Das wünsche ich mir auch“, erwiderte Gerda. Mit einem festen Händedruck wurde dieser Vertrag besiegelt.
Am nächsten Morgen holte Gerda pünktlich um neun Uhr ihre dreißig Essenportionen aus der Großküche. Nun musste sie nur noch nach der Liste, die sie von Herrn Winter bekommen hatte, die Portionen schnell austeilen, so dass alle Senioren das Essen noch warm bekamen. Das war nicht so einfach. Das erste Menue kam in die Kaiserstr. 15. Wo war diese Straße? In dem Teil von Krähenwinkel kannte sich Gerda nicht aus. Sie suchte und suchte. Dabei sah sie auf ihre Uhr und stellte fest, dass es bereits 10,30 Uhr war. Wie sollte sie so dreißig Essen rechtzeitig zu den Senioren bringen? Gerda schwitzte schon ordentlich. Endlich hatte sie die Kaiserstr. 15 gefunden. Natürlich fand sie keinen Parkplatz und musste schnell in der zweiten Reihe parken. Hoffentlich kam nicht gerade eine Politesse vorbei. Dann wäre ihr schon der erste Strafzettel sicher. Sie suchte auf der Klingelanlage den Namen Hurtig und schellte. Eine längere Zeit verging, bis Frau Hurtig endlich auf den Türöffner gedrückt hatte, nachdem sie sich vergewisserte, dass hier ihr Essen unterwegs war. Sie wohnte natürlich im dritten Stock. Gerda spurtete mit ihrer Wärmebox schnell die Treppen hinauf und zu Frau Hurtig, die schon an ihrer Flurtür auf sie wartete.
„Sie kommen aber heute spät. Hoffentlich ist mein Essen auch noch warm.“ Das war kein sehr freundlicher Empfang. Aber Gerda lächelte und wollte Frau Hurtig ihr Essen übergeben.
„Ihr Vorgänger hat mir das Essen aber in die Küche gebracht und auf meinen Teller gefüllt. Ich kann das mit meinen Arthrose-Händen so schlecht. Können Sie das nicht?“
„Ach du meine Güte! Noch mehr solcher Sonderwünsche, dann ist das letzte Essen sicher am Abend beim Empfänger.“ Zähneknirschend packte Gerda das Essen aus und richtete es auf dem bereitgestellten Teller an. Hoffentlich war es nun so richtig! Aber Frau Hurtig schien einverstanden. Als Gerda dann wieder bei ihrem Auto ankam, hing natürlich ein Strafzettel an der Windschutzscheibe und ein wütender Mann, der nicht aus seiner Parklücke kam, stand mit einem bösen Blick auf die Armbanduhr vor seinem Auto.
„Geschieht Ihnen ganz recht, dass Sie einen Strafzettel bekommen haben. So etwas tut man doch nicht.“
„Entschuldigung“, konnte Gerda nur noch leise sagen. Sie war jetzt wirklich fix und fertig. Und das war erst das erste Essen. Es folgten noch 29 Wärmeboxen, die alle warm bei ihrem Empfänger sein sollten.
Das zweite Menue musste nun in die Mozartstr. 35. Wenigstens wusste Gerda, wie sie dort hinkam. Auch fand sie zum Glück gleich einen Parkplatz. Die Haustüre bei Frau Meier stand schon offen und Frau Meier wartete bereits sehnsüchtig auf ihr Essen. Sie war sehr freundlich, obwohl Gerda auch hier sicher entschieden mit Verspätung kam. Es war inzwischen schon fast 12 Uhr. Mit einem herzlichen Dankeschön nahm Frau Meier ihre Wärmebox an sich und entschwand in ihre Wohnung. Das ging ja nun wirklich einmal schnell. Hoffentlich hatte Gerda weiter so ein Glück. Aber das nächste Pech war schon vorprogrammiert. Gerda wollte von der Mozartstraße in die Hauptstraße einbiegen. Noch war die Ampel grün, also schnell, schnell. Da sprang sie schon auf gelb um. Gerda wollte noch daran vorbei in die Hauptstraße – aber vergeblich. Es blitzte aus dem Ampelkasten und Gerda wusste genau, was das hieß. Es hieß drei Punkte in Flensburg, einen Monat Fahrverbot und 150 Euro Geldstrafe. So hatte sich Gerda diese Arbeit, von der sie schon am ersten Tag merkte, dass sie niemals in drei Stunden die bestellten Portionen ausliefern könnte, und die ihr außerdem nur Ärger und Unkosten einbrachte, nicht vorgestellt. Sie hatte sich also sehr schnell erledigt. Gerda rief ihren Chef an und berichtete von ihrem Pech.
„Schicken Sie doch bitte jemanden her, der die restlichen Menues ausfährt. Ich bin total am Ende und kann nicht mehr!“ Herr Winter war sehr enttäuscht, aber Gerda war froh, dass sie einen Grund hatte, beim rollenden Senioren-Menue zu kündigen.
Nun saß sie also wieder, wie schon einmal, an einem Samstagmorgen in ihrer Wohnung und wusste nicht, wie sie den Tag herumbringen sollte. Zuerst der Blick in die dicke Samstagszeitung. Sie blätterte ohne große Begeisterung darin herum. Dabei kam sie wieder an die Stellenanzeigen. Hier hatte sie mit viel Hoffnung eine Arbeit gesucht und, wie sie dachte, auch gefunden. Aber eine Arbeit, bei der sie nicht sehr viel verdiente, und auch noch ihr eigenes Auto fahren musste, war denn doch nicht nach ihrem Sinn. Und eigentlich brauchte sie auch keine Arbeit, um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Vielleicht traf sie ja irgendwann einen netten Mann, mit dem sie reden und auch ab und zu irgendwo ein schönes Glas Wein trinken könnte. Auch ein paar Streicheleinheiten und einen guten Sex vermisste Gerda nach der Scheidung von Kurt. Wenn Kurt auch kein idealer Ehemann war, hatte sie mit ihm doch ab und zu einen schönen Abend mit einer noch schöneren Nacht verbracht. Sie war eben noch nicht jenseits von Gut und Böse.
So las sie ihre Zeitung von Seite zu Seite, ohne etwas zu finden, das ihr Interesse weckte. An den Vereinsnachrichten jedoch blieb sie hängen. Der Wanderverein Wandervogel bot eine interessante Wanderung durch den wunderschönen Schwarzwald an. Gerda wäre gerne mit dem Verein gewandert. In der Zeit mit Kurt war sie nie mit ihm zusammen fort gewesen. Kurt hatte keine Zeit oder keine Lust, Gerda auf Wanderungen zu begleiten. Sie unternahm dann Wanderungen mit einer Gruppe, die meist aus Ehe- oder sonstigen Paaren bestand. Dabei hatte sie so ihre schlechten Erfahrungen gemacht. Sie kam sich bei diesen Wanderungen wie das fünfte Rad am Wagen vor. Verdrossen schlich sie als Fast-Single alleine vor oder hinter den Pärchen her und konnte sich die ehelichen oder fastehelichen Gespräche anhören:
„Weißt du schon, bei Müllers hängt wieder einmal der Haussegen schief. Er soll mit Frau Schulze von nebenan ein Verhältnis haben. Das ist doch wohl allerhand! Na ja, damit habe ich mit meinem Mann ja zum Glück keine Probleme!“ So etwas erzählte man gerne der Freundin, die im gleichen Schritt mitlief.
„Bei diesen Gesprächen soll man nicht neidisch werden. Warum haben immer nur andere Frauen die netten Männer? Meiner war zwar auch nett, aber leider interessierte er sich mehr für seinen Beruf und für hübsche, junge Damen. Für mich hatte er nur wenig Zeit. Ein schöner Abend zu Zweit war eine Seltenheit. Vielleicht kann ich jetzt nach unserer Scheidung noch einmal einen neuen Versuch starten, einen Partner für Wanderungen und ein erfreuliches Miteinander zu finden. Das Leben als Single ist doch ziemlich trostlos.“ Nur nach der missglückten Ehe mit dem treulosen Kurt war Gerda im Moment noch sehr misstrauisch, was Männer betraf. Eigentlich war dieses Leben als Single auch nicht zu verachten. Sie konnte kommen und gehen, ohne irgend jemandem Rechenschaft über ihr Tun zu geben. Wenn nur nicht die einsamen Nächte wären, in denen man viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und die leere Seite in ihrem großen Bett war auch eine Tatsache, die sie sehr traurig stimmte. Vielleicht sollte man sich ehrenamtlich betätigen und im Altersheim helfen. Sie hörte und las öfters, dass Personal in den Heimen fehlte und die Alten deshalb nicht ausreichend versorgt werden konnten. Hier könnte man wenigstens etwas Gutes tun.
Dann fand Gerda noch eine andere Anzeige auf der Seite mit den Stellenangeboten, die ihr Interesse weckte. Da stand:
„Seriöse Partnervermittlung sucht qualifizierte Mitarbeiter.“
„Das wäre doch etwas für mich. So hätte ich eine Aufgabe und vielleicht wäre ja auch ein Partner für mich dabei.“
Eine Telefonnummer war angegeben. Nach einigem Zögern und mit ziemlichem Herzklopfen rief Gerda an.
„Agentur Liebeslust, Jürgen Korz am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“, fragte eine sonore Männerstimme freundlich.
„Hallo guten Tag. Ich bin Gerda Umweg und wäre an einer Mitarbeit in Ihrer Agentur interessiert.“
„Das ist eine sehr gute Entscheidung von Ihnen, Frau Umweg. Aber am Telefon sollten wir nicht darüber sprechen. Treffen