Stills Faszienkonzepte. Jane Stark

Stills Faszienkonzepte - Jane Stark


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konvergieren oder divergieren, diskutiert die Bedeutung der Untersuchungsergebnisse, erörtert, inwiefern sie die gegenwärtige Osteopathie beeinflussen, und gibt einige Anregungen für die Zukunft.

       „Die Faszien kommen überall im Menschen vor und gleichen sich in allen Bereichen. Vor der Welt tut sich das größte Problem auf, der angenehmste Gedanke. Dem Philospohen erscheint es einleuchtend, absolut, dass er den ‚materiellen Mensch‘ und den Aufenthaltsort seines spirituellen Wesens vor sich hat. Sie[die Faszien] sind das Haus Gottes, die Wohnstätte des Unendlichen – soweit es den Menschen betrifft.“ 20

      Dieses Still-Zitat wirft eine Reihe von Fragen auf: Teilt der osteopathische Berufsstand heute immer noch Stills Anschauungen in Bezug auf die Wichtigkeit der Faszien? Was bedeutete diese Äußerung für Still selbst? Wurde das größte Problem gelöst? Ist der angenehmste Gedanke jenen zugänglich, die das größte Problem lösen? Was meinte Still mit dem „materiellen Menschen“ und jenem spirituellen Wesen? Verstehen die Osteopathen von heute Stills Äußerungen? Und schließlich: Liefern Stills Ideen und Konzepte ein Jahrhundert, nachdem sie entworfen worden sind, immer noch eine Grundlage für das Praktizieren von Osteopathie?

      Kapitel 1 – Methodologie

      Dieses Kapitel skizziert die methodischen Schritte beim Entwerfen, Gliedern, Gestalten und Schreiben der vorliegenden Studie. Die in dieser Arbeit angewendete Methode der qualitativen historischen Forschung erlaubt laut Bailey1 „ eine ganzheitliche Beschreibung und Analyse eines bestimmten Phänomens“ – in unserem Fall also eine qualitative Untersuchung der Faszienkonzepte von Andrew Taylor Still.

      Historische Forschung wurde hier verstanden als „systematische Zusammenstellung von Daten und kritische Darstellung, Bewertung und Interpretation von Fakten, die auf Personen, Ereignisse und Begebenheiten der Vergangenheit bezogen sind“.2 Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit standen drei Fragen:

      Wie entwickelte Still seine Faszienkonzepte und wie sahen sie aus?

      Wie werden diese Konzepte, insbesondere die philosophischen und spirituellen, von erfahrenen Osteopathen verstanden und in der manipulativen Praxis angewendet?

      Weichen heutige Faszienkonzepte wesentlich von Stills Konzepten ab und was bedeutet dies für die Osteopathie?

      Diesen Fragen wurde mithilfe zweier Methoden – der literatur- und der interviewgestützten Forschung – nachgegangen.

      Zur Untersuchung der ersten Frage wurde unter Einbeziehung veröffentlichten und unveröffentlichten Materials (Bücher, Aufsätze, Briefe, Interviews, Websites) literaturgestützte Forschung in zwei Schritten betrieben: Schritt eins beschäftigt sich mit Stills Leben aus historischer Sicht, betrachtet die Geistesströmungen im 19. Jahrhundert, die ihn beeinflusst haben könnten, und entwirft schließlich ein Bild von Stills Wesen. Schritt zwei verfolgt in Stills Schriften sämtliche Stellen, die sich auf „Faszien“ beziehen, beginnend mit der Prägung dieses Begriffs bis hin zu den um 1900 veröffentlichten Äußerungen von Still zum Thema Faszien.

      Die interviewgestützte Forschung diente dazu, von erfahrenen Osteopathen und osteopathischen Ärzten deren Ansichten über frühere und heutige Faszienkonzepte einzuholen. Dazu wurde ein unstrukturierter Interviewentwurf3 verwendet, der es erlaubte, die Informationen (in diesem Fall also die Faszienkonzepte heutiger Osteopathen sowie deren Interpretationen von Stills Faszienkonzepten) zu erfassen und eingehend zu analysieren. Als Abschluss der Studie wurden die erfassten Informationen in Erzählform wiedergegeben, um so die Fragen eins und zwei zu beantworten. Die auf dieser Grundlage aufbauende Beantwortung von Frage drei wurde zu einer Mischung und Synthese der Antworten zu eins und zwei, was eine Auseinandersetzung mit Stills Faszien-Definitionen einerseits und den aus den Angaben der Befragten ersichtlichen Anschauungen heutiger Osteopathen andererseits ermöglicht.

      Beim Verfassen der vorliegenden Studie wurden die Gestaltungsrichtlinien aus Publication Manual of the American Psychological Association4 und Thesis Guideline and Format of the Canadian College of Osteopathy5 übernommen. Die Gestaltung der Zitate folgt dem Reference Manager Package®.

      Appendix A enthält Kurzporträts aller Personen, auf deren persönliche Mitteilungen in dieser Arbeit Bezug genommen wird.

      Nach LoBiondo-Wood & Haber6 liegt es in der Verantwortung eines qualitativ Forschenden, die gewonnenen Informationen aufzunehmen, ohne sie aus seinen eigenen Tendenzen heraus und damit womöglich verfälscht zu interpretieren. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, verwendete die Autorin eine Vorlage, die von Kathie Johnston, Studentin am Canadian College of Osteopathy, in ihrem Darstellungsprotokoll Traditional Osteopathic Manual Practice: A legislative strategy for recognition in Ontario7 entworfen wurde. Johnston fasst in ihrem Protokoll die Arbeiten von Guba & Lincoln (1981), LoBiondo-Wood & Haber und Sandelowski (1986) zusammen, die alle über qualitatives Forschen geschrieben haben. Diese Autoren liefern einen Rahmen, der bei qualitativen Studien wissenschaftliche Strenge sicherstellt. Er besteht aus vier Kriterien: Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit, Angemessenheit und Beweisbarkeit.8

      In der Zusammenfassung von Johnston findet sich auch ein Hinweis auf eine wichtige Differenzierung bei LoBiondo-Wood, die in der historischen Forschung zwischen Tatsache, Wahrscheinlichkeit und bloßer Möglichkeit zu unterscheiden erlaubt.

      Demnach kann dann von einer Tatsache gesprochen werden, wenn zwei voneinander unabhängige Primärquellen übereinstimmen oder wenn eine Primärquelle und eine Sekundärquelle das Gleiche unterstellen und nichts bekannt ist, was dem wesentlich widerspricht. Allerdings müssen beide Quellen kritisch bewertet werden.

      Eine Wahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die Information aus nur einer Primärquelle stammt und nichts bekannt ist, was ihr wesentlich widerspricht. Die Quelle bedarf entsprechend kritischer Bewertung. Auch wenn zwei Primärquellen in einzelnen Punkten nicht übereinstimmen, kann man von „Wahrscheinlichkeit“ ausgehen.

      Von einer bloßen Möglichkeit spricht man dann, wenn eine Primärquelle keiner kritischen Bewertung unterzogen worden ist oder nur Sekundär- oder Tertiärquellen verfügbar waren.

      Die Daten für historische Forschung stammen aus Primär- und Sekundärquellen.9 Eine Primärquelle wird definiert als Originalbericht von einem Ereignis. Unter Sekundärquelle versteht man eine Informationsquelle, die zumindest einen Schritt von der Primärquelle entfernt ist. Für die hier vorliegendene Studie wurden nach dem Ratschlag des Betreuers auch solche Personen als Primärquellen eingestuft, die zwar keine eigene Theorie entwickelt, jedoch über 20 Jahre hindurch intensiv praktiziert haben und somit als reife und erfahrene Osteopathen bezeichnet werden können.

      Diese Stufe des Forschungsprojekts diente zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage: Wie entwickelte Still seine Faszienkonzepte und wie sehen diese aus? Dazu wurde die Behauptung aufgestellt, dass der Versuch, Still als Mensch zu verstehen, zu einer tieferen Einsicht in die Entwicklung seiner Konzepte verhelfen kann.

      Stills erster Biograf, E. R. Booth10, seine jüngste Biografin, Carol Trowbridge11, und der Osteopathie-Forscher Norman Gevitz12 fanden es erforderlich, zunächst Stills Leben, seine Zeit und ihn beeinflussende Faktoren zu beschreiben. Ihre Aufzeichnungen werden in dieser Studie durch weitere, teils von ihnen nicht verwendete, teils ihnen nicht zugängliche Dokumente und Quellen ergänzt. Das somit aus biografischen und historischen Quellen entwickelte Porträt des Menschen Still bildet den Rahmen für eine sachkundige Interpretation seiner Faszienkonzepte.

      Untersuchung der Lebens- und Zeitumstände

      Die Untersuchung von Stills Leben und Zeit wurde folgendermaßen gegliedert:

      SEIN LEBEN – Dieser Abschnitt


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