Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
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37 Ebenda, S. 409f.
Der gemeinsame Weg, den Welskopf-Henrich 1944 mit ihrem späteren Mann Rudolf Welskopf begonnen hatte, indem sie ihm zur Flucht verhalf und ihn verstecke, endete dreieinhalb Jahrzehnte später. In dem Telegramm, in dem sie Bekannte und Freunde vom Tod ihres Mannes am 17.1.1979 unterrichtete, schrieb Welskopf-Henrich: »Sein Leben war Arbeit und Opfer; er war der Gefährte meines Lebens, Wollens und Hoffens.« Und in einem Antwortbrief an eine befreundete Familie, die ihr Beileid bekundete hatte, erinnerte sie sich:
Mein Mann war ein Charakter, wie man ihn leider nicht so häufig findet, aufrecht und unbeugsam, keine Folter hat ihn gebrochen. Er hat auch im KZ gute Freunde gefunden und die Risiken für alle heimlichen Unternehmungen immer auf sich allein genommen. Er hat nie lange Reden gehalten, sondern immer präzise gesagt, worum es ging. Bürokraten mochte er gar nicht, es musste alles menschlich und schnell gehen. Sein Spitzname im Lager war ,Der Inka‘, weil er so hart und so klug erschien. Er bleibt immer bei mir lebendig.38
38 Brief an Familie Zschäckel vom 1.3.1979; zur Verfügung gestellt von Marc Zschäckel.
Es wird deutlich, dass es sich bei »Jan und Jutta« um ein außergewöhnlich persönliches Werk handelt, weit über das in autobiographischen Romanen übliche Maß hinaus. In diesem Werk schildert Welskopf-Henrich Ereignisse, die elementar für ihr weiteres Leben, für ihre persönliche Entwicklung waren; Ereignisse, in denen sie häufig mit Tod und Verderben konfrontiert war und auch ihr eigenes Leben immer wieder aufs Spiel setzte. Erst unter solch extremen Umständen zeigt sich der wahre Charakter vieler Menschen – Welskopf-Henrich hat hier in beeindruckender Weise menschliche Größe bewiesen.
Ihren ehemaligen Bekannten blieb diese Größe bis heute im Gedächtnis. Audring erinnerte sich im Gespräch mit dem Autor:
Welskopf fühlte sich mit allen Unterdrückten immer herzlich verbunden, das machte sie so anziehend. Sie hat jedem geholfen. Jeder, der ernsthaft in Not war, wusste, er kann zur Welskopf gehen. Da war sie eine Figur, an der man sich aufrichten konnte. [...] Welskopf war für uns so eine Art... – fast wie eine Madonna. Wenn es ringsum krachte – Welskopf hat einen geschützt. Und dafür haben wir sie geliebt.
1958 erhielt Welskopf-Henrich »als Anerkennung hervorragender Verdienste im Kampf gegen den Faschismus und beim Aufbau der DDR« den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, drei Jahre später auf Vorschlag der Fachrichtung Geschichte der Humboldt-Universität den Orden in Silber. Andere Auszeichnungen waren die Pestalozzimedaille 1965 und der Orden »Banner der Arbeit« 1966.
Auch in Welskopf-Henrichs zweitem Werk, das nicht die Indianerthematik zum Inhalt hat, der Trilogie »Zwei Freunde«, sind die autobiographischen Elemente stark ausgeprägt.
Die ersten beiden Bände dieser Trilogie, »Zwei Freunde« und »Die Wege trennen sich«, verfasste Welskopf-Henrich von 1940 bis 1943 in aller Heimlichkeit. In »Jan und Jutta« (S. 342) beschreibt sie, wie sie nachts am Tisch in ihrer Wohnung sitzt, Tausende kleiner Zettel vor sich ausgebreitet, die später die Grundlage für die Trilogie bilden. Sie sind bekritzelt mit ihrer winzigen, kaum zu entziffernden Bleistiftschrift; der Teil der Erzählung, der vom Faschismus handelt, ist gar stenographisch niedergeschrieben. Bis zum Ende des Krieges versteckt sie die Aufzeichnungen, die, mitten in Berlin verfasst, bereits Jahre vor dem Kriegsende vom Untergang der Nationalsozialisten und vom Zusammenbruch ihres Reiches erzählen. Diese Romane sind auf der Basis von Welskopf-Henrichs genauesten persönlichen Kenntnissen der deutschen Reichsbehörden geschrieben, in denen sie 15 Jahre lang gearbeitet hat.
Hauptpersonen der Bücher, die in der Zeit von 1928 bis 1945 spielen und den Leser von der Zeit der Weimarer Republik bis in die Zeit des Nationalsozialismus führen, sind der junge Büroangestellte Wichmann sowie sein Vorgesetzter Grevenhagen. Welskopf-Henrich wollte anhand dieser charakteristischen Figuren Leistung, Kultur und Versagen der sogenannten bürgerlichen Intelligenz sowie der Schicht der Beamten und Offiziere darstellen.
Die Geschichte besticht vor allem durch die präzise Schilderung der Charaktere und ihrer Motivationen und die Vermittlung eines authentischen Gefühls für die beschriebene Epoche. Die Figuren des Romans werden überzeugend dargestellt, die Dialoge sind lebensecht. Welskopf-Henrich gelingt es auch, tiefe Einblicke in die komplizierten Mechanismen zu geben, nach denen das Verwaltungswesen funktioniert, einschließlich all der Intrigen, die die Beamten spinnen. Dies alles wird mit dezentem Humor und geschickt platziertem Sarkasmus erzählt.
Wenn auch in geringerem Maße als in »Jan und Jutta« sind auch hier zahlreiche Episoden aus den Erlebnissen Welskopf-Henrichs während des Zweiten Weltkrieges enthalten. So bittet ein altes jüdisches Ehepaar Wichmann, wenigstens zu versuchen, ihre kleine Enkelin zu retten. Da sie es aber nicht über sich bringen, sich von dem Kind zu trennen, und aus Angst vor dem, was mit ihm geschehen könnte, machen sie seinem und ihrem eigenen Leben schließlich selbst ein Ende.
Die Figur Grevenhagen, früherer Offizier, dann der Weimarer Regierung, schließlich den Nationalsozialisten dienend, ist nach dem Vorbild eines Mannes (anderen Namens) geschaffen, den Welskopf-Henrich persönlich kannte.
Von Seiten der Kritiker stand der Romanzyklus zum Teil unter heftigem Beschuss. Hervorzuheben ist hier eine ausführliche Beurteilung der drei Bände in der Zeitung »Neues Deutschland« von Gotthard Erler, in der dieser kaum ein gutes Haar an den Büchern lässt: Der Autor bemängelt, dass die Handlung sich allzu sehr auf die ministerialrätliche Salonproblematik beschränke, ohne, dass dabei den gerade ablaufenden historischen Ereignissen – Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Beamtenabbau, erstarkender Faschismus – genügend Aufmerksamkeit gezollt werde: »Es fehlen ihr tiefgreifende Verstrebungen in der Zeit und auch die Elemente einer wirklich menschlichen Problematik.«39 Die Erzählung bleibe zu sehr im Privaten und Persönlichen stecken und liege, zumindest auf den ersten Band bezogen, »kaum im Bereich des menschlich Wertvollen und gesellschaftlich Bedeutsamen«40.
39 ABBAW 150.
40 Ebenda.
Weiterhin beklagt Erler, die Hauptperson, die zu einem Nationalsozialisten wird, sei nicht schurkisch genug gezeichnet, worauf Welskopf-Henrich in einem Schreiben mit den Worten reagiert: »[A]ber darauf kam es mir an zu zeigen, wie auch Leute, die keine Schurken waren, durch ihre Erziehung zum Nazismus verführt wurden.«41
41 Ebenda.
Zudem wurde bemängelt, dass die Arbeiterklasse im Werk nicht ausreichend repräsentiert sei.
Jedoch waren nicht alle Reaktionen auf die Trilogie negativ: Bei einem Staatsempfang Walter Ulbrichts, zu dem auch Liselotte Welskopf-Henrich eingeladen war, wurde diese von Lotte Ulbricht zu einem kurzen Gespräch beiseite genommen. Die Frau des SED-Vorsitzenden versicherte ihr, sie habe »Zwei Freunde« begeistert gelesen und sei sehr amüsiert. Walter Ulbricht lobte bei anderer Gelegenheit die »schlichte« und »klare« Sprache Welskopf-Henrichs.
Zurück zur Entstehungsgeschichte des Romans: Da infolge ihrer sich ausdehnenden illegalen Tätigkeiten während des Zweiten Weltkrieges die Gefahr einer Hausdurchsuchung stetig anstieg und weil sie fürchtete, die Texte könnten bei Bombenangriffen vernichtet werden, versteckte Welskopf-Henrich 1943 während einer ihrer Ausflüge in die bayerischen Alpen die gefährlichen Manuskripte von »Zwei Freunde« bei einem befreundeten Arztehepaar. Noch während sie dort zu Besuch war, sollte – aus einem anderen Grund – deren Wohnung von der Gestapo durchsucht werden. Welskopf-Henrich, die neben den Manuskripten