Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
300.000 RM, zudem den Ausbau der Fabrik mit mehr als 600.000 RM finanzieren. Ebenso profitierten Rheinmetall Borsig und Basse & Selve von den Reichswehr-Töpfen. Und die Konservierung der Maschinen des Gasmaskenherstellers Auer war dem Reich 18.000 RM wert; die Anschaffung chemischer Kampfstoffe und deren Vorprodukt Oxol förderte das Reich mit 159.000 RM.62
Für 1930 belief sich der aus dem „x-Haushalt für fabrikatorische Zwecke“ bewilligte Betrag auf 3,363 Millionen RM; eine weitere Million RM war in Aussicht gestellt. Von der genehmigten Summe gingen 900.000 RM als Abschlussrate an den Zünderproduzenten Thiel in Ruhla. Besonders der Ausbau der Fabrik in Fürstenberg am Schwedtsee wurde gefördert. In den dortigen Hallen der Deutschen Faserstoff GmbH hatte die Reichswehr zunächst ein illegales Maschinenlager unterhalten; doch offenbar schon seit 1928 wurden die Gebäude zu einer modernen Fabrik für Infanteriemunition umgebaut.63 Der Reichswehrhaushalt für 1930 sah noch eine Restrate von 57.000 RM für die Neuanschaffung von Pressen vor. Die Lagermiete selbst belief sich auf 9.500 RM, die Instandhaltungskosten für den dort aufgestellten Maschinenpark erreichten 102.000 RM. Von der in Aussicht gestellten weiteren Million RM war ein Teilbetrag von 300.000 RM ebenfalls für Fürstenberg eingeplant. So gingen am Schwedt-See die Rüstungsfirmen schon in Position, in denen die Frauen des 1938 in unmittelbarer Nachbarschaft errichteten KZs Ravensbrück Zwangsarbeit verrichten sollten. Weitere 700.000 RM sollten der Berlin-Lübecker Maschinenfabrik Bernhard Berghaus für den Ankauf von Maschinen zukommen. Immer wieder waren es Zulieferer der Infanterie, Hersteller von Munition und Maschinengewehren, die auf diese Weise gefördert wurden, einmal mehr Polte mit einem Betrag von 350.000 RM.
Zum Ausbau der Wasag und eines Sprengstoffwerkes in Plauen wurden 1,1 Millionen RM beigesteuert. Für die Anschaffung zwei neuer Pressen für Wurl in Berlin und Hanomag in Hannover kamen 220.000 RM aus dem Topf des Reiches.64 Für 1931 wie auch 1932 waren annähernd acht Millionen RM aus dem „Fabrikenfonds“ zur Verteilung an Rüstungsfabriken bestimmt. Das Gros sollte der Firma Simson in Suhl zukommen, die damit ihre – offenbar schon bestehende – Maschinengewehr-Produktion von Grund auf modernisieren wollte. 1931 konnte Simson für denselben Zweck weitere 1,25 Millionen RM und für 1932 gar 3,75 Millionen RM einsetzen. An die Geschossfabrik der Gelsenkirchener Bergwerks AG sollten ebenfalls 1,85 Millionen RM gehen.65
Festzuhalten ist, dass diese Subventionen aus dem „Fabrikenprogramm“ einen ungebrochenen Willen zur Revision des Versailler Ergebnisses, zu erneuter Hochrüstung und zur Führung eines Angriffskrieges darstellen. Wirtschaftlich hatten sie einen geringen Stellenwert, da sie nur ausgewählte Unternehmen erreichten und lediglich einem Bruchteil der in Bedrängnis geratenen Firmen über die Wirtschaftskrise hinweg halfen.66 Die von der Reichswehr parallel seit den 1920er Jahren, ebenso im Verborgenen in Gang gesetzte Rüstungsforschung setzte weitaus stärkere Akzente. Die Entwicklung neuer Waffengattungen fand in Konstruktionsbüros, Laboratorien, Versuchswerkstätten und privaten Unternehmen, zumeist nur auf dem Reißbrett statt. Sie war bewusst auf die Erzielung von ‚Schubladenergebnissen‘ ausgerichtet, also auf Blaupausen, die im Bedarfs-, d. h. Kriegsfall, für eine Massenproduktion aktiviert werden konnten. Aus Kostengründen verließen allenfalls Prototypen als Versuchsobjekte die Werkstätten und gingen erst nach 1933 in Massenproduktion.67 Wie sehr diese ‚unerlaubten‘ Entwicklungen für wichtig erachtet wurden, zeigt der Fall des Fabrikanten Curt Heber. Im Auftrag der Luftwaffe konstruierte er Bombenabwurfgeräte und anderes Kriegsgerät, stellte es in Kleinstserien her oder ließ es bei anderen Firmen in geringen Stückzahlen produzieren. Heber bediente sich dabei der Waffenschmiede von Heinrich Krieghoff in Suhl und der mechanischen Fabrik von Heinrich Baer in Berlin.68 Die Arado-Flugzeugwerke in Warnemünde konnte Heber in seine Entwicklungsarbeit einspannen.69 Hans Rebentisch war in dem Betrieb 1929 Werkmeister. Unter seiner Leitung wurde in der dritten Etage des Schlossereigebäudes hinter einer Stahltür eine geheime Abteilung eingerichtet. „Wer hinein wollte, musste klingeln. So war sichergestellt, dass kein Fremder hinein kam“. In dieser nach außen hermetisch abgeschotteten Werkstatt bauten Rebentisch und drei weitere Schlosser nach den Plänen Hebers dessen Bombenabwurf-Vorrichtungen. „Dies waren sowohl die Magazine, in denen vertikal übereinander fünf Bomben zu je 10 kg untergebracht waren; wie auch Einzelaufhängungen für 50-kg und 250-kg-Bomben“.70
Auf dem Gelände der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg, 1936? (Sammlung Heber)
Erst 1934 startete Heber in einer neu errichteten, eigenen Fabrik, den Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg (MWN), die Serienproduktion.71
Doch nicht nur mittelständische Unternehmen wie Heber, sondern auch Großkonzerne engagierten sich in der durch Staatsgeld geförderten Entwicklung von Kriegsmaterial.72 Die Rheinmetall-Werke in Sömmerda und Düsseldorf, Simson & Co. in Suhl sowie die Fahrzeugfabrik Eisenach unterhielten staatlich finanzierte Werkzeugbüros, die Artillerie- und Infanteriewaffen entwickelten und die entsprechenden Konstruktionszeichnungen erstellten. Bis 1929 wurden die Kosten für Rheinmetall Düsseldorf und Simson Suhl aus dem „Fabrikenfonds“ getragen. Die Niederlassungen dieser beiden Firmen in Eisenach und Sömmerda mussten dagegen ihre Kosten anderweitig decken – sie dürften sie über höhere Lieferpreise anderer Rüstungsgüter bestritten haben. Von 1930 an wurde der Etat auch dieser Konstruktionsbüros jedoch voll aus dem „Fabrikenfonds“ bestritten. Im März 1930 waren bei Rheinmetall Düsseldorf 30, in Sömmerda sechs, in Eisenach drei und bei Simson in Suhl 100 Personen mit der Entwicklung von Kriegsgerät befasst. Die Arbeit wurde von dem Krupp nahe stehenden Berliner Konstruktionsbüro Koch & Kienzle mit 50 Mitarbeitern koordiniert und kontrolliert.73 1930 ließ sich die Reichswehr die Unterhaltung ihrer ‚Denkschmieden‘ über 1,2 Millionen RM kosten, 1931 mit 1,1 Million RM nur geringfügig weniger.74 Zu diesen Entwicklern illegaler Waffen scheint auch die Mauser-Werke AG in Oberndorf gezählt zu haben.75
Eine andere Stelle, die systematisch Verstöße gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags plante und koordinierte, war die zum Heereswaffenamt gehörende Abteilung 6 der Inspektion für Waffen und Gerät (IWG). Bei ihr und ihren Fachabteilungen liefen die Fäden zur Vorbereitung der Luftwaffenrüstung zusammen. Unter Leitung von Hauptmann Student vergab sie zahlreiche Aufträge an ‚Forschungseinrichtungen‘. Zumeist handelte es sich um Eigengründungen, wie etwa die Firma Schulz & Co., Motoren- und Maschinen GmbH in Berlin. Sie arbeitete für die Fliegerkampfmittelgruppe und befasste sich nach außen mit dem Vertrieb von Kraftfahrzeugen, Motoren und Flugzeugteilen. Unter dem Mantel einer „Berliner Gesellschaft für landwirtschaftliche Artikel“ stand die Entwicklung von Gaskampfstoffen. Eine Abteilung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt führte als Büro „M“ für die Reichswehr praktische Versuche mit Flugzeugen, Flugmotoren und Bordgeräten durch. In Rechlin (Mecklenburg) unterhielt die Abteilung 6 der Inspektion für Waffen und Gerät einen Flugplatz für praktische Flugversuche, als deren Eigentümer nach außen hin die Albatros-Flugzeugwerke firmierten.76 Mit Unterstützung des Heereswaffenamtes hatte die Deutsche Glasglühlicht Auergesellschaft in Oranienburg 1927 eine „Versuchsanlage und Laboratorien für Gasschutzzwecke“ eingerichtet, die neben der Entwicklung von Gasmasken auch den Zweck hatte, „die besten Fabrikationsstoffe für die einzelnen Kampfstoffe festzustellen“.77 Außerdem hatte Auer in seinem Oranienburger Stammwerk eine Anlage zur Herstellung von Senfgas-Vorstufen errichtet.78
Doch auf dem Feld der Giftgasforschung und -produktion war dies nur einer von vielen schon Anfang der 1920er Jahre bestehenden Berührungspunkte einer symbiotischen Beziehung von Reichswehr, Industrie und Wissenschaft. Die Fäden zog Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, die graue Eminenz im Hintergrund. 1923 hatte er den Bau einer Chlorgasanlage in der Nähe von Samara an der Wolga in der Sowjetunion eingefädelt,79 wo verschiedene Kampfstoffe der Chlorgaschemie hergestellt wurden. Zur Umsetzung bediente sich Haber seines Schülers Hugo Stoltzenberg80 und dessen Hamburger Firma CFS. Im Januar 1924 hatten die Militärs beschlossen, eine inländische Kampfstoffproduktion an einem vor Luftangriffen sicheren Ort in Mitteldeutschland aufzunehmen. Wiederum durch Vermittlung von Haber erhielt Stolzenbergs CFS diesen Auftrag. Fünf Monate später begann er mit dem Bau einer großen, als Chlorkalianlage getarnten Giftgasfabrik in Gräfenhainichen bei Halle. Geplant war eine Kapazität von 7.000 t Lost pro Jahr, mehr als während des ganzen Weltkriegs in Deutschland hergestellt worden