Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 - Frank Baranowski


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war, der weitaus größte Teil von ihnen unter katastrophalen Bedingungen auf den SS-Untertagebaustellen der Region um Nordhausen ihre Lebenskräfte ließen. Gleichzeitig belegt er die Unterschiede der Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der Überlebenschancen in den Baukommandos im Vergleich mit denen der Produktion. Auch geht er der Frage nach, in welcher Weise SS und Rüstungsindustrie, aber auch Lagerverwaltung, kommunale Behörden und Institutionen kooperierten und wie die Häftlinge in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.87 Die vorliegende Arbeit greift Wagners Thesen auf und versucht, weitere Elemente der Entstehung des Lagersystems und seiner Bedeutung im projektierten bzw. entstehenden nordthüringischen Rüstungskomplex herauszuarbeiten.

      Die Quellenlage ist für weite Gebiete der Untersuchung äußerst spärlich. Das gilt insbesondere für die Aufrüstungspläne, die die Reichswehr bereits Anfang der 1920er Jahre nicht nur schmiedete, sondern konkret anging. Aus Angst vor Aufdeckung der illegal betriebenen Wiederaufrüstung wurde kaum etwas schriftlich festgehalten, allenfalls in wenigen, meist nummerierten Exemplaren. Zudem wurde der größte Teil der Reichswehrakten bei einem Brand des Heeresarchivs 1945 vernichtet.1 Die Wirren des Krieges taten das ihre, und gegen Ende des Krieges ebenso das Streben Verantwortlicher, Spuren zu vernichten. So ist das Quellenmaterial, das heute in den Archiven zur Auswertung zur Verfügung steht, als eher dürftig zu bezeichnen. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit behandelt die geheime Wiederaufrüstung der Reichswehr Anfang der 1920er Jahre. Er basiert in erster Linie auf der Auswertung eines Teiles der im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde verwahrten Bestände des „Rechnungshofes des Deutschen Reiches“ (R2301), der „Bank der deutschen Luftfahrt AG“ (R8121) und Akten der Reichskanzlei (R43). Zumindest dem Umfang des offiziellen Geldtransfers nach eröffnen sie einen Einblick in die Finanzierung von Rüstungsbetrieben und den Aufbau staatlicher Rüstungsschmieden. Außerdem bargen die Unterlagen der Amtsgruppen und Abteilungen im Heereswaffenamt (RH8), der Inspektion der Kriegsschulen (RH12 - 1), der Inspektion der Infanterie (RH12 - 2), des OKW/​Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (RW19) und des Luftfahrtministeriums (RL3) im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg wertvolle Informationen. Zwar ließ sich die Firmenkartei, in der die Reichswehr 1.000 bis 1930 für Rüstungszwecke erkundete Firmen erfasste, bislang nicht auffinden. Dennoch geben die vorhandenen Bestände relativ gut Aufschluss über die frühen Wiederaufrüstungsbestrebungen der Reichswehr und ihre mehrfach geänderten Bedarfsplanungen für ein aufzustellendes ‚Friedensheer‘.

      Weitere Erkenntnisse konnten den Firmenunterlagen der Thiel-Gruppe und der Rheinmetall-Borsig AG entnommen werden. Beide Rüstungskonzerne betrieben in Thüringen Werke, deren Akten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar nahezu vollständig erhalten sind. Zudem bot sich dem Verfasser die Möglichkeit, Teile des Werksarchivs von zwei Rüstungsfirmen des Konstrukteurs und Industriellen Curt Heber zu sichten, der Mechanischen Werke Neubrandenburg und der Osteroder Firma Heber. Einblick gewährte freundlicherweise der Sohn des Firmeninhabers, Manfred Heber. Ein weiterer Teil der Firmenunterlagen, die die Alliierten nach dem Krieg in Osterode zunächst beschlagnahmt hatten, konnten im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover benutzt werden. Darunter fanden sich auch die ‚Entnazifizierungsunterlagen‘ Curt Hebers, doch durch ihre Verschleierungstendenz verhehlen sie Hebers frühe Zusammenarbeit mit der Reichswehr und halten die Tatbestände nicht fest.2 Ergiebig waren ebenfalls die Unterlagen, die die Alliierten für die Nürnberger Industrieprozesse zusammengestellt hatten. So ließen sich in den Prozessakten (NIK Bestand) gegen Krupp Belege aus dem Heereswaffenamt finden wie eine Aufstellung vom Juni 1927 über den Umfang der verdeckten Aufrüstungsmaßnahmen und der daran beteiligten Firmen. Dies überrascht, da sich Krupp im gleichen Sommer 1927 noch geweigert hatte, in seinem Magdeburger Grusonwerk ohne ausreichende politische Deckung von Seiten der Regierung die illegale Produktion von Geschützen aufzunehmen.3

      Dagegen erlaubt die Materialfülle für den rüstungskonjunkturellen Aufschwung ab 1933 im heutigen Land Niedersachsen eine relativ lückenlose Darstellung. Einen detaillierten Überblick geben die Quartalsberichte der Rüstungskommandos Hannover (RW21 - 27) und Braunschweig (RW21 - 8) sowie der Rüstungsinspektion XIa Hannover (RW20 - 11) im Militärarchiv in Freiburg. Auch der bereits genannte Bestand Generalluftzeugmeister Technisches Amt (RL3) gibt Auskunft über neu angesiedelte, für die Luftwaffe relevante Werke, u. a. Polte in Duderstadt und Oigee in Osterode, und über die Einbeziehung bestehender Firmen in die Rüstungsproduktion. Die Einheiten RL3/​398 und RL3/​424 des Bestandes geben einen quantitativen Überblick über die Luftwaffenfirmen in der Wehrwirtschaftsinspektion XI. Die Unterlagen des Reichswirtschaftsministeriums (BAL, R3101) ermöglichten, weitere Lücken zu schließen. Die beim Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion geführte Firmenkartei (BAL, R4603, ehemals R3) brachte weitere wichtige Erkenntnisse, obwohl sie nur lückenhaft erhalten blieb und daher keine flächendeckende Übersicht bietet. Belegschaftsstruktur und Zwangsrekrutierung ausländischer Arbeitskräfte lassen sich an Hand der Berichte des Rüstungskommandos und der Rüstungsinspektion relativ gut nachvollziehen. Gegliedert nach Wirtschaftsgruppen finden sich in den Unterlagen Beschäftigtenzahlen für die deutsche Industrie in den Jahren 1939 bis 1944. Außerdem ermöglichen die Beschäftigtenmeldungen der Reichsgruppe Industrie, Abteilung Maschinelles Berichtswesen des RMfRuK (BAL, R12I) für den Gau 14 (Südhannover-Braunschweig) umfassende ‚Momentaufnahmen‘.4 Die Meldungen sind – nach Firmen alphabetisch geordnet – für den Zeitraum November 1944 bis einschließlich Februar 1945 erhalten geblieben. Das Bild ergänzen die im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover, dem NARA Washington und dem IWM London liegenden Demontageunterlagen sowie Bestände der regionalen Kreis- und Stadtarchive. Dank gilt auch der Salzgitter AG, Bosch (Hildesheim) und der Göttinger Firma Ruhstrat, die dem Autor Material aus ihren Werksarchiven zur Verfügung stellten und ihn teilweise sogar die Bestände persönlich sichten ließen. Manfred Heber steuerte weitere Unterlagen zur Geschichte der HEMAF bei, darunter eine Vielzahl bislang unveröffentlichter Fotoaufnahmen.

      Weitaus schwieriger gestaltete es sich, Quellen zum Thema des Aufbaus von Rüstungskapazitäten in der Region Nordthüringen aufzufinden. Unterschiede der Verwaltungsstruktur bedingten, dass Gemeinden, Städte oder Landkreise verschiedenen Ländern oder preußischen Provinzen angehörten. Entsprechend sind die einschlägigen Akten über mehrere Staats- und Landesarchive verteilt. Außerdem sind die Quellen dünner gesät und weniger ausführlich. Die Vierteljahresberichte der Rüstungsinspektion Kassel (RW20 - 9), der „Kriegstagebücher“ der Rüstungskommandos Weimar (RW21 - 62) und Kassel (RW21 - 30) geben, anders als die des Rüstungskommandos Hannover, lediglich einen groben Überblick über den Berichtszeitraum. Auch hier helfen die Eintragungen in der Reichsbetriebskartei (BAL, R4603) weiter.

      Aufschlussreiche Bestände konnten im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar gesichtet werden, insbesondere die Unterlagen der Firmen Rheinmetall Sömmerda, Gebrüder Thiel GmbH (Ruhla), Gebrüder Franke KG (Mühlhausen) und der Südharzer Kaliwerke. Ergiebig war ebenfalls der Weimarer Bestand „Landeskommission zur Durchführung der Befehle 124/​126“, der sich vordergründig mit der Verstaatlichung und Enteignung von Betrieben nach 1945 befasst, zur Rechtfertigung angeordneter Zwangsmaßnahmen oft aber auf die vorangehende Kriegsproduktion verweist. Exemplarisch ist der Nordhäuser Rüstungsbauer MABAG, dessen Betriebsdirektor sich einer Verstaatlichung widersetzte, woraufhin der Betrieb bereits kurz nach Kriegsende in die ‚Treuhänderschaft‘ des Landes Thüringen überführt wurde. Die im Weimarer Hauptstaatsarchiv ausgewerteten Akten der Verstaatlichung von Unternehmen in der Sowjetischen Besatzungszone umfassen neben jeweils einer Firmenchronik teils konkrete Angaben über Art und Umfang der Kriegsproduktion.

      Der Strukturwandel hin zur Rüstungsproduktion, den die Mühlhäuser Industrie vollzog, lässt sich in den Beständen des dortigen Stadtarchivs vergleichsweise gut nachzeichnen. Angeregt durch die Nachforschungen des Verfassers stellte eine Archivmitarbeiterin in akribischer Kleinarbeit ein Dossier der verstreut bewahrten einschlägigen Dokumente zusammen, so dass das Dunkel dieser Phase Mühlhäuser Industriegeschichte gut ausgeleuchtet werden konnte.5 Im Stadtarchiv Nordhausen fanden sich dagegen nur wenige Informationen, trotz der großen Zahl von Rüstungsbetrieben in der Stadt. Die Bestände der Kreisarchive in Nordhausen und des Eichsfeldes, letzteres mit Sitz in Heiligenstadt, ließen insbesondere den Umfang des Zwangsarbeitereinsatzes in der Region erkennen. Damit ergänzten sie die


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