Tödlicher Orient. Inka Claussen

Tödlicher Orient - Inka Claussen


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deinem kleinen Ausflug.«

      Und sie schaut ihn leicht von unten mit etwas schrägem Kopf kokett lächelnd an. Sofort ist Ottos aufkommender Argwohn verschwunden und er bemerkt ihren delikaten Zustand. Er nimmt ihren Überwurf und hängt ihn galant um die nackte Ayşe, die das, immer noch neckisch lächelnd, mit sich geschehen lässt.

      »Ich muss jetzt gehen. Wann sehen wir uns wieder?«

      »Mein Liebster, du kennst doch unsere Vereinbarung. Aber nachdem, was ich heute erlebt habe, kann ich nur sagen, wann immer du willst.«

      Otto ist erleichtert. Sichtlich gerührt verspricht er ihr aber, sie nicht noch einmal so unangekündigt zu besuchen. Nach einem langen Kuss verabschiedet sich Otto von Ayşe und geht auf die Straße hinaus in die Frühlingssonne. Ayşe ist noch immer ganz in Gedanken, nicht ganz bei sich, aber nicht wegen Otto, sondern wegen dem, was sie gelesen hat. »Heilige Stätte« – »Dschidda«, murmelt sie vor sich hin. Liegt da nicht Mekka ganz in der Nähe oder irrt sie sich? Was hat das nur zu bedeuten? Und dann diese hohe Geldsumme.

      Schnell beschließt Ayşe, Maggie, ihren geheimnisvollen Gast, beim nächsten Besuch davon zu erzählen. Maggie ist neugierig und liebt Rätsel. Kein Wunder, ist Maggie doch Archäologin, so sagt sie zumindest. Außerdem kann die liebste Maggie immer Geld gebrauchen. Ihr nächster Besuch lässt hoffentlich nicht so lange auf sich warten. Bestimmt nicht, denkt Ayşe, wenn ich ihr eine Andeutung über das Rätsel zukommen lasse. Wenn sie dann hier ist, lasse ich sie noch ein bisschen zappeln. Etwas anstrengen soll Maggie sich schon, bevor ich ihr alles berichte, sagt sich Ayşe und schließt gedankenverloren mit einem sinnlichen Lächeln ihre schwarzen Augen, um sich nach all den Besuchen etwas auszuruhen.

      Otto weiß von Ayşes geheimnisvollen Gedanken nichts. Nach diesem Besuch ist er eigentlich ganz entspannt und passiert dabei den Taksimplatz, ein weitgehend unbebautes, nur von einer riesigen Artilleriekaserne begrenztes Areal byzantinischen Ausmaßes. Kurz, bevor er das letzte Stück Weges zum Botschaftsgebäude zurückgelegt hat, fliegen Möwen schreiend an ihm vorbei, drehen und steigen in einem erstaunlich exakten Bogen über die Wipfel der wildwachsenden Ölbäume hinab Richtung des kleinen Fischerdörfchens Kabataş. Vom Bosporus her hört er das langgezogene Tuten eines Dampfers, der die zahlreichen kleinen Fischerboote aus seinem Weg haben will.

      Gutgelaunt kehrt Otto in die deutsche Botschaft zurück. Er ist stolz, in diesem repräsentativen, der Weltstellung des Deutschen Reiches angemessenen Gebäude Seiner Majestät dienen zu dürfen. Auf einem ehemaligen moslemischen Friedhof auf dem Taksimhügel gelegen, hat sich das Botschaftsgebäude zu einem wahren Blickfang entwickelt. Der Würde einer Großmacht entsprechend entfaltet der Bau einen monumentalen Charakter und ist mit einer gebührenden Pracht ausgestattet. Dekorative Wappen und Insignien prangen an der Außenfassade, während Inschriften, Büsten, Statuen und Gemälde im prunkvollen Inneren angebracht sind.

      Der quaderförmige, sechsgeschossige, achtundzwanzig Meter hohe Bau präsentiert sich als hoher, geschlossener Block, den fünfzehn Gebäudeachsen symmetrisch gliedern. Seine schlichte, braunrote Backsteinverblendung zusammen mit der nüchternen Strenge und den geschlossenen, glatten Fassaden wirken eher preußisch ernst. Dafür aber krönen insgesamt zehn auffliegende Adler aus Zinkguss mit ausgebreiteten Schwingen das Flachdach, die einander paarweise mit ausgebreiteten Schwingen zugewandt sind. Diese mächtigen Wappentiere unterstreichen den Großmachtanspruch des Deutschen Reiches. Otto ist immer wieder fasziniert von diesem Anblick, wenn er dem Botschaftsgebäude zustrebt.

      Nur nicht heute. Im Moment hat er dafür keinen Blick. Noch versunken in die Gedanken an die letzten leidenschaftlichen Ereignisse, schreitet Otto durch das Einfahrtstor mit seinen je zwei schmiedeeisernen Flügeln, deren Mitte ein vergoldetes Reichsadleremblem ausfüllt. In dem Moment, als er durch das Tor eintritt, greift Ottos Hand nahezu automatisch in seine Rocktasche und zieht den Brief hervor. Fast augenblicklich ist er hellwach. Ja, natürlich, der Umschlag. Flugs strebt er seiner Wohnung in der zweiten Etage entgegen, tritt ein und fällt geradezu in seine Chaiselongue. Das blutverschmierte Schreiben lässt ihn den ereignisreichen Tag kurz Revue passieren.

      Voller Dankbarkeit, dass er die Ereignisse unversehrt überstanden hat und sich bei Ayşe entspannen konnte, betrachtet er den Umschlag genauer. Die Zeichen kann er schnell als arabische Schriftzeichen entziffern. Was die wohl nur bedeuten?, fragt sich Otto. Ohne großartig nachzudenken, öffnet er den unverschlossenen Umschlag, achtet dabei aber darauf, dass seine gewaschenen Hände nicht das Blut berühren, auch wenn es mittlerweile getrocknet ist.

      Mit einem schnellen Ruck zieht er den Brief heraus und öffnet das gefaltete Schreiben. Voller Ungeduld und Neugier will er zu lesen anfangen, doch die arabischen Schriftzeichen halten ihn davon ab. Er lebt zwar schon seit einigen Jahren in Konstantinopel, doch vertraut ist er mit der komplizierten Schrift nicht. Enttäuschung macht sich breit und Otto will das Schreiben wieder in den Umschlag schieben. Da merkt er, dass sich hinter dem Schreiben noch eine weitere Seite verbirgt. Durch Feuchtigkeit und wohl auch durch das Blut hat sich die zweite Seite an die erste geklebt. Ganz behutsam, dabei seine nun schon fast rasende Ungeduld im Zaum haltend, löst Otto die zweite Seite ab. Was mag noch auf ihr geschrieben stehen?

      Endlich hat er sie ohne offensichtlichen Schaden abgelöst, da will er fast in einem Jubelschrei ausbrechen. Sie ist tatsächlich auf Deutsch verfasst. Gott sei Dank!

      Es scheint die Übersetzung des Schreibens zu sein. Schon beim ersten Überfliegen wird ihm klar, dass es sich um einen Kaufvertrag mit einer hohen Summe, eine sehr hohe Summe handelt. Zehntausend Türkische Pfund! Das sind ja, rechnet Otto schnell im Kopf um, einhundertachtzigtausend Mark! Nach heutigem Maßstab knapp eine Million Euro, doch das weiß Otto natürlich nicht. Ihm fällt spontan der Vergleich mit dem Jahreseinkommen eines Kommandierenden Generals der kaiserlich-deutschen Armee ein, weit mehr als das Zehnfache! Purer Wahnsinn!

      Und dann dieser seltsame Schluss. Rätselhaft. Noch einmal liest Otto den Kaufvertrag. Diesmal jedoch genauer. Er legt den Brief auf seinen Tisch und blickt nachdenklich aus dem Fenster. Er schüttelt den Kopf. Worin ist der von Darius – Gott habe ihn selig – nur verstrickt gewesen? Was hat der allseits als knauserig bekannte von Darius für diese hohe Summe nur gekauft?, fragt sich Otto kopfschüttelnd. Noch einmal liest er den seltsamen Hinweis, der wie ein Rätsel anmutet:

       Beide Parteien verpflichten sich zur strengsten Geheimhaltung der folgenden Angaben: Der verkaufte Gegenstand befindet sich in der Nähe der heiligen Stätte der Mohammedaner, unweit von Abwässern und unter dem A. Pascha Herrenhaus.

      Sehr ungewöhnlich für einen Kaufvertrag. Und dann noch dieser Satz ganz am Ende:

       Wenn weitere Dienste benötigt werden, wird jeder Familienzweig von Mustafa Satıcı, sei es in Konstantinopel oder Dschidda, bei der ihr heiligen Familienehre demjenigen, der dieses Dokument vorlegt, jetzt und in Zukunft jede erdenkliche Gefälligkeit beim Auffinden des verkauften Wertstücks gewähren.

      Dschidda, denkt von Wesenheim, das ist doch irgendwo in Arabien, oder? Ja, am Roten Meer, wenn er sich recht erinnert. Irgend so ein Wüstennest. Ein Außenposten am Rande des Osmanischen Reichs. Dort, wo man den Namen des Sultans kaum kennen dürfte.

      Otto von Wesenheims Neugierde ist geweckt und sein nächster Gedanke ist eigentlich naheliegend. Vielleicht gibt es weitere Hinweise in von Darius Wohnung, die sich ebenfalls im zweiten Stock der Botschaft befindet. Sie sind, nein, korrigiert sich Otto, waren quasi Nachbarn. Deshalb hat er auch einen Schlüssel zur Dienstwohnung des verunglückten Kanzlers.

      Mit leisen Schritten und unbeobachtet gelingt es Otto in die Wohnung zu kommen. Er schaut sich um. Ja, so kannten wir von Darius auch von der Arbeit. Immer alles sauber geordnet und korrekt aufgeräumt. Wonach suche ich eigentlich?, fragt sich Otto und blickt sich um. Am besten fange ich mit dem Sekretär an. Als ordentlicher Mensch hat Darius dort bestimmt seine Papiere deponiert. Neben den üblichen Schreibutensilien befindet sich nichts Ungewöhnliches auf dem Tisch. Alle Schubladen sind unverschlossen. Schnell schaut Otto die dort liegenden Papier und Sachen durch. Nichts! Verdammt noch mal! Enttäuscht schiebt er die unterste Schublade auf der linken Seite wieder hinein und entschließt sich zu gehen.

      Da bemerken seine Finger


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