Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 - Frank Baranowski


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„Montan“ hatte sie an eine 100%ige Tochterfirma des Magdeburger Rüstungsproduzenten, die Silva Metallwerke GmbH, verpachtet.22 Zudem betrieb Polte in Duderstadt ein Zweigwerk zur Herstellung von 2-cm-Munition, das ebenfalls aus Mitteln der Luftwaffe errichtet worden war.23 Schon 1934 hatte die Reichswehr den Aufbau eines Polte-Zweigwerkes in Bad Lauterberg, der Metallwerk Odertal GmbH, in Form eines unwiederbringlichen Zuschusses mitfinanziert.24 Auch die Gebrüder Thiel-Seebach GmbH, die von den Alliierten zur Produktion von Zündern zugelassen worden war, nutzte staatliche Drittmittel, um eine weitere Niederlassung in Mühlhausen (Thüringen) zu errichten. Die veranschlagte Bausumme belief sich auf 11,8 Millionen RM; knapp die Hälfte dieses Betrages hatte das Reich bis Ende 1935 investiert. Die Produktion sollte im April 1936 aufgenommen werden,25 doch die beiden Produktionshallen und das zugehörige Verwaltungsgebäude standen erst Ende 1937 für die Herstellung von Zeitzündern bereit.26 Andere reichseigene Werke betrieb die „Montan“ in eigener Regie, wie die Feinmechanische Werke GmbH Erfurt und die Hanseatische Kettenwerk GmbH Hamburg.27

      Etwa 10 % der vom Reich verausgabten „Montan-Mittel“ flossen in den heutigen südniedersächsischen Raum. Seit 1934 befanden sich heereseigene Betriebe in Bad Lauterberg [Metallwerk Odertal GmbH, bewirtschaftet durch Polte Magdeburg], in Göttingen [Feinmess- und Prüfgeräte GmbH, durch Carl Mahr, Esslingen], in Langelsheim [Chemische Werke Harz-Weser GmbH, durch Deutsche Aktiv-Kohle GmbH] sowie in Herzberg und in Clausthal-Zellerfeld [Dynamit AG] im Aufbau. Allein die Investitionen für den Bau des letztgenannten Sprengstoffwerkes „Tanne“ beliefen sich bis März 1936 auf über 12,4 Millionen RM und rangierten damit an Position vier aller 40 aus öffentlichen Mitteln finanzierten Vorhaben.28 Die Konzentration dieser Staatsbetriebe hatte nachhaltige Auswirkungen auf die bis dahin eher von kleineren und mittelständischen Unternehmen geprägte Wirtschaftsstruktur. Besonders die wenig erschlossenen Harzgemeinden zogen aus dieser Entwicklung Nutzen, einerseits durch Aufträge an die heimische Bauindustrie, andererseits durch die Heranziehung einheimischer Arbeitskräfte für den Produktionsbetrieb. Die wirtschaftliche Bedeutung der heereseigenen Betriebe für die Region zeigt sich namentlich daran, dass das Metallwerk Odertal sowie die beiden DAG-Werke in Clausthal-Zellerfeld und Herzberg 1943 mit zusammen über 8.000 Arbeitskräften zu den 20 größten Betrieben des Rüstungskommandos Hannover gehörten.29

Der rüstungskonjunkturelle Aufschwung im Gau Südhannover-Braunschweig

       Die staatlich begünstigte Ansiedlung von Chemiebetrieben und Sprengstoffwerken

      Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen die Vielschichtigkeit der flächendeckenden Einbeziehung von Betrieben verschiedenster Wirtschaftszweige in die Kriegsmaschinerie außerhalb der Ballungszentren Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter, des Universitätsstandortes Göttingen sowie der Städte Hildesheim und Osterode.1 Von den teils frühen Aufrüstungsbestrebungen profitierten insbesondere Standorte im Harz, aber auch solche am nördlichen und südlichen Rand des Gebirges. Die größte mit Staatsmitteln subventionierte Ansiedlung im Bereich des Rüstungskommandos Hannover nahm das NS-Regime in Clausthal-Zellerfeld vor.2 Die Anfänge des Harzer Sprengstoffwerkes gehen auf das Jahr 1934 zurück, als Vertreter der Dynamit AG (DAG), ehemals Alfred Nobel & Co. aus Troisdorf, im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände für eine „Trinitritoluol-Fabrik“ hielten. Die Entscheidung fiel auf eine etwa 120 ha große Waldfläche am Ortsausgang von Clausthal-Zellerfeld, die die „Montan“ 1935 und 1936 von der Preußischen Staatsforstverwaltung für das Deutsche Reich erwarb, aus Tarnungsgründen aber unter dem Deckmantel einer privatrechtlichen Gesellschaft figurieren ließ.3 Ende 1936 war diese Fabrik „Tanne“ in ihrem Grundbestand errichtet. Die Anlage war eines von mehreren ‚Schlafwerken‘ im Deutschen Reich, die nach Bauabschluss zunächst nicht in Betrieb gingen, sondern ausschließlich für den Bedarfsfall errichtet wurden.4

       Gebäudereste auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992

       (Sammlung Jürgen Müller)

       Zerstörtes Tri-Gebäude auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)

       Ehemaliges Säuregebäude des Werkes „Tanne“, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)

      Anfang 1938 kam es zur Reaktivierung des ‚Schläfers‘ und einer Fortführung der Bauarbeiten im Harz. Um Produktionsausfällen entgegenzuwirken, war fast jede Werksabteilung doppelt vorhanden. Zur Fabrik gehörten 214 Einzelgebäude, die zumeist in Skelettbauweise errichtet worden waren, um im Falle von Explosionen die Verluste so gering wie möglich zu halten.5 Pächterin und Betreiberin des Clausthal-Zellerfelder Sprengstoffwerkes und der angeschlossenen Füllstation war die Verwertchemie, eine 100 %ige Tochterfirma der DAG, die die Gebäude zu Beginn des Jahres 1939 formell übernahm. Die TNT-Produktion kam im April 1939 in Gang, drei Monate später als ursprünglich vorgesehen.6 Am 6. Juni 1940 forderte eine schwere Explosion in der Tri-Nitrierung 61 Tote, 38 Schwer- und 126 Leichtverletzte.7 Ab Februar 1942 beschäftigte die DAG in ihrem Werk „Tanne“ im Mittel etwa 2.500 Personen,8 darunter eine Vielzahl von Zwangsarbeitern. Im Vergleich zu den Großbetrieben um Braunschweig war diese Belegschaftsstärke noch relativ gering, trotzdem gehörte die DAG-Niederlassung zu einem der führenden Betriebe des Rüstungskommandos Hannover. Im zweiten Quartal 1944 nahm das Unternehmen nach seiner Beschäftigtenzahl den zehnten Rang im Rüstungskommando ein.9 Am 7. Oktober 1944 war der Betrieb Ziel eines alliierten Luftangriffs; 70 der 214 Gebäude wurden dabei teils schwer bis mittelschwer beschädigt, fünf von ihnen sogar völlig zerstört. 61 Arbeitskräfte des Werkes ließen dabei ihr leben, unter ihnen 47 russische und ein belgischer Zwangsarbeiter. Weitere fünf verstarben im Krankenhaus.10

       Gebäude der Borvisk-Kunstseiden AG, 1936 (StadtA Herzberg)

       Das durch Explosion zerstörte DAG-Werksgelände am Pfingstanger, April 1945 (Sammlung Matwijow)

      Die Bleikupferhütte in Oker und die Zinkhütte in Harlingerode belieferten das Clausthaler DAG-Werk mit Oleum (rauchende Schwefelsäure).11 Ein weiterer Zulieferer war die Wifo. Sie hatte 1937 die Langelsheimer Chlorkaliumfabrik übernommen und in den folgenden Monaten zu einer Salpetersäureanlage umgebaut, die 1939 ihre Fabrikation aufnahm. Monatlich stellte das Werk etwa 4.800 t an 98%iger Salpetersäure (HOKO) her, die im Werk „Tanne“ zu Sprengstoff weiter verarbeitet wurde. Die Langelsheimer Wifo-HOKO-Anlage deckte acht Prozent des Gesamtbedarfes des Deutschen Reiches.12 Zusätzlich hatte die Wifo nur wenige Meter von ihrer Schwefel- und Salpetersäurefabrik entfernt 12 Lagertanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 600 m3 für Toluol aufgestellt, die im August 1938 in Nutzung gingen. Über diese Anlage konnten in 15 Stunden zwei Kesselwagen gefüllt und für den Abtransport nach Clausthal-Zellerfeld bereitgestellt werden. In unmittelbarer Nachbarschaft befanden sich weitere sechs Tanks zur Aufnahme von Ammoniak.13

      Etwa ein Jahr nach Inbetriebnahme des Werkes „Tanne“ entschieden sich die NS-Planer, eine weitere Füllstelle im Harz zu schaffen. Im Juni 1940 erwarb die „Montan“ aus der Konkursmasse der Borvisk-Kunstseiden AG das am Herzberger Pfingstanger gelegene Werksgelände. Der Umbau der Fabrik war schon im Sommer 1941 abgeschlossen.14 Die hinter der Verwertchemie stehende DAG trat wie in Clausthal-Zellerfeld als Betreiberin des Rüstungsbetriebs auf, der auf die Füllung von 50-kg- und 250-kg-Bomben spezialisiert war. Ende 1943 fuhr der Konzern die Befüllung


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