Tausche Einsamkeit gegen Zweisamkeit. Ingrid Schmahl
weckte. Ein Anbieter von „Essen auf Rädern“ suchte Menschen, die mit ihrem eigenen Auto das fertig gekochte, heiße Essen zu Senioren brächten. Ob das eine Tätigkeit für sie war? Gute Bezahlung war in der groß aufgemachten Anzeige auch angeboten. Man könnte es ja einmal versuchen. Sie hätte dann eine sinnvolle Tätigkeit; würde wieder Kontakt zu ganz verschiedenen Menschen bekommen und außerdem noch Geld verdienen. Das letztere war auch nicht zu verachten. So meldete sich Gerda dann auf die angegebene Telefon-Nummer:
„Hier das „Rollende Senioren-Menue“, mein Name ist Karsten Winter“, meldete sich eine sehr freundliche, junge Männerstimme.
„Hier spricht Gerda Umweg. Ich interessiere mich für eine Mitarbeit in Ihrer Firma.“
„Ich freue mich, dass Sie sich für uns interessieren. Bevor wir uns jedoch am Telefon über die Bedingungen für eine Mitarbeit unterhalten, würde ich vorschlagen, dass Sie uns in unserem Büro in Krähenwinkel in der Langen Straße 15 besuchen. Dort können wir in Ruhe alles Nähere besprechen. Würde Ihnen der kommende Montag passen?“
„Der wäre mir recht. Ich komme also am Montag zu Ihnen und höre mir an, ob diese Tätigkeit mir zusagt“, freute sich Gerda.
„Es wäre schön, wenn ich nicht mehr so tatenlos zu Hause sitzen würde und noch dazu Geld, das ich auch gut gebrauchen kann, verdiene. Das muss ich doch gleich Jessy erzählen, wenn sie von ihrer Arbeit in der Disco. nach Hause kommt.“
Als Jessy jedoch müde und ausgelaugt von ihrer Nachtschicht in der Disco. kam, konnte Gerda sie nicht mehr ansprechen. Jessy taumelte nur noch in ihr Bett und war nicht mehr ansprechbar. „Na ja, erzähle ich es ihr eben, wenn sie wieder aufwacht.“ Um die noch aufgeschlagene Zeitung weiter zu lesen, war sie nicht mehr in der Stimmung. Also legte sie sie erst einmal an die Seite und räumte ihr Frühstücksgeschirr in den Geschirrspüler.
„So, und was mache ich jetzt? Bis zum Montag ist es doch noch ziemlich lange. Vielleicht mache ich meinen Wochenendeinkauf, so dass ein wenig Zeit vergeht.“ Gerda nahm sich den ziemlich langen Zettel, auf den sie im Laufe der Woche aufgeschrieben hatte, was so in ihrem Haushalt fehlte. Gemüse, Brot und Milch war auf jeden Fall wichtig. Es würde wieder ein ziemlich großer Einkauf werden, dachte sie seufzend. Gerda merkte eben doch, dass Jessy bei ihr wohnte. So viel Cola und Kartoffelchips hätte Gerda alleine nicht gebraucht. Aber Jessy sollte sich ja auch bei ihr wohlfühlen. So nahm sie sich ihre große Einkaufstasche und fuhr mit ihrem kleinen Auto zum naheliegenden Supermarkt.
Als sie aus dem Auto stieg, wurde sie von einer älteren Nachbarin, der alleinstehenden Frau Humpelmann begrüßt.
„Es ist gut, dass ich Sie hier treffe“, rief Frau Humpelmann aus. „Könnten Sie mich auf dem Rückweg mitnehmen? Es ist für mich doch ziemlich beschwerlich, ohne Auto einen Samstagseinkauf zu transportieren.“
„Aber sicher nehme ich Sie gerne mit. Sie können in Zukunft immer mitkommen, wenn ich zum Einkaufen fahre.“
„Ach wissen Sie, Frau Umweg, es ist nicht leicht, wenn man als Seniorin alleine lebt. Ich kann nicht mehr so gut von meiner Wohnung die Treppe hinunter steigen, um mich mit den nötigen Lebensmitteln zu versorgen. Deshalb habe ich mir schon bei einer Firma mit dem Namen „Rollendes Senioren-Menue“ mein Essen bestellt. Es wird mir in die Wohnung gebracht und ich muss nicht mehr so beschwerliche Wege machen, um mich zu verpflegen. Das ist eine gute Sache. Ich freue mich, dass auch jemand an die älteren Menschen denkt. Aber mit dem Älterwerden haben Sie ja noch lange keine Probleme, liebe Frau Umweg.“
„Jünger werde ich auch nicht“, seufzte Gerda. „Aber das ist ja jetzt ein Zufall. Gerade habe ich mich mit dem rollenden Senioren-Menue in Verbindung gesetzt. Ich möchte für diese Firma arbeiten. Dann könnte ich Ihnen ja immer Ihr Essen mitbringen. Sind Sie denn zufrieden?“
„Na ja, ein wenig teuer ist es ja schon, wenn mir das Essen gebracht wird. Aber mit meiner Rente kann ich es mir gerade noch leisten. Die jungen Leute, die das Essen bringen, sind alle sehr nett und freundlich. Ich kann also nicht klagen.“
Gerda freute sich, dass sie über das rollende Senioren-Menue so eine gute Auskunft bekam. Es handelte sich also um ein Unternehmen, bei dem man unter reellen Bedingungen arbeiten würde. „Da kann ich also am Montag zuversichtlich zu dem Bewerbungsgespräch gehen. Wenn dann auch noch die Bezahlung in Ordnung ist, habe ich hier die Möglichkeit, meiner häuslichen Einsamkeit zu entgehen, Geld zu verdienen und noch etwas Gutes für die älteren Mitbürger zu tun.“
Gerda konnte kaum den Montag erwarten, an dem es sich zeigen würde, ob dieser Job der richtige für sie wäre. Mit Jessy sprach sie auch über ihr Vorhaben, als das junge Mädchen nach ihrer Nachtschicht in der Diskothek endlich gegen Mittag aufwachte.
„Ich finde die Idee gut“ meinte auch Jessy. „Ich habe schon öfters von dieser Firma gehört. Es wird überall gut darüber gesprochen.“
Endlich wurde es nun Montag. Gerda war ziemlich aufgeregt, als sie sich auf den Weg zur Langen Straße und zum rollenden Senioren-Menue machte. Sie hatte sich so angezogen, dass man ihr den Boten für das Essen glaubte. Jeans, eine einfache Bluse und eine Jeansjacke, so sah sie sauber und zuverlässig aus. Wer sie so sah, konnte kaum glauben, dass dies die elegante Flugbegleiterin Frau Umweg war. In der Langen Straße angekommen, fand sie gleich das Haus Nummer 15, ein einfaches Mehrfamilienhaus und durchaus kein imponierender Sitz für eine Firma. Sie drückte auf die Klingel und eine junge Männerstimme bat sie in der Sprechanlage, in den 4. Stock hochzukommen.
„Oha, da will jemand sicher gleich testen, ob ich überhaupt in der Lage bin, schnell mit einem Seniorenessen die vielen Treppen zu bewältigen“, dachte sich Gerda und spurtete sportlich die Treppen hoch. Ohne zu schnaufen stand sie dann vor einer ganz normalen Wohnungstür, wo sie lachend von Herrn Winter, dem Inhaber der Firma empfangen wurde.
„Dies ist in der Tat für mich der Test, ob der Bewerber überhaupt in der Lage ist, diese Arbeit zu verrichten. Aber den haben Sie mit Bravour bestanden. Kommen Sie bitte in mein Büro. Ich denke, dass wir sicher gut miteinander arbeiten werden.“
Wie Gerda schon am Telefon vermutet hatte, war der Inhaber des rollenden Senioren-Menues wirklich noch ein sehr junger Mann, nicht älter als ihre Tochter. Er machte einen netten und höflichen Eindruck und Gerda war gespannt, was er ihr zu sagen hatte.
Sie setzte sich vor seinen riesigen, alten Schreibtisch, auf dem sich die Papiere häuften.
„Dies ist also die Zentrale meiner Firma, wo ich täglich die Einteilung meiner Boten für die verschiedenen Bereiche der Stadt vornehme“, erklärte Herr Winter. Und nun erzählte er von seiner Geschäfts-Idee zur Gründung dieses Unternehmens.
„Ich hatte bei meiner eigenen Mutter erlebt, wie schwierig es für Senioren ist, noch in ihrer eigenen Wohnung zu leben und sich gesund und ausreichend zu verpflegen. Da kam mir die Idee mit dem rollenden Senioren-Menue. Ich lasse von den angestellten Boten morgens das bestellte und in Wärmeboxen verpackte Essen in einer Großküche abholen und an die angemeldeten Senioren austeilen. Wenn Sie also für mich arbeiten würden, bekämen Sie einen bestimmten Teil von Krähenwinkel zugeteilt und müssten dort in der Mittagszeit den Senioren das bestellte Essen an die Tür oder in die Wohnung bringen. Leider sind ältere Menschen oft ziemlich ungeduldig und werden leicht ungehalten, wenn sie ihr Essen nicht zu der von ihnen bestimmten Zeit bekommen. Das geht jedoch zeitlich nicht immer und es kommt auf Sie an, wie Sie damit umgehen.“
„Ach, damit habe ich keine Probleme. Ich musste als Flugbegleiterin oft mit schwierigen Menschen umgehen und hatte da schon eine gewisse Routine, die sich bewährte.“
„Dann sind Sie ja genau die richtige Frau für diesen Job. Wann können Sie anfangen?“
„Moment, zuerst möchte ich gerne von Ihnen wissen, was ich bei dieser Arbeit verdiene.“
„Entschuldigung, Frau Umweg. Das hätte ich Ihnen natürlich gleich sagen müssen. Sie bekommen also für ungefähr drei Stunden Arbeit täglich eine monatliche Vergütung von 1500 Euro. Sie müssen aber mit Ihrem eigenen Auto fahren, weil ich noch keinen Wagenpark besitze.“
„Das ist nicht