Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz

Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer - Erik Lorenz


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Der Vater, Dr. Rudolf Henrich, ein Versicherungsdirektor, war 1923 zwangspensioniert worden, weil er sich mit dem Gerling-Konzern angelegt hatte. Zuvor war er Rechtsanwalt in München gewesen, doch nachdem der demokratisch gesinnte Mann mit der katholischen Kirche gebrochen hatte, war er beruflich nicht mehr vorangekommen. So hatte Liselotte schon früh so manches über die Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft gelernt. 1926 starb der Vater. Sein Vermögen, das er vererbt hatte, schwand in der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise rasch dahin. Nach ihrer Promotion arbeitete Liselotte daher einige Zeit in einem Warenhaus und in der sozialen Frauenschule. Sie musste nun für sich selbst und ihre Mutter aufkommen. Wirtschaftliche Beweggründe hatten sie auch veranlasst, das für damalige Akademiker beruflich aussichtsreichste Gebiet Ökonomie als Hauptfach zu wählen und ihre eigentlichen Leidenschaften Geschichte und Philosophie nur als Nebenfächer zu belegen.

      

      

1906, Welskopf-Henrich (rechts) und eine Münchener Freundin

      

1925

      

1940

      

1946, Hochzeit

      Nach einer Reihe kleinerer Jobs wurde sie 1928 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Statistischen Reichsamt in Berlin angestellt, wo sie unter anderem volkswirtschaftliche Bilanzen bearbeitete und bis zur Referentin aufstieg. Dank günstiger Arbeitszeiten konnte sie in dieser Phase viele Bücher über Völkerkunde lesen. Das bereits bestehende Interesse an den Indianern verfestigte sich. Außerdem setzte sie auf eigene Faust ihre historischen und philosophischen Studien fort. Da sie der nationalsozialistischen Ideologie höchst ablehnend gegenüberstand und sich weigerte, NSDAP­-Mitglied zu werden, konnte sie die angestrebte Karriere an der Universität auch in den 1930er Jahren nicht beginnen. Als 1933 eine akademische Stelle frei wurde, lehnte sie sie aus diesem Grund ab. Von ihrer ehemals besten Freundin aus dem englischen Internat entfernte sie sich zunehmend, da ihre Gedanken und Gefühle hinsichtlich der Nationalsozialisten sehr verschiedenen voneinander waren.

      1949 sah Welskopf-Henrich endlich den Zeitpunkt gekommen, an die Universität zurückzukehren und ihre wissenschaftliche Laufbahn fortzusetzen: Sie bewarb sich um eine Ausbildung zur Dozentin für Geschichte des Altertums und Geschichtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dabei behauptete sie, sich schon seit langem mit Marx auseinandergesetzt zu haben; tatsächlich war sie jedoch erst im Zweiten Weltkrieg durch ihren späteren Mann mit den kommunistischen Ideen in Berührung gekommen.

      Die Bewerbung war erfolgreich. Zunächst als Aspirantin an der Humboldt-Universität im Fach Alte Geschichte angestellt, wurde sie 1952 mit einer Dozentur beauftragt und nach Vollendung ihrer Habilitation 1960 zur Dozentin ernannt.

      

      

1964

      Am 1. Januar 1961 ernannte man sie zur Leiterin der Abteilung Altertum des Instituts für Allgemeine Geschichte an der Philosophischen Fakultät, die sie schon seit Mai 1958 kommissarisch leitete, und sie wurde zum (ersten weiblichen) ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt. Sie erhielt den Nationalpreis der DDR, wurde als »Verdienter Wissenschaftler des Volkes« ausgezeichnet und erhielt zahlreiche weitere staatliche und gesellschaftliche Auszeichnungen.

      * * *

      Bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr der Jugendliteratur von Autoren wie Karl May und vor allem Cooper zugetan, wandte sich Welskopf-Henrich später Werken wie Schillers philosophischen und historischen Schriften sowie Lessings Schriften zu Kunst und Dramatik zu. Shakespeares Tragödien sah sie im Reinhardt-Theater in Berlin. In den folgenden Jahren galt ihre Aufmerksamkeit zunehmend der russischen Literatur, der deutschen kritischen Literatur der frühen zwanziger Jahre und französischen, englischen und norwegischen Schriftstellern. Auch für das Gebiet der historischen Wissenschaft begeisterte Welskopf-Henrich sich bald – so studierte sie mit 14 Jahren Thukydides, einen der bedeutendsten Historiker der Antike. Überhaupt interessierte sie sich schon frühzeitig für Bücher über das frühe Griechenland und die griechische Mythologie und beschloss bereits in diesen jungen Jahren, Altertumswissenschaftlerin zu werden.


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