Götter sind auch nur Männer. Christiane Wagner

Götter sind auch nur Männer - Christiane Wagner


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ihm meinen mühselig zusammengesuchten Fressteller in die Hand, durchbreche diese Parfumwand, die mich immer noch in Gefangenschaft hält, und verschwinde erst einmal zum Nachdenken und Beruhigen auf die Toilette. Dabei lasse ich einen irritierten Axel zurück. Hoffentlich hasst er getrocknete Tomaten.

      So ein Blödmann und ich bin die dümmste Kuh, die es auf dieser Welt gibt – eigentlich hätten wir die besten Chancen, gut zusammenzupassen.

      Ich stapfe mit meinen viel zu spitzen Niedrigabsatzpumps, die sich sofort wie Waffen in die Richtung von Rüdigers Bad bewegen, davon. Der Alkohol beginnt mittlerweile noch mehr zu wirken.

      Auf dem Weg meines Rückzuges angele ich mir ein Gläschen Sekt aus der Küche, um mich dann als Verlierer im Bad einzukerkern. Schnell verriegele ich die Tür von Rüdigers Bad, den ich an diesem Abend zum ersten Mal nah bei mir spüre. Es riecht nach frisch gewaschener Wäsche. Die Luft liegt schwer und dampfig im Raum. Von draußen dringt sanft Musik durch die Tür. Mein Lieblingsstück aus vergangenen Tagen.

      Wovon sollen wir träumen. Frieda Gold.

      Auf der Suche nach Halt lehne ich mich an die kühlen Fliesen und trinke erst einmal zur Beruhigung einen Schluck Sekt. Ich schließe die Augen und wünsche mich an einen anderen Ort. Nach diesem peinlichen Zwischenfall würde ich am liebsten diese Party verlassen und nach Hause gehen.

      Es tat mir leid, dass ich so schlecht über Rüdiger dachte und dabei auch noch sein ganzes Büffet wegfraß.

      Mit meinem kleinen Schwips setze ich mich aufs Klo und leere den Rest des Glases auf Rüdigers vierzigsten Geburtstag, obwohl der erst morgen ist. Es ist ja auch, egal wie alt man als Regisseur ist.

      Jedenfalls könnte er mal wieder sein Bad streichen, Freizeit hat er schließlich genug. Als ich meinen Körper wieder in die Strumpfhose gezwängt habe, klopft es auch schon wieder an der Tür. Die Leute trinken immer zu viel auf Partys.

      Ich fühle mich bereit, diesen Rückzugs-Ort wieder zu verlassen, und habe nicht einmal mehr Lust, mein Make-up aufzufrischen. Das hätte auch gar keinen Sinn, denn mein Kopf ist immer noch knallrot, und der Alkohol trägt das Seine dazu bei.

      Ein wenig Wasser auf die Hände, und ich fühle mich wieder völlig reingewaschen. Noch einmal tief durchatmen, die Tür entriegeln … und vor der geöffneten Tür strahlt mir Axel entgegen. Fast so armselig, wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne. Mit seinem heuchlerischen, völlig unnatürlichen Lächeln. Was für ein überschätztes Talent.

      „Hallo, Hannah, hab dich schon überall gesucht.“ Fernsehaxel will scheinbar mit mir anbändeln.

      „So groß ist die Wohnung von Rüdiger ja nicht, und nach dem Gespräch mit dir musste ich erst einmal aufs Klo.“

      Mein Kopf ist wieder oben, es steht 1:1, und ich versuche mich so uncharmant wie möglich an ihm vorbeizuzwängen.

      „Hey, jetzt lauf doch nicht weg!“

      Axel hält meinen Arm so fest, dass ich sofort aus all meinen innerlichen Träumen erwache.

      „Dass ich Schauspieler bin, weißt du von Rüdiger. Ich habe ein Bild von dir auf seinem Schreibtisch bewundert, und er hat mir erzählt, dass du meine Serie abgrundtief schlecht findest.“ Ich bin sprachlos. So viel Ehrlichkeit sollte doch keine Zunge sprechen, und Rüdiger entwickelt sich immer mehr zu einem billigen Tratschweib.

      „Nein“, heuchle ich munter, „ich finde nur die Drehbücher schlecht, ich habe Rüdiger sogar empfohlen, sich dort als Regisseur zu bewerben.“ Vielleicht gelingt es mir, mich freizusprechen.

      Bei dieser Serie hätte er endlich einmal Kontakt zu seinem realen Niveau gefunden und würde nicht länger frustriert in seiner Bude hocken. Schon wieder bin ich von Axels Duftwolke vereinnahmt, diesmal ist sie aber nicht mehr so aufdringlich. Er hat sich auf der Suche nach mir in Bewegung gesetzt und damit seinen Geruch subtil in Rüdigers Zweizimmerwohnung verteilt. Wirkt bestimmt genauso gut wie ein Antitabak-Spray.

      Langsam ziehe ich meine Krallen wieder ein, und dann verschwinde ich mit Axel in der Küche auf der Suche nach neuen Getränken.

      Nach dem vierten Caipirinha finde ich Axel immer lustiger und lache über jeden noch so kleinen Witz. Er ist wirklich ein richtig guter Typ, und ich kann verstehen, dass er mit einer Hauptrolle in einer Serie besetzt wurde.

      Er leidet natürlich sehr unter dem Zeitdruck, unter dem er arbeiten muss, und der schwachen Regie, mit der er jeden Tag konfrontiert wird. Und tatsächlich sehe ich Axel mittlerweile mit anderen Augen.

      Seine Gage hat er größtenteils in einer Zweizimmer-Eigentumswohnung angelegt. Zum einen wegen der Steuer, und dann muss auch er an die Sicherheit denken, die er sehr in seinem Leben braucht. Er ist schließlich Steinbock!

      Wie schön. Auch ich war schon immer ein Mensch mit einem großen Sicherheitsgefühl. Mehr als alle Steinböcke auf dieser Welt zusammen.

      Dieser Beruf ist das reinste Selbstmordkommando für meine Seele. Am liebsten hätte ich ein Haus mit Garten, Kinder, einen unkonventionellen Traummann an meiner Seite und einen Hund, der nie stinkt. Dies alles ist ferner als die Marsbesiedelung, und Axel kommt immer näher. Wir gehen tanzen. Eigentlich hasse ich es, auf Partys meinem körperlichen Selbstausdruck freien Lauf zu lassen. Wenn es nicht auf der Bühne oder beim Film verlangt wird, bin ich privat der reinste Anti-Tänzer.

      Wir entern die Mitte von Rüdigers Wohnzimmer, den ich nirgendwo entdecken kann. Eigentlich habe ich ihn wirklich nur gesehen, als ich gegen halb neun Hunger bekam und mich zu seiner Wohnung in Bewegung setzte. Als ich hier eintraf, hatte ich im ersten Augenblick einen Schreck bekommen. Rüdiger öffnete mir kahlgeschoren die Tür. Er hatte seine dichten braunen Locken abrasiert. Genauso wenig könnte ich mir Paris ohne Eifelturm vorstellen. Aber er hatte es getan.

      Rüdigers Haarpracht ergänzte sich ausgezeichnet mit seinem jungenhaften Charme. Jetzt wirkte er wie ein älter gewordener amerikanischer Soldat, der sein Haar nicht ergrauen sehen will.

      Was war so schlimm daran, vierzig zu werden?

      Doch nun waren nicht nur seine Haare verschwunden, sondern auch Rüdiger. Er wird doch nicht seinen Geburtstag verpassen wollen, in den wir gerade immer lustiger hineinfeiern.

      Zum Glück wird gerade nicht „I will survive“ gespielt, denn das ist immer der Höhepunkt jedes Ausdruckstänzers, und mit Axel bin ich gerade gar nicht in „I will survive“-Stimmung. Obwohl solche Geburtstagsfeste immer Mittelpunkt vergangener Musikerfolge sind.

      Nein, das Schicksal kennt unsere Situation genau und spielt eine ruhige Klavier-und-Harfen-Version von Bon Jovi: „It’s my live.“

      Ich ergebe mich und sinke in Axels Arme. Meine Nase steckt tief in den Maschen seines kamelfarbenen weichen Kaschmirpullis, und ich bin froh, dass ich mein Make-up nicht aufgefrischt habe.

      Beim Versuch, meinen besoffenen Kopf wieder einigermaßen gerade zu halten, lande ich direkt an Axels Wange.

      Sie fühlt sich wie ein zärtliches Reibeisen an, dem man vertrauen kann. Sein Aftershave riecht so verführerisch auf seiner Haut, dass es mich fast wahnsinnig macht. Ich verspüre den Drang, noch näher zu kommen, und verstehe nicht mehr, was ich jemals gegen Axel hatte. Langsam nähern sich meine Lippen seinem Mund, mein ganzer Körper steht in Flammen, und ich möchte am liebsten die Zeit anhalten. Es ist Mitternacht. Das schrille Klingeln eines Weckers lässt mich aus allen Wolken der Leidenschaft fallen.

      Leider kommt es nicht zur heiß ersehnten ersten intimen Begegnung mit Fernsehaxel. Das Licht wird gelöscht, alle singen unerkannt und lautstark „Happy Birthday“. Nach der dritten Wiederholung findet zum Glück ein unbekannter Retter den Lichtschalter und macht diesem gesanglichen Albtraum ein Ende.

      Aber wo war das Geburtstagskind?

      Auf dem Balkon finde ich Rüdiger in drei Decken gehüllt und in einer tiefen Krise. Er muss dort schon Stunden sitzen. Zu lange, um sich noch vom Geländer zu stürzen. Seine Augen sind auf den Horizont gerichtet, den ich nicht mehr mit bloßem Auge entdecken kann. Sein Blick richtet sich in diffuse Fernen.

      Ein


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