Götter sind auch nur Männer. Christiane Wagner

Götter sind auch nur Männer - Christiane Wagner


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schon das nächste Thema an. „Was macht dein Beruf, Flöhchen?“

      Ich versuche meiner Mutter auszuweichen, weiß aber nicht in welche Richtung. Sie streichelt kurz über meine kühlen Hände, die auf meinen warmen Oberschenkeln Schutz suchen.

      „Das wird schon. Kopf hoch. Nicht jeder wird früh entdeckt.“

      Meine Mutter glaubt noch immer an meine Karriere als Schauspielerin. Auch wenn ich die Schallgrenze von zwei Drehtagen noch nie durchbrochen habe und mein Jungschauspieler-Bonus schon seit Jahren verlebt ist. Preise für die beste Nachwuchsschauspielerin werde ich nie in Händen halten, und leider werde ich niemals in einer gelungen verheulten Rede meiner Familie danken können. Warum auch? Ich habe sie schon tausendfach in Tagträumen und schlaflosen Nächten gehalten. Jedes Mal eine Art von Orgasmus – beruflich.

      Immer wieder, in einem neuen Abendkleid und mit einem überrascht glücklichen Gesicht, trete ich ans Mikrofon und strahle in die vor mir sitzende Menge. Die Scheinwerfer sind so stark, dass diese Masse zu einem energetischen schwarzen Loch wird, in das ich lächle, heule und meine Dankesrede spreche. Unvorbereitet charmant beuge ich mich, wie fast alle Preisträger, zum Mikrofon hinunter.

      Wenige scheinen zu wissen, dass man das Mikrofon nicht fressen muss, um verstanden zu werden. Bucklig bedanke ich mich bei allen, die mir einfallen. Dann verneige ich mich vor meinen Eltern, und meine Sprechzeit ist schon zu Ende. Hat jemand, der einen Preis verliehen bekommt, Probleme mit den Eltern?

      Die beiden liebe ich sehr, obwohl mein Vater nie wirklich Zeit für mich hatte. Aber Distanz hält Liebe frisch. Meine Mutter sieht mich heute noch als kleines Kind, oder höchstens als junge Frau in der Studienzeit. Nicht als erwachsene, verantwortungsvolle Frau Anfang dreißig. Bin ich auch nicht.

      Vielleicht liebe ich meine Eltern auch gerade deshalb, weil sie sich früher nie aufgedrängt haben – das nimmt mir heute den Erfolgsdruck. Wir konnten uns ohne ein Zuviel an Nähe lieben, und das gibt meinem Vater die Chance, irgendwann dort anzusetzen, wo das Zeitvakuum entstand, um es zu füllen: mit seiner Anwesenheit.

      Zu Hause wartet schon eine Schokoladentorte im Kühlschrank. Mit einem leckeren Vanillekern.

      Alle Sorgen sind für einen Moment vergessen. Ich schütte meiner Mutter mein Herz aus, esse drei Stückchen Kuchen und sinke gegen halb eins müde in die Kissen. Eigentlich ist zu Hause immer alles gleich. Sieben mal „immer“ geben mir die scheinbare Geborgenheit meiner Kindheit zurück: Im Gang der Wohnung meiner Eltern steht immer der gleiche Geruch, der Schokokuchen hat immer einen zu weichen Vanillekern und zu viele Schokoladenstreusel, meine Mutter hört sich immer halb abwesend, aber immer mit einem verständnisvollen Mona-Lisa-Lächeln, meine immer gleichen Probleme an, und mein Vater kommt immer gegen drei Uhr nachts nach Hause.

      Erst dann kann ich richtig einschlafen. Immer.

      „Nie Gastronomie!“, denke ich im Halbschlaf, bevor ich mich in den Tiefschlaf begebe.

      Am nächsten Morgen frühstücke ich mit meiner Mutter. Mein Vater steht samstags erst gegen Mittag auf. Ich setze ihn schon seit meiner Kindheit in Form eines gut gelaunten Geistes an den Tisch. Jetzt sind wir eine Familie.

      Meine Mutter hat schon die altbekannte große Tupper-Schüssel auf den Tisch gestellt. Sie ist fast ein Fossil. Mein Vater bringt jede Nacht einen kleinen Rest seiner Abendkarte in einem Plastikschälchen nach Hause. Erkaltete Kochkunst.

      Heute gibt es Suppe zum Frühstück. Ein kleines Etikett klebt auf dem Deckel der Schüssel. Es ist abwaschbar und beschriftet wie der Ausschnitt einer Speisekarte: Muskatkürbis mit Orangenöl.

      Das ätherische Öl einer Orange wirkt stimmungsaufhellend und schenkt Lebenskraft. Wir müssen die Zaubersuppe nur noch erhitzen und Sahne unterheben.

      Nach diesem gelungenen Start in den Tag stürzen wir uns in das morgendliche Getümmel der Stadt. Ich finde heute noch nicht einmal Trost bei den Kleidern. Normalerweise gehe ich gerne mit meiner Mutter einkaufen. Ein paar textile Trostpflaster für die Seele kaufen und befriedigt durchatmen, wenn die Hose passt.

      Heute streifen wir durch ein paar Cafés und stöbern in ein paar Boutiquen. Die neue Kollektion ist eingetroffen.

      Für meine Mutter finden wir ein traumhaft schönes Frühlingskostüm in einem Fliederton. In Größe 38 sieht einfach alles gut aus. Besonders an meiner Mutter. Ich bin einfach glücklich, die Stadtluft meiner Heimat zu atmen. Mannheim liebt man nur, wenn man dort geboren ist. Die Stadt bekommt Liebe durch Geburt. So viele Schritte bin ich schon durch die Straßen gegangen, um die Quadrate gelaufen, mit aufsteigendem Körpergewicht und Schuhgrößen. Von hier aus habe ich von der großen weiten Welt geträumt und zukünftigen Erfolgen, wenn ich einmal groß bin. In dieser Stadt habe ich meine erste große Liebe geküsst und wieder verloren.

      Hier habe ich Walzer tanzen gelernt.

      Gegen sechs sind wir wieder zu Hause, und mein Vater steht schon längst für die Abendkarte in der Küche. Meine Familie ist schlimmer als ein ICE auf einer Beschleunigungsgeraden.

      Ich bin mir nicht einmal sicher, ob meine Mutter mitbekommen hat, dass es mir schlecht geht. Sie hätte es schon an meiner erschöpften Ironie bemerken müssen. Und daran, dass ich langsam nicht mehr in Größe 44 passe.

      Es ist trotzdem mein Paradies. Diese Fünfzimmerwohnung meiner Eltern ist wie eine große Wiege für mich. Der Schutzraum der Vergangenheit, in dem nichts Neues passiert. Die Luft bleibt immer die gleiche. Bald muss ich wieder aufbrechen. Ein Wochenende vergeht immer schnell.

      Zwei Trommeln Wäsche am Nachmittag und ein Kinobesuch am Abend, schon ist es Sonntag.

      Auf dem Weg zur Bahn schaue ich noch im „Büro“ meines Vaters vorbei, wie ich gerne seinen fettigen Arbeitsplatz nenne. Sein kleines Restaurant liegt nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Sonntags steht er schon morgens am Herd, um alles vorzubereiten. Als ich in die Küche komme, kocht schon das Mittagessen in den Töpfen.

      „Mensch Kleine, schön dich zu sehen.“ Mein Vater blickt mich erstaunt durch dampfende Töpfe an. Der Dampf wirkt bestimmt wie ein Weichzeichner und macht mich Jahre jünger.

      „Ich bin seit Freitagabend da. Na, vielleicht das nächste Mal.“

      „Was macht der Job, Kleine?“

      Auf diese Frage hätte ich verzichten können. Hätte er einfach „Wie geht es dir?“ gesagt, hätte ich gerne den nächsten Zug verpasst. Wenn er mich gebeten hätte, noch einen Tag zu verlängern, damit wir etwas zusammen unternehmen können, ich wäre geblieben.

      Montag ist sein freier Tag.

      „Warte kurz, ich muss noch ein Blech aus dem Ofen holen. Kannst du mir schnell helfen?“ Mein Vater streckt mir ein Handtuch wie eine weiße Flagge entgegen. Schnell ziehen wir ein großes Blech mit überbackenem Fisch aus dem Ofen.

      Der Duft ist überwältigend. Bei diesem kulinarischen Hochgenuss läuft mir sofort das Wasser im Mund zusammen. Er muss bei diesem Rezept mit Sternanis und Zimt gearbeitet haben. Vielleicht hat er noch mit etwas Wein abgeschmeckt und mit einem Hauch Vanille verfeinert.

      „Du wärst bestimmt eine grandiose Köchin geworden.“

      Erst jetzt bemerke ich den Blick meines Vaters. In diesem Augenblick hat er meine Gedanken lesen können. „Kardamom oder Nelken?“, frage ich ihn verlegen.

      „Nein, Hannah. Zimt, Sternanis und ein kleines Stück Vanille.“

      Ich nicke meinem Vater mit perfekt gespielter Verlierermiene zu. „Siehst du, gut, dass ich Schauspielerin geworden bin.“

      Die Enttäuschung in seinen Augen ist nicht zu übersehen.

      Jetzt steht es unentschieden. Ich bin nicht bereit über meinen Schatten zu springen. „Papa, ich muss.“ Ich küsse ihn auf seine warmen, weichen Wangen. Immer glatt rasiert. Was ihn, in seiner weißen Arbeitskleidung, schuldlos wirken läst.

      „Tschüß, Kleine.“

      Ich versuche die Tränen zu unterdrücken, die schlagartig meine Augen füllen, aber mein


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