Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
Passionen eine Einheit: Beim Verfassen wissenschaftlicher Abhandlungen über das Altertum, auf der Suche nach den richtigen Formulierungen und dem Umgang mit Sprache profitierte sie von ihrer Arbeit als Autorin. Bei der systematischen Recherche von Hintergrundinformationen für ihre Romane wiederum war ihre Erfahrung als Wissenschaftlerin unbezahlbar. Ihre schriftstellerische Tätigkeit wäre ohne die wissenschaftliche kaum denkbar gewesen, zumal ein wichtiger Aspekt ihrer Indianerbücher die Vermittlung eines authentischen Geschichtsbildes ist.
Während sie die Wissenschaft als geliebten Beruf betrachtete, bezeichnete Welskopf-Henrich das Schreiben als ihr persönliches Hobby und als »Ernst« ihrer Freizeit, der ihr finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte und dem sie sich lediglich in ihrer freien Zeit widmete, das heißt abends, nachts und im Urlaub.
Auch über diese scheinbar zwei Persönlichkeiten hinaus erschien Welskopf-Henrich ihren Mitmenschen als Mensch der Gegensätze. Justus Cobet, wissenschaftlicher Fachkollege Welskopf-Henrichs:
Ich sah ihre wachen und zugleich strengen Augen. Kurz zuvor hatte sie [...] einen am Flügel verletzten Schwan aus der Kälte des Treptower Parks gerettet und in der Badewanne gepflegt, sie, die strenge Wissenschaftlerin und strenge Kommunistin. Wie passte das alles zusammen? 18
18 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 301.
Das alles »passt zusammen«, wenn man das Wort »streng« durch »entschlossen« ersetzt. Die Begriffe scheinen eng verwandt zu sein und besitzen doch verschiedene Gewichtungen. Wenn sie etwas für richtig befunden hatte, konnte Welskopf-Henrich in der Tat einen strengen Blick aufsetzen. Diese Strenge stand jedoch nicht für Hartherzigkeit oder Unnachgiebigkeit, sondern für Willensstärke und Konsequenz. Welskopf-Henrich war von Natur aus vor allem zielstrebig und nach eigener Aussage »ganz unglaublich zäh«19. Entschlossen verfolgte sie wissenschaftliche Pläne, zäh war sie, wenn es um die Umsetzung ihrer wissenschaftlichen Projekte ging.
19 In: »Die Zeit« vom 07.07.1978.
Entschlossen war sie auch bei der Arbeit an ihren Romanen oder wenn sie für ein bereits fertiggestelltes Buch einen Verleger suchte (siehe Kapitel »ein steiniger Weg«). Das Durchsetzungs- bzw. Durchhaltevermögen Welskopf-Henrichs war sicher eine ihrer wichtigsten Eigenschaften.
Ließ sie die Idee für eine neue Erzählung nicht mehr los, zog sie sich ihrem Sohn Rudolf Welskopf zufolge zurück und schrieb, bis der neue Roman vollendet war. »Ich schreibe, weil ich es nicht lassen kann«, stellte sie einst fest.20
20 ABBAW 183. Zitiert in einem Zeitungsartikel von Gerd Noglik aus dem Jahre 1971, ohne genauere Quelle.
Warum aber kann ich es nicht lassen? Kunst und Dichtung waren historisch die erste, heute sind sie neben der Wissenschaft die zweite Form der Weltdeutung, des Verstehens der Menschen untereinander und der Selbsterkenntnis. Wem diese Form aus innerer Leidenschaft und harter Arbeit zugänglich geworden ist, der will sie nicht mehr aufgeben.
Und wahrhaftig: Welskopf-Henrich gab das Schreiben nie auf: Sie frönte dieser Leidenschaft bis ins hohe Alter, selbst in Perioden vollster Terminkalender fand sie dafür Zeit. Mit Hilfe ihrer reichen Phantasie versetzte sie sich in ihre Erzählungen hinein und arbeitete daran bis tief in die Nacht. Sah sie sich mit einem Konflikt in der Handlung einer ihrer Geschichten konfrontiert, dessen Lösung ihr nicht einfallen wollte, beschäftigte sie das zutiefst. Dann grübelte sie, überlegte hin und her, änderte und setzte von Neuem an. Aus dieser persönlichen Beziehung zu ihren Geschichten resultierten ungewöhnlich lebendige Schilderungen und glaubhafte Charaktere – beides Stärken Welskopf-Henrichs, einer Autorin, die selbst bei einem recht knappen Schreibstil, wie er für »Jan und Jutta« charakteristisch ist, das Feingefühl für leise Zwischentöne und die Vermittlung von Gefühlen besaß.
Welskopf-Henrich machte sich das Schreiben nie leicht; an jeder einzelnen Seite feilte sie solange, bis sie ihren Vorstellungen entsprach. Beinahe sämtliche Bücher verfasste sie zwei bis drei Mal, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war.
Ihren Besuchern schenkte Welskopf-Henrich in den 50er Jahren oft die gerade erschienene, wieder überarbeitete Fassung von »Die Söhne der Großen Bärin«. Der Verlag schickte der Autorin von aktuell erschienen Auflagen Belegexemplare zu. Erhielt man nun von Welskopf-Henrich ein solches Exemplar, hatte sie oft schon wieder zwanzig neue maschinengeschriebene Seiten hineingelegt. Diese enthielten Kommentare über die Stellen, die sie noch verbessern wollte.
Welskopf-Henrichs Einschätzung nach lag die subjektive Problematik einer guten Textkomposition darin, dass der Dichter den ganzen Stoff beherrschen musste, um eine Komposition tatsächlich meistern zu können und »den passenden Maßstab für das Maß des Einzelnen zu finden21. Aber ein Thema zu beherrschen, gelingt in vielen Fällen erst, wenn die Erzählung geschrieben ist. Es kann sein, dass umgestellt, umgeschrieben, neu komponiert werden muss, sobald das Manuskript in der Rohfassung abgeschlossen vorliegt.«22
21 Das bedeutet, die Gewichtung innerhalb der Erzählung musste stimmen. Welskopf-Henrich legte sehr viel Wert auf die Ausgewogenheit verschiedener erzählerischer Mittel wie der direkten und indirekten Rede, der Beschreibung von Menschen, Landschaften und Ereignissen etc.
22 Einige Probleme der Komposition. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 2, Berlin: Kinderbuchverlag Berlin, Datum unbekannt, ABBAW 148.
Sie war keine Autorin, die sich einer Thematik nur mit der Aussicht annahm, damit auf dem Buchmarkt erfolgreich zu sein und einen vorhandenen Bedarf an eben dieser Art von Literatur befriedigen zu können. Sie sagte dazu: »Natürlich kann ich [...] nur das schreiben, was ich in seinem Wesen selbst erlebt habe.«23
23 Diskussion um die Bärenbande, ABBAW 163.
Alle ihre belletristischen Veröffentlichungen haben Gegenstände zum Inhalt, die sie entweder aus eigenem Erleben kannte oder die sie außerordentlich bewegten. Das bemerkt auch Rezensent B. Heimberger, der in Hinblick auf Welskopf-Henrichs Indianerbücher feststellt: »Das Exotisch-pittoreske, das durch die Hinwendung zur Welt der Indianer eingebracht wird, ist kein Vorwand, der von bloßem Geschäftssinn zeugt« und den Büchern aufgrund der »aufrichtigen Teilnahme an den Problemen der Indianer« eine »progressive Nützlichkeit« attestiert.24
24 In einer Zeitschrift aus dem Jahre 1971, aus dem Privatbestand von Marc Zschäckel, ohne genauere Angaben.
Obwohl sie Mitglied des Schriftstellerverbandes war, wohnte sie den regelmäßigen Treffen aus Zeitgründen nur selten bei. Ihr Beruf als Wissenschaftlerin hatte bei ihr oberste Priorität und nahm sie zu sehr in Anspruch. Allerdings ließ sie sich die neuesten Ereignisse in stundenlangen Telefonaten ausführlich von einer befreundeten Übersetzerin berichten.
Auch darüber hinaus kann man ihr kaum mangelndes Interesse an der schriftstellerischen Praxis vorwerfen: Zahlreiche Aufsätze und theoretische Überlegungen beweisen eine intensive Auseinandersetzung mit der Aufgabe des Schriftstellers und seiner Rolle in der Gesellschaft.
In »Der Mensch und sein Werk als Problem unseres dichterischen Schaffens« gelangt Welskopf-Henrich zu folgender allgemeiner Erkenntnis: