Phantombesuch. Gaby Peer
spürte sie ein Feuer in ihrem Gesicht, das sich in Windeseile auf die Ohren und den Hals ausbreitete. Sie fühlte sich wie ein Leuchtturm und schämte sich sehr.
An diesem Tag hatte das große Rennen begonnen. Alle weiblichen Kollegen – ob Ärztin, Krankenschwester, Pflegerin, Putzfrau, Kantinenfrau oder Patientin – himmelten Manuel an und hyperventilierten in seiner Nähe. Ständig fiel einer Kollegin vor Aufregung etwas aus den Händen, wenn Manuel in Sichtweite war. Schnell wurde ein Blick in den Spiegel geworfen, um noch zu retten, was zu retten war. So aufgebrezelt hatte Elena ihre Mitstreiterinnen höchstens einmal im Jahr zur Weihnachtsfeier gesehen. Die Lippenstifte waren immer parat – in greifbarer Nähe – und hätte Manuel alle angebotenen Kaffees tatsächlich getrunken, wäre er vermutlich schon längst an einem Herzinfarkt gestorben. Er schien es so richtig zu genießen, denn er schäkerte und zwinkerte auf Teufel komm raus. Und trotzdem bildete Elena sich ein, dass er auf sie ein besonderes Auge geworfen hatte. Ach was, dachte sie – das denkt sicher jedes weibliche Wesen, das sich in seinem Dunstkreis aufhält. Er hatte eine ganz besondere Art, Frauen Aufmerksamkeit zu schenken, sodass diese sich gleich weiß Gott was einbildeten.
Dann kam der Tag, an dem Elena beschloss, sich an diesem Wettrennen nicht mehr zu beteiligen. Diesen Affenzirkus mache ich doch nicht mit, dachte sie trotzig. Er ist ein schrecklich eingebildeter Lackaffe, der mit den Gefühlen anderer Menschen spielt. Widerlich! Nicht mit mir!
Der Herr Oberarzt verkraftete ihre abweisende Haltung nur sehr schlecht. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass Elena ihn tatsächlich nicht mehr beachtete. Immer wieder versuchte er, sie bewusst und herausfordernd anzulächeln. Er war ganz verliebt in ihre Grübchen. Deshalb wollte er, dass sie möglichst oft zurücklächelte. Noch süßer fand er den feuerroten Kopf, den Elena innerhalb von Sekunden bekommen hatte, wenn er sie angesprochen hatte. Und nun? Hatte sie einen Knopf, den sie auf „Aus“ geschaltet hatte? Wie ging das von heute auf morgen? Sie gab ihm kurze und fachlich einwandfreie Antworten, aber sie errötete nicht mehr und lächelte ihn auch nicht mehr an. Was hatte er falsch gemacht? Hatte er sie beleidigt? Er konnte sich an nichts erinnern, was sie hätte so verletzen können.
Aber Manuel dachte nicht daran, aufzugeben. Er war auch nicht in seiner Ehre verletzt – das jedoch interpretierte Elena in seine Bemühungen, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich bin jetzt nur interessant, weil ich ihm die kalte Schulter zeige. So was ist der Herr nicht gewohnt. Jetzt muss der Herr Doktor der kleinen, zickigen Krankenschwester zeigen, dass er alles bekommt, was er will. Aber da hat er sich getäuscht, denn mir ist sonnenklar, dass er mich fallen lassen wird, sobald er sein Ziel erreicht hat. Ganz so blöd bin ich dann doch nicht – auch wenn ich nicht studiert habe, weiß ich genau, was der Kerl mit mir vorhat, schimpfte Elena in sich hinein.
Manuel passte seinen Dienstplan immer häufiger an ihren an, bis er letztendlich fast identisch mit Elenas Arbeitszeiten war. Sie konnte ihm so gut wie nicht mehr aus dem Weg gehen und ganz gegen ihren Willen verliebte sie sich immer mehr in ihn. Sie war so wütend auf sich selbst. Elena wollte auf keinen Fall die Kontrolle über ihre Gefühle verlieren, denn am Ende würde sie sicherlich bittere Tränen weinen und zum Gespött der Kollegen werden. Er war nicht aufdringlich, aber jeder konnte spüren und sehen, wie sehr Elena ihm gefiel.
Nach einem dramatischen Todesfall auf ihrer Station war Elena unglaublich erschüttert und mit den Nerven am Ende. Sie wollte nur nach Hause – oder wollte sie doch nicht in ihre kleine Wohnung fahren, um dort alleine zu sein? Sie überlegte angestrengt, ob sie lieber zu ihren Eltern fahren sollte oder zu ihrer Schwester. Ihre Mutter würde Elena mit ihrem jämmerlichen Wehklagen noch weiter herunterziehen und bei ihrer Schwester war es immer sehr laut und turbulent. Ihre Freundinnen waren auf die Schnelle alle nicht verfügbar. Als sie an ihrem Auto angekommen war, hatte sie sich entschieden, nach Hause zu fahren. Dort wollte sie noch ein bisschen spazieren gehen, bevor sie in ihre Wohnung gehen würde.
Erleichtert, zu einem Entschluss gekommen zu sein, setzte sie sich in den Wagen und wollte den Motor starten. Da tat sich allerdings nichts, einfach gar nichts – nicht einmal ein komisches Geräusch bekam sie zu hören. Ganz tief einatmen und noch einmal probieren. Mist! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. In letzter Zeit hatte sie oft darüber nachgedacht, wie alt ihre Kiste war und dass sie langsam daran denken musste, dass der Tag X kommen würde, an dem das Auto schrottreif sein würde. Heute schien es so weit zu sein. „Ausgerechnet heute! Das ist wirklich nicht nett, Lissy“, schimpfte Elena, die ihren Autos immer Namen gab, leise vor sich hin. „Nicht heute!“
Plötzlich klopfte jemand an die Fahrertür und Elena erschrak. Es war schon dunkel und erst letzte Woche war eine Frau auf diesem Parkplatz überfallen worden. Doch dann erkannte sie Manuels Gesicht. Sie lächelte schief, drehte die Scheibe herunter und sagte: „Das ist heute wohl kein guter Tag.“
„Will er nicht anspringen?“
„Das ist eine Sie – Lissy“, sagte Elena und ärgerte sich sofort über diese dämliche Antwort.
Aber Manuel lachte herzhaft. „Sie geben Ihrem Auto also auch einen Namen? Mein aktuelles heißt Hugo! Kann ich Sie mitnehmen? Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass ich eigentlich keine Lust habe, nach Hause zu fahren. Aber ich habe auch keine Lust auf meine Familie und schon gar nicht auf Freunde. Der Fall hat mich mitgenommen. Dieser plötzliche und völlig unerwartete Tod – und dann die Verzweiflung der Familienmitglieder. Ich werde mich wohl nie wirklich an solche Szenen gewöhnen. Ich schaffe es nicht, mich abzuhärten und abzugrenzen! Kluge und sicher wahre Worte – aber was ist, wenn die Gefühle das anders sehen? Hätte ich doch noch etwas tun können? Habe ich wirklich alles versucht? Habe ich nichts übersehen oder sonst einen schwerwiegenden Fehler gemacht? Es ist so quälend.“
Elenas Mund blieb offen stehen. Zu solchen Gefühlen und Gedanken war dieser Sonnyboy fähig? Er war doch ein oberflächlicher Gigolo. Verdammt, gerade zerstörte dieser Kerl ihr unter großer Anstrengung zurechtgeschneidertes Bild von ihm. Nur so konnte sie die Gefühle, die für ihn immer intensiver wurden, mühsam unterdrücken. Sie hatte ihn sich regelrecht schlechtgeredet. Er ist eine ganz miese Type – und basta! Dann hörte sie sich sagen: „Ja, so geht es mir auch. Aber nicht alleine sein und niemanden treffen zu wollen – na ja, das passt irgendwie nicht zusammen.“
„Ich habe ja nicht ‚niemand‘ gesagt. Mit Ihnen als Mitbetroffene würde ich sehr gerne noch ein Glas Wein trinken und reden.“
„Sie meinen, wir beide?“ Manuel lächelte so lieb, dass Elena gegen ihren festen Willen auf der Stelle dahinschmolz. Das ärgerte sie sehr. Aber sie hatte keine Zeit, sich weiter mit ihren Gedanken zu beschäftigen, weil die Autotür geöffnet wurde, eine Hand nach ihrem Arm griff und sie, wie sie später immer wieder gerne behauptete, quasi ungefragt mitgeschleift wurde.
Manuel verteidigte sich immer wortreich. Er hatte keinerlei Gewalt anwenden müssen. Elena sei ganz selbstständig und ohne den geringsten Widerstand aus ihrem Auto gestiegen und mit ihm zu seinem Hugo gelaufen.
„Hugo – meinen Sie wirklich, dass der Name zu diesem Auto passt?“
„Wieso – was ist daran verkehrt?“
„Dieses megaschicke, sportliche Auto soll Hugo heißen? Das ist eine Beleidigung!“
„Welcher Name würde Ihrer Meinung nach passen?“
„Puma wäre ganz okay!“
Manuel schaute sie an und sagte staunend: „Ja, das ist wahr – der Name ist passend. Aber dann müssen Sie mit uns eine kleine Tauffeierlichkeit veranstalten.“
Jetzt musste auch Elena lachen. Sein Humor gefiel ihr – er war dem ihren sehr ähnlich.
Es wurde ein wunderschöner Abend und der Grund, weswegen sie zusammensitzen wollten, war, wie sie sich später beschämt eingestehen mussten, schnell nicht mehr Thema. Es wurde sogar ein richtig lustiger Abend. Sie stellten fest, dass sie über die gleichen Witze lachen konnten, dass sie beide gerne joggen gingen, in jeder freien Minute lasen, gutes Essen und kreatives Kochen sehr liebten. Dass Elena schon jahrelang von einem exotischen Urlaub träumte, was für Manuel dagegen schon vor langer Zeit zur jährlichen Normalität geworden war. Ebenso stellten sie fest, dass sie den gleichen Musikgeschmack