Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
wichtige ‚Keimzellen‘ geschaffen. Diese Vorarbeiten konnten 1933 ohne innenpolitische Beschränkung nahtlos aufgegriffen werden.
Die mit Staatsmitteln ausgelöste Ansiedlung von Rüstungsbetrieben als Element der
„fabrikatorischen Vorbereitung“
Das 2. Rüstungsprogramm der Reichswehr forderte einen schnellen Aufbau von Produktionsmöglichkeiten für das in den 1920er Jahren im ‚Untergrund‘ erforschte und entwickelte Kriegsgerät. Neben der zuvor praktizierten finanziellen Unterstützung einzelner Firmen favorisierte das Heereswaffenamt die Gründung von Staatsbetrieben. Diese Anlagen sollten für den ‚Mobilmachungsfall‘ in Bereitschaft stehen und technisch so ausgelegt sein, dass sie bei Bedarf bereits in Friedenszeiten Teilbereiche der Produktion aufnehmen konnten.1 Die heereseigenen Fabriken sollten an die Stelle der früheren Heereswerkstätten treten, im Gegensatz zu ihnen aber nicht in staatlicher, sondern in privatwirtschaftlicher Form betrieben werden. Dahinter stand die Bestrebung, das militärische Primat der Wehrmacht in der Kriegswirtschaft zu sichern und übermäßigen Rüstungsgewinnen entgegenzuwirken.2 Ein erstes Werk nach diesem Konzept gründete das Heereswaffenamt in Donauwörth. Die dortige Werkzeug- und Maschinenfabrik hatte bis 1929 im Auftrag der Reichswehr Artilleriemunition hergestellt. Wegen angeblicher Qualitätsprobleme wurde der Firmeninhaber Loeffellad abgesetzt und der enteignete Betrieb 1934 reaktiviert. Zur Verschleierung bediente sich das Heereswaffenamt der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan), einer Tochtergesellschaft der zum Flick-Konzern gehörenden Maxhütte.3
Drahtzieher im Hintergrund war Eugen Böhringer, der Generaldirektor der Maxhütte. Er verfügte über einen Vertrauten im Beschaffungswesen des Heereswaffenamtes, den Referenten für kaufmännische und Vertragsangelegenheiten, Johann ‚Max‘ Zeidelhack.4 Bis 1933 noch Rechnungsprüfer bei der Maxhütte, war Zeidelhack Anfang 1934 zum Militär gewechselt. Unmittelbar nach seiner Einstellung unterbreitete er General Liese den Vorschlag, Donauwörth auszubauen, und im Frühjahr trat die Maxhütte die „Montan“ unentgeltlich an die Heeresverwaltung ab. Die „Montan-Anteile“ wurden zunächst auf Zeidelhack persönlich übertragen; erst 1938 erfolgte die formale Übernahme durch das Reich.5 Die „Montan“ wurde fortan zur Holding des Heereswaffenamtes für dessen Rüstungsbetriebe ausgebaut; sie finanzierte zahlreiche Neubauten auf Rechnung des Reiches.6 Die Geschäftsführung oblag bis 1943 Zeidelhack.
Die Standortwahl der heereseigenen Betriebe erfolgte nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Optimalität, sondern aus militärischen Gründen in möglichst abgelegenen Gegenden, fernab der großen Industriezentren und Verkehrsknotenpunkte. Ende November 1935 befanden sich eine Vielzahl heereseigener Betriebe in Planung; einige waren sogar schon im Bau. Die Fertigstellung dieser ‚fabrikatorischen Anlagen‘ war bis auf wenige Vorhaben spätestens Ende 1936 vorgesehen. Der Termin wurde in den meisten Fällen aber überschritten. Eine Aufstellung des Reichskriegsministers vom November 1935, die er am 8. Januar 1936 dem Reichs-Rechnungshof übermittelte, listet unter Decknamen 40 derartige Bauvorhaben auf. Für diese wehrmachtseigenen Produktionsstätten, soweit sie bis März 1936 geplant waren, standen Finanzmittel von über 226 Millionen RM zur Verfügung.7 Bis zum 15. November 1936 war der Betrag in den Militärhaushalten von Heer, Marine und Luftwaffe auf 333,65 Millionen RM heraufgesetzt worden; etwa die Hälfte der Kosten entfiel auf das Heer.8 Im Frühjahr 1937 wurde die „Montan-Hauptverwaltung“ von München nach Berlin verlegt und wenige Monate später der Jurist Dr. Karl Birkmeyer zum weiteren Direktor und stellvertretenden Geschäftsführer, ohne Änderung der Alleinvertretungsbefugnis Zeidelhacks, ernannt.9 Nachdem der Sitz der „Montan“ bei Luftangriffen im Herbst 1943 fast völlig zerstört worden war, wurde sie im November 1943 zum Schutz vor Bombardements in die Kleinstadt Lippoldsberg an der Oberweser verlegt. Nach Inbetriebnahme der ersten Fabrik in Donauwörth stieg die Zahl der von der „Montan“ verwalteten Betriebe rasch an.
Ende März 1943 verfügte sie über 126 Werke, die sie an 58 private Gesellschaften verpachtet hatte.10 Dabei errichteten auf einem von der „Montan“ für das Deutsche Reich erworbenen Gelände Unternehmen der Privatindustrie Fabrikanlagen, deren Einrichtungskosten das Oberkommando des Heeres trug. Die Regularien waren in einem Mantelvertrag geregelt, in dem sich die privaten Muttergesellschaften verpflichteten, für den Aufbau der Fabriken, ihre Betriebsfähigkeit und die Instandhaltung zu sorgen. Nach Abschluss des Auftrages und Abnahme durch das OKH gingen die Betriebe in das Eigentum der „Montan“ über, die sie an eine zu 100 % von der Muttergesellschaft gegründete Tochterfirma verpachtete. Diese zu Produktionszwecken eingerichteten Tochtergesellschaften waren in technischer und finanzieller Hinsicht von der Konzernmutter auszustatten. Die Muttergesellschaft hatte ihr Personal und ihr gesamtes Know-how einzubringen, ein Technologietransfer mit kaum einschätzbaren Risiken für die Rüstungsproduzenten.11 Der Nachteil lag aus Sicht der Privatindustrie insbesondere in der ständigen Kontrolle durch staatliche Dienststellen.12
Hinzu kam, dass sich das OKH in den Verträgen das Recht vorbehielt, einen Pächter, der nicht mehr genehm oder den gestellten Anforderungen nicht gewachsen war, durch ein anderes Unternehmen abzulösen oder die Anlage selbst zu betreiben.13 Im Pachtvertrag zwischen der „Montan“ und den Tochtergesellschaften – in der Regel mit einer Laufzeit von 15 Jahren – verpflichtete sich die Betreiberfirma zur sorgfältigen Verwaltung der gepachteten Anlagen.14 Bei zu geringer Auslastung konnte das OKH die Betriebe stilllegen. So geschah es im Juli 1940 mit der Gerätebau GmbH, Pachtwerk der Gebrüder Thiel-Seebach GmbH (Ruhla) in Kassel; mit der Kündigung des Pachtverhältnisses wurde Platz für einen Junkers-Verlagerungsbetrieb geschaffen.15 Etwa zeitgleich gab es Planungen, die Mühlhäuser Dependance desselben Zünderproduzenten zu schließen, doch konnte sich die Gerätebau GmbH in diesem Fall behaupten und einer Räumung entgegenwirken.16
Die Verträge mit der „Montan“ wurden zumeist auf freiwilliger Basis geschlossen und nur in den wenigsten Fällen staatlicher Druck ausgeübt. Um das Risiko zu begrenzen und auf diese Weise Erträge zu erzielen, die noch über den ohnehin schon hohen Profitraten der Rüstungsindustrie lagen, ließen sich zahlreiche Unternehmen bereitwillig auf den Deal ein.17 Als Nutzungsentgelt hatten die Muttergesellschaften bis 1943 eine variable Pacht von 33 % bis 50 % des von der Firma für das Geschäftsjahr bilanzierten Brutto-Betriebsüberschusses zu zahlen. Aus dieser gewinnabhängigen Pacht ergab sich für das Reich nur eine geringe Verzinsung. Daher drängte Speer 1943 auf die Durchsetzung neuer Pachtverträge mit einer festen Verzinsung von jährlich sechs Prozent auf den halben Anschaffungswert der verpachteten Grundstücke und Anlagen. Dies stieß auf den Protest der betroffenen Rüstungsunternehmen, die nicht gewillt waren, eine solche Änderung hinzunehmen und damit ihr Betriebsrisiko zu erhöhen. Bis Herbst 1944 gelang es der „Montan“, nur acht der bestehenden Pachtverträge umzustellen; in 12 weiteren Fällen waren Vertragsverhandlungen im Gange.18 Die von außen undurchschaubare Konstruktion des ‚Rüstungsvierecks‘, in der Auftraggeber und Betreiber unter mehreren Firmennamen auftraten, damals eine Verschleierungstaktik, hat rechtliche Auswirkungen bis auf den heutigen Tag. Die meisten Betreibergesellschaften wurden nach dem Krieg liquidiert, so dass es keine Rechtsnachfolger gibt, die für umweltschädliche Altlasten in Haftung genommen werden könnten.19
Als Muttergesellschaften traten u. a. so renommierte Firmen wie Polte (Magdeburg), Gebrüder Thiel (Ruhla), Stock & Co., Dynamit AG, Deutsche Sprengchemie, Wolff & Co., I.G. Farben und die Hugo Schneider AG auf. Die Verwertchemie betrieb 27 „Montan-Werke“ mit einem Anschaffungswert von ca. 1,8 Milliarden RM, darunter zwei Werke im Harz.20 Neben der Dynamit AG hatte auch die WASAG über ihre Tochtergesellschaft, die Deutsche Sprengchemie GmbH, zahlreiche Sprengstofffabriken von der „Montan“ gepachtet. Ebenso betrieb die Wolff & Co. KG aus Walsrode bei Hannover unter dem Decknamen Eibia GmbH Liebenau, Bomlitz und Dörverden fünf Fabriken zur Herstellung von Sprengstoff. Die Deutsche Gold und Silberscheideanstalt mit Hauptsitz in Frankfurt unterhielt unter dem Tarnnamen „Paraxol GmbH“ ebenfalls mehrere Produktionsstätten, eine davon in Lippoldsberg bei Göttingen.21 Ebenso profitierte der von den Alliierten im Juli 1921 für die Herstellung von Kriegsmaterial zugelassene Magdeburger Polte-Konzern von einer frühzeitigen staatlichen Unterstützung seines Hauptwerkes, das die Reichswehr aus „schwarzen Kassen“ mit neuen