Götter sind auch nur Männer. Christiane Wagner
Fahrkarte im Zug Richtung München.
Das Wochenende ist vorbei. Ich wünsche mir ein neues Paradies.
2
München. Es ist Montagmorgen. Banktag.
Gegen 10 Uhr bin ich bereit, der finanziellen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. In Zeiten der wirtschaftlichen Nullrunde auf die Bank zu gehen, um sich von einem gesichtslosen Kontoauszugsdrucker in eine Krise stürzen zu lassen, nenne ich mutig. Mein Kontoauszug ist mittlerweile zur Ikone meiner Erfolglosigkeit geworden. Meine Kündigung am Stadttheater bedeutete gleichzeitig das Ende meiner Liquidität.
Ich hatte mich damals entschieden, nur noch Stückverträge am Theater anzunehmen und mich intensiv um meinen Einstieg beim Film zu kümmern. Theater und Film. Eine glänzende Mischung. Das Problem war nur, dass ich dies zwar entschieden, aber mich niemand darum gebeten hatte.
Am liebsten wäre mir Job-Sharing mit Angelina Jolie. In diesem Fall würde ich auch freiwillig ihr Privatleben teilen.
Die Realität sah schon lange anders aus. Sie bestand aus einer Kombination von Drehtagen mit Seltenheitswert und ein paar Monatsgagen am Theater. Seitdem kaufe ich Kleider nur im Secondhandshop oder zu sensationellen Tiefpreisen. Wenn es H&M nicht gäbe, stünde ich jetzt halb nackt auf der Straße. Keine Frage, dass ich mich lieber in Kleider von Jil Sander oder Armani XL hüllen würde, aber das Schicksal hat mir bisher das große Tor des Erfolges verschlossen. Das damit verbundene Geld natürlich auch, ganz zu schweigen von Anerkennung.
Ich übe mich in Geduld, obwohl es nicht meiner Natur entspricht. Die Zeit des Wartens auf den wirtschaftlichen Aufstieg vertreibe ich mir mit ständig wechselnden Beschäftigungen.
Nebenher arbeite ich als Testperson für alles Mögliche. Bei meinem letzten Job habe ich Kniebandagen auf einem Laufband getestet. Als der schwach schwitzende Typ habe ich immer gute Karten und werde als Testperson regelmäßig eingesetzt.
Der Gang zur Bank fällt heute sogar mir, dem schwach schwitzenden Menschen, schwer. Nach meinen Berechnungen dürfte sich mittlerweile nur noch eine eher kleine Gruppe von Euros auf meinem Konto befinden. Ich ziehe die sechs Seiten des Auszuges aus dem widerspenstigen Automatenschlitz und habe nach dieser Freitagserfahrung mit der Bahn eigentlich keine große Lust mehr, meine Dienstleistungsverhältnisse nur noch auf Maschinen zu beschränken. Aber da ich Kosten dämpfe, wo ich nur kann, habe ich mich für das anonyme Kontoführungsmodel der Sparkasse entschieden. Die Maschinen sind tapfere 24 Stunden für mich da.
Wie ich erwartet habe, sind meine Mittel fast erschöpft. Ich wollte mir ohnehin nichts kaufen und verlasse das Automatenfoyer mit der stolzen Haltung der letzten russischen Zarin.
Ein Job, am besten eine gut bezahlte Werbung – und jeder Dispokredit möchte meine Kontonummer tragen.
Wie viele Schauspielerinnen sich in meiner Altersgruppe auf dem Markt tummelten, wollte ich nie wissen. Ich weiß nur, dass man mich vor wenigen Jahren noch als jung bezeichnete, und heute legt man mir nahe, „Vollgas“ zu geben oder mein Alter zu fälschen.
Da ich nie ein guter Lügner war, werde ich nicht an meinem Alter herumschrauben. Die meisten meiner Kolleginnen, die Mitte oder Ende dreißig sind, schummeln ihr Alter auf Anfang dreißig herunter, sodass es in meinem natürlichen Altersgefüge zu einem leichten Überhang kommt. Ich habe mir schon ernsthaft überlegt, mein Alter in die Region von „endlich über vierzig“ zu verlegen, um dann ein Kompliment nach dem anderen einzustecken. Ich könnte meine Schönheitsgeheimnisse teuer verkaufen, hätte meine eigene Kolumne bei einer Frauenzeitschrift, und schon bald würde einer der Verkaufssender aus dem Fernsehen auf mich zukommen.
Ich hätte endlich eine Menge Geld und wäre in diesem Zuge interessant für Serien oder TV-Movies und dürfte bestimmt die Titelrolle in „Margot und die Killerbienen“ spielen.
Und was meine mögliche Besetzung fürs Traumschiff angeht: Ich warte nicht mehr darauf, bis mich der Rademann für seine Rentnerschiffsserie besetzt, damit ich endlich mal was von der Welt sehe. Bei so vielen Angeboten hätte ich natürlich kaum Zeit zu reisen und würde in jeder Talkshow ein wenig darüber jammern.
Mein Buch „Wie Sie mit 40 wie Anfang 30 aussehen können“ wäre der reinste Kassenschlager, und wenn ich fünf Jahre später mein erstes Kind zur Welt bringe, liegt mir jeder Verlag zu Füßen.
Die Welt braucht Wunder, und ich könnte eines sein! In meinem real existierenden Leben ist bis heute noch kein Wunder geschehen, aber ich bereite mich darauf vor. Ich investiere mein Geld regelmäßig in sündhaft teure Kosmetikprodukte und habe damit bestimmt schon eine erdbebensichere Wand der Shiseido-Firmenzentrale finanziert. Und das in Japan!
Zurzeit beschäftige ich mich mit einem Nahrungsergänzungsmittel, das direkt aus den Tiefen eines amerikanischen Urwalds kommt. Diese „Ur-Essenz“ soll zu neuen und noch größeren Lebensgeistern führen. Ganz nebenbei wird der ganze Körper durchgestrafft, der Fettstoffwechsel angeregt, und „Müdigkeit“ wird zum Fremdwort.
Selbst das Wort „Krebs“ kann nach regelmäßiger Einnahme des Präparates nur noch mit einem Tier in Verbindung gebracht werden.
Alles in allem mache ich alles, um mein eigenes Verfallsdatum ein wenig nach hinten zu schieben, damit ich meinem eigenen Erfolg noch in Würde begegnen kann.
Längere Zeit bin ich wegen meiner spärlichen Beschäftigungssituation nicht einmal mehr auf Partys gegangen. Die lästige Fragerei nach meinem Beruf belastete meine Nerven zu stark.
Es lief eigentlich immer gleich ab: Ein Mann spricht mich an, so der aparte Durchstarter-Typ, bei dem nach dem Studium haarscharf die große Karriere begann. Nach drei bis fünf Sätzen kommt der „König der Small-Talk-Sätze“: „Und, was machst du so beruflich?“
Ich überlege, ob es nicht diesmal die Tierpflegerin oder Anwaltskanzleigehilfin, vielleicht auch irgendetwas dazwischen sein kann, und habe schon die graue Wahrheit meiner Existenz ausgesprochen: „Schauspielerin.“
Alles nimmt seinen gewohnten Lauf: „Mensch, stark, eine echte Schauspielerin, muss man dich kennen?“
Nein, muss man nicht. Es sei denn, er ist Nebenrollenfetischist bei den Rosenheim-Cops.
Heute Abend werde ich mich wieder nach langer Zeit auf eine Party wagen. Mein niedriger Kontostand spricht sowieso für einen bezahlten Aufenthalt mit Verpflegung.
Es fehlt nur noch ein Geschenk. Ich hatte doch letzte Woche noch in meinem Küchenschrank eine Flasche Sekt gesehen. Ein Geschenk meiner Nachbarin.
Ich habe vor ungefähr drei Jahren auf ihre neurotische Katze aufgepasst. Das Tier lebt seit letztem Jahr nicht mehr, aber die Trophäe meines Dienstes ist schnell entstaubt, und die blaue Schleife wird einfach wieder in Form gebogen. Es ist sogar Champagner. Bei drei Jahren Lagerzeit kann man doch schon von einer Rarität sprechen – genau das richtige Geschenk für Rüdiger.
Rüdiger ist erfolgloser Regisseur und wird 40. Ich weiß zwar nicht, was es da zu feiern gibt, aber seine Kochkünste sind einfach besser als alles, was er jemals in einem Film inszenierte. Seine Buffets sind ein Fest wert.
Durch meinen Vater sind meine Geschmacksnerven bestens trainiert. Zwar bin ich vor meiner Familientradition geflüchtet, aber gutes Essen gehört zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben.
Ich halte mich an diesem Abend, als einer der ersten Gäste, in der Nähe seines reichhaltigen Buffets auf und baue es kontinuierlich ab.
Kein Drehtag weit und breit, kein Figur-alarmierendes Werbecasting. Auf Castings für Schokolade gehe ich sowieso nicht mehr, denn meine Figur würde den Verdacht erregen, das Produkt mache dick.
Ich lade mir noch ein paar getrocknete Tomaten auf den Teller.
Langsam finden sich immer mehr Partygäste ein. Sie sind alle auf Knopfdruck gut gelaunt, und man könnte meinen, diese Sonnenscheinmenschen hätten nie Probleme.
Einige nähern sich dem Buffet, an dem ich wie festgeklebt stehe. Sie lächeln mich an, stellen sich vor. Reizend.
Nach