Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
Ideologie des Marxismus-Leninismus« waren.15
15 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 237.
Oft wurden die Kollegen auch direkt zu Welskopf-Henrich nach Hause eingeladen. Bevor aber Welskopf-Henrichs Gäste zwecks Diskussionen im großen Besprechungsraum Platz nehmen konnten, mussten sie erst einmal in ihr Haus am Rande des Treptower Parks gelangen. Das gestaltete sich oft als abenteuerliches Unterfangen, denn Welskopf-Henrich besaß einige große Schäferhunde, die selbst bei ihren Freunden gefürchtet waren. Wenn man die Klingel neben dem Gartentor drückte, stürzten zuerst einmal die Hunde ans Tor. In den meisten Fällen wurden sie dann von Welskopf-Henrichs Mann Rudolf weggesperrt, bevor der Besuch das Grundstück betreten konnte.
Liselotte Welskopf-Henrich mit ihrer Schäferhündin Unni
Ein tschechischer Althistoriker, dessen fachliche Kompetenz Welskopf-Henrich sehr schätzte und den sie oft zu Vorträgen einlud, wohnte und schlief einige Nächte im Dachzimmer ihres Hauses. Während seines Besuches war Welskopf-Henrich eines Abends unterwegs, und die Hunde liefen frei auf dem Gelände umher, da in der Gegend viel gestohlen wurde. Als Welskopf-Henrich nach Hause kam, belagerten die Hunde die Tür des Dachzimmers; ihr Gast hatte sich vor lauter Angst von innen mit Tischen und Matratzen verbarrikadiert. Dass er mit den Hunden nicht umgehen konnte, nahm sie ihm sogar etwas übel.
Ganz im Gegensatz zu einem rumänischen Kollegen: Er kam eines Tages nichtsahnend auf ihren Hof, als er sie besuchen wollte, und ehe er sich versah, stürzten die Hunde auf ihn zu. In barschem Ton rief er ihnen auf rumänisch »Sitz!« zu, und – sie saßen. Seitdem sprach sie mit größter Hochachtung von ihm.
Natürlich stand auch Welskopf-Henrich nicht mit allen Menschen auf gutem Fuß. Zu ihren erklärten Gegnern gehörte der Gutachter ihrer Habilitation, der klassische Philologe Werner Hartke (1907-1993), späterer Rektor der Humboldt-Universität und Präsident der Akademie der Wissenschaften, der ihr nach ihren eigenen Schilderungen manchen Stein in den Weg legte und ihre wissenschaftliche Arbeit störte. 1954 lehnte Hartke ihre Habilitationsschrift mit dem Titel »Marx, Engels, Lenin und Stalin über die Sklavenhaltergesellschaft« als nicht ausreichend ab. In diesem Projekt hatte Welskopf-Henrich sämtliche Äußerungen von Marx, Engels, Lenin und Stalin zur Antike und zum Alten Orient zusammengesellt und kommentiert. Welskopf-Henrich war sich der Höhe des gesteckten Zieles wohlbewusst: Nach 23 Jahren fachfremder Tätigkeit wollte sie mit der Arbeit in die Alte Geschichte zurückkehren und das Fach selbst unterrichten. »Der Grund für dieses Versagen liegt offensichtlich darin, dass Dr. Welskopf keinen genügenden Kontakt mit der lebendigen praktischen Forschung gehabt hat«, stellt Hartke dann auch fest.16 Zwar würdigte er den »imponierenden Fleiß«, »die gestalterische Kraft« und das zweifellos vorhandene Talent Welskopf-Henrichs. Allerdings sei die Arbeit mit über 600 Seiten bei weitem zu umfangreich und erfordere einen zu hohen Zeitaufwand für ein Aspiranturverfahren, und der Mangel an wissenschaftlichen Quellen und Belegzitaten sei frappierend. Überhaupt gehöre die Arbeit eher in die Politökonomie. 1957 wurde die Arbeit in einer überarbeiteten Fassung im Akademie-Verlag unter Titel »Die Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike. Ein Diskussionsbeitrag« veröffentlicht. Ein wiederum überarbeitetes und erweitertes Kapitel aus diesem Buch bildete die Grundlage für Welskopf-Henrichs zweiten Versuch für eine Habilitation (»Probleme der Muße im alten Hellas«), die Hartke nach einiger weiterer Kritik und berechtigten fachlichen Einwänden akzeptierte. Später versuchte er zu verhindern, dass Welskopf-Henrich zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt und dass ihre großen wissenschaftlichen Arbeiten wie die »Hellenische Poleis« gedruckt wurden. Der Gutachter, den der Direktor des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie Hermann wie oben beschrieben um eine Beurteilung für das Projekt bat, in der Hoffnung, es stoppen zu können, war kein anderer als Hartke.
16 HU-Archiv, Personalakte Welskopf, Bd. 1, Bl. 129. Siehe auch Stark, Isolde: Konferenzband, S. 231.
Neben diesen fachlichen Differenzen resultierten die Spannungen zwischen den beiden wohl auch aus unterschiedlichen politischen Anschauungen. Darüber hinaus warf Welskopf-Henrich, die ehemalige Widerstandskämpferin, dem früheren NSDAP-Mitglied Hartke dessen Tätigkeit unter den Nationalsozialisten vor: Er arbeitete in einer deutschen Zentrale, die versuchte, englische und amerikanische Codes zu entschlüsseln. Diesen Codes legten die Engländer und Amerikaner jeweils ein exotisches literarisches Werk zugrunde, übernahmen daraus Worte und Textteile und vermischten diese nach einem bestimmten Zahlensystem. Man musste das entsprechende Buch kennen, um den jeweiligen Code dechiffrieren zu können. Dazu brauchte man außerordentlich gebildete Menschen, die zufällig auftauchende, seltene Worte, die entschlüsselt worden waren, einem bestimmten Buch zuordnen konnten.
Während der jahrelangen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten scheute sich Welskopf-Henrich nicht, Hartke zu provozieren. Hartke wiederum verfuhr mit ihr nicht anders, wie sie berichtete. Als Welskopf-Henrich gerade an einem ihrer autobiographischen Romane arbeitete, sprach sie Hartke mit der Bemerkung an, in ihrer Geschichte tauche ein SS-Offizier auf. Sie komme mit dessen Sprache und Ausdrucksweise einfach nicht klar – da könne der verehrte Professor Hartke doch sicher einmal behilflich sein.
Differenzen gab es auch mit Erfurt, dem Lektor des Akademieverlages, in dem einige ihrer wissenschaftlichen Arbeiten erschienen. Erfurt hatte die Angewohnheit, sprachliche Verbesserungen, die er für nötig hielt, in die Manuskripte zu schreiben. Diese »Verbesserungen« waren oftmals jedoch sehr fragwürdig. So missbilligte er das schlichte Wort »und« und pflegte es stets durch ein »sowie« zu ersetzen.
Welskopf-Henrich stapelte daraufhin die von diesem Lektor durchgesehenen Arbeiten auf einem Schrank im Versammlungszimmer. Empfing sie nun Gäste oder erhielt wissenschaftlichen Besuch, konnten ihre Kollegen ein Blatt Papier sehen, das aus diesem Stapel Papier heraushing und auf dem in großen Buchstaben geschrieben stand: »Von Herrn Erfurt verdorbene Manuskripte«. Welskopf-Henrich, die ihren Mitarbeitern weitgehende Eigenständigkeit gewährte, beanspruchte und forderte diese auch für sich selbst.
Abgesehen davon war sie nur in äußerst seltenen Fällen wirklich unzufrieden. Ein solcher Fall lag etwa vor, als einer ihrer Mitarbeiter, statt konstruktive Beiträge abzuliefern, allzu oft über private Probleme klagte und für das aktuelle Projekt keine sichtbaren Erfolge erzielte. Hier wurde Welskopf-Henrich, die selbst bis ins hohe Alter sorgfältig und zügig arbeitete und das auch bei anderen voraussetzte, energisch: »Ich bin nicht Ihr Beichtvater, ich bin Ihr Arbeitgeber!«17
17 Nach der Schilderung von Rößler.
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Für Außenstehende mögen Welskopf-Henrichs Tätigkeiten als Wissenschaftlerin und Schriftstellerin den Eindruck einer Art Doppelleben erwecken. Tatsächlich schenkten Welskopf-Henrichs Kollegen ihrer schriftstellerischen Arbeit nie viel Aufmerksamkeit (so zum Beispiel Rößler, der die Romane Welskopf-Henrichs nach eigener Aussage zu seinem Bedauern viel zu spät las) und bekamen Welskopf-Henrichs Begeisterung für die Indianer nur bei wenigen Gelegenheiten zu spüren, zum Beispiel wenn sie ihnen in Arbeitspausen Pemmikan servierte, eine nahrhafte Mischung aus zerstoßenem Dörrfleisch, Fett und eventuell Beeren oder Kräutern. Aufgrund seiner Haltbarkeit war Pemmikan bei den Indianern als Proviant auf Reisen und als Wintervorrat sehr beliebt. Welskopf-Henrich verstand es ausgezeichnet, dieses Gericht zuzubereiten und ihre Gäste damit zu bewirten.
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So wie es für Welskopf-Henrichs Kollegen kaum Berührungspunkte mit ihrer Schriftstellerei gab, so wussten die Bewunderer ihrer belletristischen Werke meist nichts von ihrem Beruf als Althistorikerin und ihren wissenschaftlichen