Der Hüter der Sphären. Chris Vandoni
Mittag führten ihn Sicherheitsbeamte zu seinem Aerobike und eskortierten ihn anschließend durch die Absperrungen.
Natalia Kirova traute ihren Augen nicht, als sie die Messdaten der Untersuchung auf dem Display sah. Sie hatte den ganzen Nachmittag und die halbe Nacht damit verbracht, die dunkelgrauen Partikel zu analysieren. In ihren zweiundzwanzig Jahren als Mikrobiologin hatte sie schon manche Ungereimtheit erlebt. Bisher hatte sich alles auf irgendeine Weise erklären lassen. Doch dieses Mal zweifelte sie entweder an der Funktionstauglichkeit der Geräte oder an ihrem Verstand. Was sie hier zu sehen bekam, war schlicht und einfach nicht möglich.
Bei den Partikeln schien es sich um Einzeller in Molekülgröße zu handeln. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht biologisch, sondern synthetisch waren. Ursprünglich, denn sie fand heraus, dass die Partikel mit den organischen Zellen von Agent Peters Körper eine Verbindung eingegangen waren.
Kurz nachdem sie mit ihrem Team am Unfallort eingetroffen war, hatten sie den Leichnam, oder das, was von ihm noch übrig war, mit Trockeneis besprüht und danach in eine Isolierbox verpackt. Im mobilen Untersuchungslabor wurden Proben entnommen und analysiert. Das Ergebnis hatte das gesamte Team vor den Kopf gestoßen.
Natalia Kirova hatte ein einziges Partikel isoliert und es unter dem Elektronenmikroskop beobachtet. Es passierte überhaupt nichts. Das einzelne Partikel war völlig inaktiv. Als sie jedoch eine ganze Kolonie von Partikeln beobachtete, konnte sie rege Aktivitäten feststellen. Die Partikel funktionierten also nur im Kollektiv!
Sehr eigenartig war, dass Agent Peters’ Zellen anscheinend noch lebten und sich teilten. Kirova konnte allerdings nicht feststellen, ob sie eine eigenständige Existenz führten oder ob sie von den synthetischen Einzellern am Leben erhalten und gesteuert wurden.
Die wohl verblüffendste Tatsache war jedoch, dass die organischen Zellen zwei verschiedene DNS-Codes enthielten. Der eine war mit jenem von Agent Peters identisch. Für den zweiten hatte sie keine Erklärung. Hastig aktivierte sie ihren Kommunikator und wählte die zentrale Datenbank an.
»Natalia Kirova, Identifikationscode SD463-89a23f7, ich benötige die Daten zu folgendem DNS-Code.«
Sie betätigte ein paar Tasten und übermittelte den DNS-Code.
»Zugriff genehmigt und Datenempfang bestätigt«, klang eine synthetische Stimme aus dem Gerät. »Die angeforderten Daten werden sofort übermittelt.«
Kirova leitete den Empfang auf ihren Rechner um, ein längliches Gerät mit einem breiten Display, das um ihren linken Unterarm geschnallt war.
Wenig später erklang ein kurzes Signal und bestätigte den Empfang der Daten. Sie blickte auf das Display und las: »DNS-Code Jennifer Rosenberg, 26 Claremont Street, Boulder City.«
7.
Kim wurde durch Schreie und anderen Lärm aus dem Schlaf gerissen. Flackerndes Licht drang von draußen durch den Flur in ihr Schlafzimmer. Ein Blick auf die digitale Zeitanzeige sagte ihr, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. Vom Schlaf immer noch halb gelähmt, rappelte sie sich hoch, schlurfte ins Wohnzimmer und blickte zwischen den Lamellen hindurch aus dem Fenster.
Draußen standen zwei Gleiter der örtlichen Polizei mit Blaulicht. Zwei uniformierte Beamte lehnten sich an die Fluggeräte und schienen zu warten. Der Lärm kam allerdings nicht von ihnen, sondern vom Haus der Rosenbergs. Es machte den Anschein, als hätte Benjamin Probleme mit zwei weiteren Beamten.
Kim ging zurück in ihr Schlafzimmer, zog sich Shorts und ein T-Shirt an und verließ das Haus. In diesem Moment sah sie, wie sich Benjamin zwischen zwei Beamten wand und sich zu befreien versuchte. Anscheinend hatten sie ihm Handschellen angelegt, denn seine Hände befanden sich auf dem Rücken.
Kim näherte sich der Grundstücksgrenze. Sofort kamen die beiden Beamten von den Gleitern auf sie zu.
»Bleiben Sie zurück, Miss«, sagte der eine und breitete beide Arme aus, um sie daran zu hindern, zwischen den Sträuchern hindurchzutreten.
»Was ist hier los?«, fragte sie verärgert.
»Das sehen Sie doch, wir nehmen eine Verhaftung vor.«
»Sie verhaften Ben Rosenberg?«
»Genau! Nun gehen Sie wieder zurück in ihr Haus. Sie können hier nichts tun.«
»Was wird ihm vorgeworfen? Was soll er getan haben?«
»Tut mir leid, wir können Ihnen darüber keine Auskunft geben.«
»Sie können ihn doch nicht einfach mitnehmen! Er hat nichts verbrochen! Ich kenne ihn sehr gut.«
»Bitte Miss, lassen Sie uns unseren Job erledigen.«
Der Beamte trat noch näher auf sie zu und verwehrte ihr den Zugang vollständig.
In diesem Moment wurde Benjamin an ihr vorbeigeführt.
»Ben, was ist los?«, rief sie ihm zu.
»Ich hab keine Ahnung. Sie haben mich nach Jenny gefragt. Ich wollte wissen, wo sie ist, aber sie sagen es mir nicht.«
»Ben, ich werde dich da rausholen. Mach dir keine Sorgen. Es ist bestimmt nur ein Missverständnis.«
»Ruf Dan Levinson an und berichte ihm, was passiert ist. Du kennst ihn ja.«
»Okay, werde ich machen. Wir werden alles klären.«
Benjamin, der sich mittlerweile beruhigt hatte, wurde zum vorderen Gleiter geführt und auf den Rücksitz verfrachtet. Kurz darauf schwebten die beiden Fluggeräte davon.
Kim wandte sich ab und rannte in ihr Haus zurück. Sie sprach Dan Levinsons Name in ihren Kommunikator, worauf dieser umgehend die Verbindung herstellte. Es dauerte eine Weile, bis der Gesprächspartner sich meldete.
»Dan?«, sprach Kim aufgeregt ins Headset. »Entschuldige, dass ich dich so früh anrufe.«
»Was ist denn los?«, fragte Levinson mit verschlafener Stimme.
»Ben wurde soeben verhaftet.«
»Wie bitte?« Nun klang er wesentlich frischer.
»Vier Polizisten haben ihn in Handschellen abgeführt.«
»Was hat er verbrochen?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben ihn gefragt, wo Jenny sei, aber er weiß es doch selbst nicht.«
»Wieso weiß er nicht, wo Jenny ist? Ist sie nicht bei ihm?«
»Eben nicht. Sie ist seit gestern verschwunden. Ben dachte, sie sei bei ihrer Mutter. Aber dort ist sie auch nicht.«
»Was für eine Scheiße soll das denn sein? Jenny verschwunden und Ben verhaftet? Die denken doch nicht etwa, er hätte ihr etwas angetan?«
»Keine Ahnung, aber ich befürchte, darauf wird es hinauslaufen. Er hat mich gebeten, dich anzurufen.«
»Ja, das war das Beste, was du tun konntest. Wir müssen jetzt einen klaren Kopf bewahren.«
»Wir müssen ihn da rausholen.«
»Zuerst sollten wir in Erfahrung bringen, was ihm vorgeworfen wird. Ich werde gleich zum Bezirksgefängnis fahren und mich um die Angelegenheit kümmern.«
»Ich komme mit.«
»Brauchst du nicht.«
»Ich will aber. Ich hole noch einige frische Kleider für Ben und seinen E-Book-Reader, falls sie ihn länger dabehalten wollen.«
»Also gut, treffen wir uns vor dem Bezirksgefängnis.«
Benjamin saß seit über einer Stunde in Handschellen und mit Fußfesseln um seine Knöchel auf einem unbequemen Stuhl in einem kahlen, grauen Raum ohne Fenster. An verschiedenen Stellen an den Wänden konnte er winzige Linsen von Überwachungskameras erkennen. Er wusste, dass irgendwelche Kriminalpsychologen an Monitoren saßen und seine Bewegungen und sein Mienenspiel studierten. Das taten sie immer vor einer Befragung. Auf diese Weise versuchten