Phantombesuch. Gaby Peer

Phantombesuch - Gaby Peer


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im Ohr und einer beleidigten Ehefrau im Herzen von dannen ziehen müsste. Elena ist einfach großartig und einzigartig – sie ist mein persönlicher Sechser im Lotto, stellte Manuel glücklich fest. Ihr gemeinsames Leben war manchmal wirklich allzu perfekt.

      Was hatte Elena heute Nacht wieder einmal – wie schon so oft – in sein Ohr geflüstert? „Ich hab so Angst, dass etwas Schreckliches passiert. Es ist alles viel, viel zu schön, um wahr zu sein. So kann es doch nicht für immer bleiben!“

      „Ich werde mir die größte Mühe geben, meine Süße, dass es für immer und ewig so bleibt“, hatte er voller Inbrunst geantwortet.

      Der Abschied war wie immer, wenn er für längere Zeit verreiste. Sie drückten und küssten sich innig – immer und immer wieder. Er wendete sich ab zum Gehen, kam wieder einen Schritt zurück und alles ging von vorne los. Es war jedes Mal das gleiche Spielchen und die Kinder machten sich mit ihren vier und sechs Jahren schon lustig über dieses Ritual. Sie sahen sich lange und intensiv in die Augen und Elena wünschte ihm alles Glück der Welt. „Ich werde in Gedanken bei dir sein, mein Schatz, und bitte melde dich, sobald du eine Gelegenheit dazu hast. Ich bin so gespannt. Lass mich nicht zu lange schmoren.“

      Jetzt musste er sich wirklich gewaltsam loseisen, denn sein Flugzeug würde nicht auf ihn warten. Er musste die Kinder unterwegs noch abladen und bis zum Flughafen hatte er bei guten Verkehrsverhältnissen mindestens eine halbe Stunde Autofahrt vor sich. Manuel strich Elena die lästigen Haarsträhnchen aus dem Gesicht, sah ihr nochmals tief in die Augen und bedeckte ihr ganzes Gesicht mit Küssen. Dann gönnte er sich noch einen verschmitzten Blick in ihr Nachthemd und wurde dafür ordentlich gekniffen. „Pass gut darauf auf!“

      „Du bist ein alter Lustmolch!“

      „Was ist ein Lustmolch?“, fragte Selina neugierig.

      „Komm, ich erkläre es dir im Auto, Maus“, sagte Manuel und zog die Kleine mit einem Augenzwinkern zum Auto.

      Unmöglicher Kerl, dachte Elena selig, als sie ihm nachsah, wie er fröhlich mit ihren Kindern Spaß machte und mit beiden an der Hand zur Garage rannte. Es ist alles so schön, so perfekt, so unnatürlich, überirdisch einmalig. Wie komme ich zu diesem unverschämten Glück? Alle meine Freundinnen schlagen sich mit Partnerschaftsproblemen und zum Teil großen Schwierigkeiten mit ihren Kindern herum. Bei mir läuft alles wie von selbst – so entspannt, so unkompliziert. Wenn es einmal ein Problem – besser gesagt ein Problemchen – gibt, wird es schnell, vernünftig und zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst. Meine Kinder bocken äußerst selten. Die beiden sind meistens fröhlich, brav und wenn etwas geklärt werden muss, akzeptierten sie normalerweise ohne größere Diskussionen die vorgegebenen Regeln, dachte Elena dankbar.

      Es war nicht so, dass die Kleinen keine eigene Meinung hatten oder äußern durften, aber sie ließen sich mit vernünftigen Argumenten eines Besseren belehren. Lois und Selina verhielten sich sehr höflich, rücksichtsvoll, hilfsbereit und mitfühlend gegenüber Dritten. Das Verhaltensmuster war exakt das, wie es Elena und Manuel ihnen vorlebten. Im Kindergarten wurden die beiden sehr oft gelobt und als leuchtende Vorbilder angepriesen.

      „Das kann ja nicht immer so bleiben. Ich fürchte mich sehr – dieses makellose Glück ist mir unheimlich, Manuel“, hatte Elena erst neulich wieder geklagt.

      „Wir können uns ja gerne Probleme anschaffen, wenn du unbedingt welche möchtest oder zu deiner Beruhigung brauchst“, hatte Manuel sie lachend geneckt. „Du hast ja auch sehr lange an einen Haken in unserer Beziehung geglaubt. Du hast immer darauf gewartet, dass ich endlich mein wahres, also mein böses Gesicht zeige. Und? Wartest du immer noch oder hast du es endlich aufgegeben?“

      Er hatte ja recht. Eigentlich sollte sie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und Sekunde einfach nur genießen. Wenn ein Elend über sie hereinbrechen sollte, würde es ausreichen, sich erst dann verrückt zu machen. Es war schon ziemlich dumm, sich gute Zeiten mit ängstlichen Gedanken wie „Was ist, wenn …“ zu verderben. Manuel hatte recht – wie immer! Er war so klug – sie liebte ihn so sehr. Er war ihre Luft zum Atmen, er war ihre wärmende Sonne! Oh, das hört sich schon sehr kitschig an – fast schon poetisch, stellte Elena schmunzelnd fest. Übertreibe ich mit meinen Empfindungen? Idealisiere ich unsere Beziehung zu sehr? Nein, beschloss Elena mit voller Überzeugung, alles ist genau so, wie ich es gerade gedacht habe. Meine Liebe zu Manuel ist definitiv so groß und intensiv! Und deswegen schrieb sie diesen Satz auch genau so als Nachricht an Manuel – mit vielen Herzen und Kussmund. So, jetzt aber ans Werk, Frau Schrader! Der Haushalt erledigt sich nicht von allein und einkaufen sollte ich auch noch ganz dringend.

      In Windeseile, fröhlich und mit lauter Musik, die durch das ganze Haus dröhnte, erledigte sie alles, was sie sich für diesen Morgen vorgenommen hatte. Dann machte sie sich schick und schließlich auf den Weg zum Einkaufen. In der Garage angekommen, stellte sie fest, dass sie ihren Einkaufszettel in der Küche vergessen hatte. „Ja, wer es nicht im Kopf hat, der muss es in den Beinen haben“, murmelte sie belustigt. Auf dem Weg in die Küche schaute sie nochmals auf ihr Handy, ob Manuel auf ihre Nachricht geantwortet hatte. Nein, hatte er nicht, stellte sie enttäuscht fest. Bestimmt saß er schon im Flugzeug neben einem ach so wichtigen Menschen, mit dem er sich ernsthaft und äußerst fachmännisch unterhalten musste. Als Elena wieder aus dem Haus kam, erschrak sie beim Anblick der zwei Polizisten, die auf sie zukamen. Sie sah sie fragend an und war sich sicher, dass sie sich im Haus geirrt hatten.

      „Frau Schrader, Elena Schrader?“

      „Ja, das bin ich“, sagte sie noch mit fester Stimme und dachte, dass die beiden wenigstens guten Tag sagen könnten. Aber vielleicht ist es ja kein guter Tag mehr, dachte sie plötzlich, von einer schrecklichen Ahnung erfasst.

      Dann baten die beiden Herren darum, ins Haus eintreten zu dürfen. Elena führte sie ins Wohnzimmer, während sich eine starke Unruhe und Hitze in ihrem Bauch ausbreitete und ihr Kopf zu glühen anfing. Das alles geschah innerhalb weniger Sekunden. Sie spürte regelrecht, dass von den beiden Uniformierten etwas Schreckliches, etwas Vernichtendes kommen würde. Etwas, das sie vollkommen aus der Bahn werfen könnte. Sie sollen wieder gehen! Geht doch einfach wieder, wollte Elena am liebsten laut schreien. Ich will das nicht. Ich will nichts von euch hören – kein einziges Wort dürft ihr sagen, wehrte sie sich innerlich ganz verzweifelt. Aber sie sah, wie der Mund des kleinen, dicken Polizisten sich zu bewegen begann. Er sprach wohl schon – sie sollte ihm zuhören.

      „… es war eine schlimme Massenkarambolage. Er war sofort tot.“

      Das hörte Elena, als sie wieder in der Lage war, sich auf das Gesprochene zu konzentrieren. „Wer war sofort tot?“, hörte sie sich fragen.

      „Ihr Mann, Frau Schrader. Sie sagten doch, Sie seien Elena Schrader.“

      „Mein Mann sitzt im Flugzeug nach Berlin. Es kann sich hier nur um eine Verwechslung handeln.“

      „Es ist auf dem Weg zum Flughafen zu einem schlimmen Unfall gekommen. Wir wissen noch nicht, warum es dazu kam. Es tut uns wahnsinnig leid, Ihnen so eine Nachricht überbringen zu müssen. Gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen können? Sie sollten jetzt nicht alleine sein.“

      „Meine Schwester, Julia“, hörte Elena sich antworten. Es war, als ob sie neben sich stehen und sich selbst beobachten würde. Es war alles so gespenstisch. Nein, sie träumte sicher nur und würde gleich aufwachen. Bestimmt! Manuel war ein sehr guter und sicherer Autofahrer.

      „Könnten wir bitte die Nummer Ihrer Schwester haben? Dann rufen wir sie an.“

      Wie ferngesteuert nahm sie das Handy aus ihrer Tasche und schaute nochmals nach, ob Manuel geantwortet hatte. Vielleicht hatte er es sogar gerade eben getan. Dann hätte sie einen handfesten Beweis, dass es sich hier nur um eine Verwechslung handeln konnte. Aber nein, da war keine Nachricht. Ihre Hände zitterten unkontrolliert. Ihre Beine fühlten sich an, als ob sich sämtliche Knochen langsam in weichen Schleim verwandeln würden. Dann wurde es schwarz um Elena.

      3

      Sie wachte auf


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