Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer. Erik Lorenz
es ihr, als Wissenschaftlerin internationales Ansehen zu erlangen, nachdem bei ihren vorangegangenen Beförderungen zur Professorin mit Lehrauftrag und zur Leiterin der Abteilung Altertum ihre politische und ideologische Zuverlässigkeit und ihre Anerkennung als Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus wahrscheinlich noch eine wichtigere Rolle gespielt hatten als ihre Forschungsleistungen. Schließlich war ihre wissenschaftliche Laufbahn viele Jahre unterbrochen gewesen.
6 Inhalt: Politik, Wirtschaft, Sport, Mode, Technik, Kunst etc. in den griechischen Stadtstaaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. u. Z.; das vierbändige Werk ist noch heute in fast allen altertumswissenschaftlichen Bibliotheken der Welt zu finden.
Um das enorme Arbeitspensum der großen Projekte zu bewältigen, beschäftigte Welskopf-Henrich eine Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistenten, die sie privat bezahlte. Diese Mitarbeiter waren Studierende und Studierte, die aus zahlreichen antiken Schriftquellen die entscheidenden Stellen heraussuchten und bei organisatorischen Fragen behilflich waren. Anfangs beschäftigte sie einen Mitarbeiter, später waren es drei oder vier, zwischenzeitlich sogar bis zu acht.
Ein solcher Student war Gert Audring. Ihm gefiel das Pädagogikstudium in Potsdam nicht, weil ihm die Ausbildung zu oberflächlich war. In seinem Verdruss wandte er sich an einen älteren Studenten, und dieser riet ihm: »Wenn du Probleme hast, dann musst du mal mit der Welskopf reden.« Welskopf-Henrich lud ihn bald darauf ein, ließ sich seine Zeugnisnoten zeigen und überzeugte sich von seinem Wissen, seiner Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, auf die sie sehr großen Wert legte. Da sie mit dem jungen Mann zufrieden war, ermöglichte sie ihm, seinem Herzenswunsch entsprechend, den Hochschulwechsel nach Berlin; allerdings knüpfte sie daran einige Bedingungen. Ursprünglich wollte Audring nur Geschichte studieren und war auch bereit, den Marxismus zu akzeptieren; für Welskopf-Henrich als überzeugte Marxistin von grundlegender Wichtigkeit. Sie verlangte aber zusätzlich von ihm, dass er Latein studiere, was ihm zunächst völlig fern lag, wogegen er gar eine Abneigung hegte. Von dieser Forderung ließ sich Welskopf-Henrich jedoch keinen Deut abbringen, denn sie wusste: Wenn man in die Alte Geschichte eindringen wollte, musste man sein Handwerk beherrschen. Also hat Audring Latein studiert und abends noch Griechisch gelernt, weil er sonst die Quellen nicht hätte lesen können; er wäre sonst nur einer von vielen gewesen, die auf die Darstellungen anderer angewiesen waren und lediglich den Marxismus hinzufügten. Und das war für Welskopf-Henrich nicht akzeptabel. Sie wollte gründliche, marxistische Forschung auf der Grundlage von exakten Sprachkenntnissen. Diese Vorstellung setzte sie konsequent durch. Mit allen Mitteln versuchte sie zu verhindern, dass der Wissenschaftszweig Alte Geschichte, wie vorgesehen, in der DDR abgeschafft würde und dass dann nur noch die entsprechenden russischen Bücher übersetzt würden. Welskopf-Henrich wollte eine eigenständige Alte Geschichte in der DDR, neu begründet auf marxistischer Basis, und in diesem Sinne hat sie publiziert.
Um die marxistische Geschichtsforschung in der DDR zu etablieren, förderte Welskopf-Henrich besonders junge Menschen, von denen sie annahm, dass sie sich engagierten, Marx gründlich lasen und zur Weiterentwicklung beitragen würden. So holte sie Audring nach Berlin, wo er wie gewünscht studieren, sein Staatsexamen machen und in die Wissenschaft gehen konnte. Auch in ihre eigenen Forschungsprojekte bezog Welskopf-Henrich ihn mit ein.
Audring: »Für mich bleibt sie nach wie vor diejenige Frau, die mir ermöglicht hat, mir meinen Berufswunsch zu erfüllen. Das werde ich ihr nie vergessen.«
Welskopf-Henrich war eine mutige Frau, auch in Bezug auf ihre wissenschaftlichen Bücher. Sie hat sich vom Stalinismus distanziert, wo der Sklave lediglich als antiker Proletarier angesehen wurde. Dabei hat sie auch moderne Auffassungen in die Alte Geschichte hineingetragen. Das war der Schwung des Marxismus: Alles strebte vorwärts, auch in der Antike, was zu dem gewagten Vergleich »Spartakus war der Liebknecht der Antike« führte, wie er zu jener Zeit gern gebraucht wurde.
Trotzdem hat sie sich von der sowjetischen Forschung abgegrenzt, weswegen einige ihrer Veröffentlichungen in der DDR wenig beachtet wurden.
Eine weitere private wissenschaftliche Mitarbeiterin war Brigitte Johanna Schulz. Sie berichtete 2002 auf einer Konferenz in Halle: »Bei der Auswahl der Mitarbeiter fragte Frau Welskopf nicht nach dem ‚Klassenstandpunkt’;7wichtig war allein, was man konnte und für das Vorankommen des Projektes tat.«
7 Stark, Isolde (Hrsg.): Elisabeth Charlotte Welskopf und die Alte Geschichte in der DDR – Beiträge der Konferenz vom 21. bis 23. November 2002 in Halle/Saale, S. 293.
Über das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses gab Schulz ebenfalls Auskunft:
Nun ging alles sehr schnell. Mein Arbeitsvertrag begann am 1. Januar 1974, aber bereits im Herbst 1973 hatte sie [Welskopf-Henrich] alles in die Wege geleitet, um mich einerseits der zentralen Absolventenlenkung zu entreißen und andererseits in die Doktorandenausbildung [Schulung in Marxismus-Leninismus und Sprachkurse] der Akademie der Wissenschaften einzuschleusen, die eigentlich nur für die Doktoranden der Akademie bestimmt war. Sicher waren etliche Telefonate und Korrespondenzen dafür nötig, aber ich bekam nur die prompten Resultate mit: »Ja, Sie können bei mir anfangen.«8, 9
8 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 292.
9 Welskopf-Henrichs Sohn Rudolf Welskopf erinnerte sich gleichfalls auf der Konferenz: »Bei aller Phantasie, über die sie verfügte – sie stand mit beiden Beinen fest in der Wirklichkeit. Das heißt auch, dass sie auf der Klaviatur der Bürokratie spielen konnte. Was sie in und an der DDR für zumindest mittelfristig unabänderlich hielt, dem unterwarf sie sich nicht einfach, sondern versuchte, es auszunutzen für ihre wissenschaftlichen Projekte.« In: Stark, Isolde: Konferenzband S. 308.
Mit ihrer Vermutung hinsichtlich der Korrespondenzen lag Schulz vollkommen richtig. Welskopf-Henrich schrieb an die Kaderleitung der Akademie, sie schrieb an die Universität, sie schrieb an das Finanzamt usw. In ihren Briefen wies sie wirkungsvoll auf die internationale Zusammensetzung des Projektes der »Sozialen Typenbegriffe« und dessen Bedeutung für das Politbüro der SED hin. In der Tat verstand es Welskopf-Henrich, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu Isolde Stark: »Man war bei Frau Welskopf gewöhnt: Es geht alles schnell, zügig und immer mit gutem Ausgang.«10
10 Stark, Isolde: Konferenzband, S. 294.
Für ihre Schreiben verwendete Welskopf-Henrich einen Kopfbogen, auf dem sämtliche ihrer Titel, Ämter, Würden und Orden verzeichnet waren. Darauf hinzuweisen, war ihr sehr wichtig. Schon Tage vor ihrer Berufung zur Professorin ließ sie Briefumschläge drucken, auf denen »Prof. Dr. Welskopf« stand. In dieser Hinsicht war sie sehr ehrgeizig und auch etwas eitel. (Immerhin musste sie sich ihre Titel hart erkämpfen.)
Und sie ließ sich von niemandem beirren. Zum Beispiel beschäftigte sie bei ihren Projekten Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften (AdW), die in Projekte der AdW eingebunden waren und dafür ihr Gehalt bekamen. Der Ur- und Frühhistoriker Joachim Herrmann (1932-2010), Direktor des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie (ZIAGA), versuchte den Mitarbeitern seines Instituts sogar die Beteiligung am Großprojekt »Soziale Typenbegriffe im Alten Griechenland und ihr Fortleben in den Sprachen der Welt« zu verbieten. Schon das Vorgängerprojekt »Hellenische Poleis«, das er als Konkurrenzprojekt zu den Forschungen seines eigenen Instituts betrachtete, hatte er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln sabotiert: Während Welskopf-Henrich nach Vollendung des Manuskripts im Urlaub in Österreich war, ließ er kurzerhand den Druck im Akademie-Verlag stoppen. Um die Druckgenehmigung hinauszuzögern, forderte er ein überflüssiges Gutachten an,