Der Hüter der Sphären. Chris Vandoni
Fall werden die Behörden den Vorfall mit dem liegengebliebenen Robo-Transporter auf dem Highway genau untersuchen.«
»Im Nachhinein sind wir alle klüger«, erwiderte der Mann im Anzug gereizt. »Auf jeden Fall werden sie nichts finden, was auf uns zurückzuführen wäre. Der Mann hat aus eigener Initiative gehandelt. Wir haben nur ein kleines bisschen nachgeholfen, ihm sozusagen ein paar kleine Hindernisse aus dem Weg geräumt. Wir haben noch genügend andere Labors, in denen an den Partikeln experimentiert wird. Allerdings hat Ross nicht in einer geheimen Forschungseinrichtung experimentiert, sondern in einer öffentlich bekannten Niederlassung von Norris & Roach, wenn auch heimlich. Es war für uns daher nicht schwierig, unter irgendeinem Vorwand ab und zu unsere Leute hinzuschicken und die ganze Angelegenheit unauffällig zu kontrollieren. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sich in unseren eigenen Labors ein solcher oder ähnlicher Vorfall nicht wiederholt.«
»Ich werde mit den Security-Abteilungen aller Stationen Kontakt aufnehmen und die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen lassen.«
»Tun Sie das.«
Der Untergebene rief auf seinem Monitor einige Funktionen auf, eröffnete eine Konferenzschaltung mit allen anderen Stationen und begann, mit verschiedenen Leuten zu reden, gab Anweisungen, erteilte Befehle, nannte einen Zeitpunkt, bis zu dem alles ausgeführt werden sollte, und verlangte von allen eine entsprechende Rückmeldung.
Der Mann im Anzug hörte nicht länger zu. Er erhob sich aus seinem Sessel und trat zur breiten Glasfront hinüber, die ihm den Blick hinab in eine große, mit unzähligen Gerätschaften und Arbeitstischen gefüllte Halle gewährte, in der es von weißgekleideten, emsig arbeitenden Menschen nur so wimmelte. Da die Glasfront schalldicht war, drangen keinerlei Geräusche in sein großzügig eingerichtetes Büro. Tageslicht gab es in der gesamten Einrichtung nicht, da sie unterirdisch angelegt und streng geheim war. Daher wurde mit einer entsprechenden Beleuchtungstechnologie künstliches Tageslicht erzeugt. Weder die Bevölkerung noch Ämter oder Behörden wussten über diese Einrichtung Bescheid.
Der Mann im Anzug besaß an verschiedenen Orten auf der Erde weitere solcher Einrichtungen, die alle unabhängig voneinander an Teilaufgaben des Projekts arbeiteten. Er hatte dafür gesorgt, dass an jedem Teilbereich redundant gearbeitet wurde. So gab es jeweils nicht nur eine Station für einen Bereich, sondern mindestens zwei. Sollte eine der Stationen entdeckt oder durch eine Panne zerstört werden, gab es mindestens eine weitere, welche die Teilaufgabe weiterführte. Trotz dieser Unabhängigkeit wurden untereinander über geheime Kanäle laufend Ergebnisse und Erfahrungen ausgetauscht.
Auch verfügte er weltweit über viele Fachkräfte in unterschiedlichen Fachbereichen, die an seinem Projekt arbeiteten, es überwachten und steuerten. Eine Panne wie die in Tuba City hatte es bisher noch in keiner seiner Forschungseinrichtungen gegeben. Er musste sich eingestehen, dass es im Nachhinein betrachtet ein Fehler gewesen war, Zachary Ross so lange gewähren zu lassen. Aber der Enthusiasmus dieses jungen Mannes und die Akribie, mit der er das Vorhaben aufgegleist und durchgeführt hatte, hatten ihn an sich selbst erinnert, als er vor vielen Jahren die Idee zu seinem Projekt gebar. Auch ihm waren im Verlauf der Zeit einige Fehler unterlaufen, die aber nie zu einem derartigen Desaster geführt hatten wie in Tuba City. Er hatte aus all seinen Fehlern gelernt und immer einen Ausweg gefunden. Ross hingegen hatte im entscheidenden Moment nicht die Nerven gehabt, falsche Entscheidungen getroffen und versagt.
Viele seiner weltweit eingesetzten Spezialisten arbeiteten nicht ganz freiwillig an dem Projekt. Sie hatten zuvor mittels Psychoserum davon überzeugt werden müssen. Doch es gab auch solche, bei denen dies nicht notwendig gewesen war, die von seinen Plänen voll und ganz überzeugt waren.
Die Forschung an den außerirdischen Nanopartikeln war in eine wichtige Phase getreten. Nach anfänglich vielen Schwierigkeiten und Misserfolgen hatte man endlich einen entscheidenden Schritt vorwärts gemacht. Nachdem die Partikel zu Beginn bei den meisten Experimenten ein merkwürdiges Eigenleben an den Tag gelegt hatten, hatte man dieses Problem in den Griff bekommen. Auch die Klonversuche, die anfänglich aufgrund unangenehmer Nebenwirkungen ebenfalls gescheitert waren, gelangen jetzt zufriedenstellend.
Schon einmal hatte man ein Serum zu entwickeln versucht, das auf Menschen eine psychosomatische Wirkung ausübte. Durch Beeinflussung des Willens waren viele Menschen gefügig gemacht und davon überzeugt worden, für seine Sache zu arbeiten. Daran hatte der Konzern Norris & Roach in seiner Niederlassung in Tongalen gearbeitet, doch waren viele Versuchspersonen an den Nebenwirkungen gestorben. Der Mann im Anzug besaß entsprechende Beziehungen zu Behörden und Ämtern, sodass es für ihn ein Leichtes gewesen war, die digitalen Akten dieser Forschungsergebnisse in seinen Besitz zu bringen. Aufgrund der damaligen Erfahrungen war es ihm gelungen, ein neues Serum ohne Nebenwirkungen entwickeln zu lassen.
Vor kurzem hatte man ein weiteres Serum aus Partikeln entwickelt, jedoch für einen anderen Zweck, dessen Wirkung an Tieren getestet worden war. Dieses Serum sollte unter anderem das emotionale Verhalten stabilisieren, vor allem Aggressionsanfälle vermindern. Aber es sollte noch andere Wirkungen entfalten, die weit darüber hinausgingen. Das war den meisten seiner Wissenschaftler nicht bekannt, sie waren lediglich mit Teilaufgaben beschäftigt, sodass sie das gesamte Projekt nicht in vollem Umfang kannten. Die Koordination aller Teilprojekte unterstand nur einer kleinen Anzahl von Vertrauten und ihm selbst.
Nachdem sich bei den ersten Experimenten an Tieren keine nennenswerten Nebenwirkungen gezeigt hatten, war man zuversichtlich, einen Versuch an einem Menschen zu wagen. Die Liste an Freiwilligen war verblüffend lang gewesen. Erstaunlicherweise waren darunter auch Personen, die nicht unter dem Einfluss des Psychoserums standen, doch es waren vorwiegend Leute, die in das Projekt involviert waren und auf die man nicht verzichten konnte. Menschen in der Öffentlichkeit zu rekrutieren, gestaltete sich hingegen nicht ganz einfach. Daher hielt man hauptsächlich unter Obdachlosen Ausschau.
Am liebsten hätte der Mann im Anzug selbst an den Versuchen teilgenommen. Doch er wusste, dass es nach wie vor einige Risiken gab. Daher wollte er abwarten. Allzu lange würde es jedoch nicht mehr dauern, sollte alles weiter so erfolgreich verlaufen, wie es in letzter Zeit der Fall gewesen war. Es hatte bisher weder Pannen noch ungewöhnliche Auswirkungen gegeben, und man hatte genügend Daten gesammelt, um zuverlässige Analysen durchführen zu können. Nach deren Auswertungen würde einem Menschenversuch nichts mehr im Wege stehen.
Das Projekt war in eine Phase getreten, die allen Beteiligten mehr und mehr klarmachte, welche Veränderungen der Menschheit bevorstanden.
9.
Nachdem Dan Levinson, Benjamin Rosenbergs Anwalt, eingetroffen war und sich mit den Ermittlern unterhalten hatte, wurde Benjamin freigelassen. Kim holte ihn aus dem Untersuchungsgefängnis ab und brachte ihn nach Hause. Mit großer Bestürzung erfuhr sie dabei von Jennifers Tod.
Anschließend rief sie die regionale Polizei an, um sie über den Vorfall in der Wüste zu unterrichten. Zuerst ließ man sie lange in einer Warteschlange hängen, bevor sich eine Beamtin meldete und sie nach den Umständen fragte. Kim erklärte ihr den Vorfall so gut, wie sie ihn noch in Erinnerung hatte. Als sie die aggressiven Partikelschwärme erwähnte, wurde die Verbindung plötzlich unterbrochen und jemand anders schaltete sich in das Gespräch ein.
»Miss, können Sie mir den genauen Ort des Vorfalls nennen?«, fragte ein Mann mit monotoner Stimme.
»Wer sind Sie denn?«, fragte Kim überrascht.
»Ich gehöre zum Untersuchungsteam, das einen Unfall in der Nähe Ihres Vorfalls mit den Schwärmen untersucht. Also, wo war das genau?«
»Das war etwa zwei Kilometer südlich vom Havasupai Point. Die Schwärme kamen den Abgrund heraufgekrochen.«
»Wie groß waren diese Schwärme?«
»Etwa zwei bis drei Meter im Durchmesser. Sie hatten eine unregelmäßige Form und veränderten diese laufend.«
»Vielen Dank für Ihre Informationen. Sollte Ihnen dazu noch etwas einfallen, rufen Sie wieder die regionale Polizei an. Wir gehen der Sache nach. Bitte halten Sie sich von diesem Ort fern.«
»Ja, das werde ich bestimmt tun. Was war das für ein Unfall?«
»Das