Das große Sutherland-Kompendium. William Garner Sutherland
Bewegungstests anwenden, folgen wir dem für Flexion gegebenen Beispiel.
Das Torsion genannte Muster ist einfach eine Verdrehung an der sphenobasilaren Verbindung. Das bedeutet, das Os sphenoidale dreht sich auf einer anteriorposterioren Achse in eine Richtung, und das Os occipitale dreht sich entgegengesetzt. Deshalb gibt es zwei Torsionsmuster, die nach der Position der höheren Ala major des Os sphenoidale benannt werden. Es gibt eine Torsion mit einer erhöhten Ala major auf der rechten Seite und eine Torsion mit einer erhöhten Ala major auf der linken Seite. Das gleiche Prinzip, wie es am Beispiel der Flexion aufgezeigt wurde, wird bei den diagnostischen Bewegungstests angewendet (Zeichnung I–16). Dies sind die grundlegenden Muster von Position und Bewegung, mit denen Sie es zu tun haben, wenn Sie membranöse Gelenkstrains des Schädels erfassen. Die Bezeichnungen lauten Flexion, Extension, Sidebending/Rotation mit der Konvexität rechts oder links und Torsion mit einer Ala major hoch rechts oder links.57
Obwohl es der membranöse Anteil ist, der den Strain oder die Belastung aufgenommen hat, zeigt sich der Gesamteffekt an den Beziehungen zwischen den Knochen. In der Praxis werden unterschiedliche Dysfunktionen und Strains am Cranium vorgefunden. Gewöhnlich sind diese an der sphenobasilaren Verbindung anzutreffen, mit Folgen für alle Gelenke im gesamten Mechanismus.
Die Einwirkung einer äußeren Kraft auf den lebenden Schädelmechanismus muss in Bezug auf alle ihre individuellen Details analysiert werden.
Es ist gut, wenn man sich daran erinnert, dass es in solchen Fällen sehr wahrscheinlich mehr als nur eine Folge geben wird. Diese Dysfunktionen bezeichnet man als traumatischen Ursprungs. Die Analyse der beteiligten Kräfte und der Trägheit in der jeweiligen Situation stellen ein weites Untersuchungsfeld dar. Spezifische Strains können im Körper des Patienten möglicherweise als Nebeneffekt bei Operationen durch Chirurgen oder Zahnärzte oder bei Bewusstlosigkeit auftreten. Strains können auch nach einer extremen Anstrengung erfolgt sein oder wenn sich der Patient in einer überlastenden Haltung befand.
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Der Mechanismus ist einfach, wie das bei allen physiologischen Prinzipien ist, die ‚nicht von Menschenhand geformt‘ wurden.
„Ich nehme nicht für mich in Anspruch, Autor der Wissenschaft Osteopathie zu sein. Keine menschliche Hand hat ihre Gesetze geformt. Ich erwarte keine größere Ehre als diejenige sie entdeckt zu haben.“ 58
Wenn man den Mechanismus richtig versteht, ist er der Schlüssel für ein einfaches Lösen der membranösen Strains an den Schädelgelenken. Mir gefällt der Gedanke an einen Rhythmus in der Dura. Daraus ergibt sich notwendigerweise, dass man die Tensionsqualität eher durch den Tastsinn erkennt, und nicht eine reine Gewebemanipulation durchführt. Wenn wir in harmonischer Balance mit den Prinzipien des Mechanismus arbeiten, haben wir den Ausdruck einer nicht-schneidenden chirurgischen Fähigkeit.
Ich möchte mich noch einmal auf Dr. Stills Lehre berufen: Wir müssen die Position und den Zweck eines jeden Knochens kennen und mit jedem seiner Gelenke völlig vertraut sein. Wir müssen eine perfekte Vorstellung von der Normalität der Gelenkverbindungen besitzen, die wir korrigieren wollen.59
Wir als Mechaniker des menschlichen Körpers sind zugleich Mechaniker in der Wissenschaft des Verstehens, wenn wir die grundlegenden Prinzipien des Primären Atemmechanismus durchdringen. Deshalb ist es so wichtig, die Grundlagen dieses Teils des lebendigen menschlichen Körpers vom Blickwinkel der osteopathischen Wissenschaft aus zu begreifen: die membranösen Strains der Schädelgelenke und ihr Einfluss auf den Rest des Körpers.
10. DYSFUNKTIONEN IM VASKULÄREN SYSTEM
Die Wissenschaft der Osteopathie ist einfach. Sie verstehen, dass Sie nicht nur ein Mechaniker des Skelettsystems, sondern auch der Körperflüssigkeiten sind. Das Knochengewebe besteht ebenfalls aus Flüssigkeit. Sie können der Apotheker sein, weil Sie die Chemikalien in ‚Gottes Apotheke‘ mischen, wie es Dr. Still nannte. Er sagte,
„[…] dass der menschliche Körper Gottes Apotheke sei und alle Flüssigkeiten, Medikamente, feuchtende Öle, Opiate, Säuren und Laugen und überhaupt alle Arten von Medikamenten in sich trage, welche die Weisheit Gottes für menschliches Glück und Gesundheit als nötig erachtet hat.“
Er hatte diese Dinge erkannt und wie ich schon gesagt habe, war es nicht immer leicht für ihn, andere dazu zu bringen, dies zu verstehen. Es geht also darum, die Vision von Dr. Still zu begreifen und nicht die meinige. Wie auch immer, der Boden muss vorbereitet werden, um wieder zur Wissenschaft der Osteopathie zurückzukehren.
Lernen Sie, nicht einfach jede Information zu schlucken, die Ihnen unter die Augen kommt. Untersuchen Sie den menschlichen Körper, sowohl den lebendigen als auch den toten. Studieren Sie das Prinzip des Lebens und Sie kommen dem Verständnis dessen näher, was wir unter dem ATEM DES LEBENS verstehen. Dr. Still tat sein Bestes, diesen vorzustellen und begreiflich zu machen, aber wir waren noch nicht so weit.
Denken Sie an jene Apotheke, den Plexus choroideus, in welcher der Austausch zwischen all den Chemikalien, der Zerebrospinalen Flüssigkeit und dem arteriellen Blutstrom stattfindet. Sie finden dort den Austausch zwischen den Chemikalien in der Zerebrospinalen Flüssigkeit und jenen im Blut, wenn Sie es sich auf diese Weise vorstellen können.
Ich möchte, dass Sie in den dritten Ventrikel hineinsehen, oben am Dach, und diesen Plexus choroideus visualisieren. Am Sektionsexemplar finden Sie alles zusammengedrückt vor. Warum? Der Patient starb während der Exhalation und der Mechanismus zog sich zurück. Der dritte Ventrikel fiel in sich zusammen.
Was machen die flügelförmigen ersten und zweiten Ventrikel während der Inhalation? Sie schwingen nach außen und der dritte Ventrikel nimmt eine V–Form an. Während der Inhalation dehnt sich der Plexus choroideus, der sich auf dem Dach und nicht innerhalb des dritten Ventrikels befindet, aus. Das Dach ist ein Schurz zwischen der Innen- und der Außenseite, und der Plexus choroideus befindet sich auf der Außenseite des Gehirns. Es ist dieses Dach, das sich während der Inhalation ausdehnt und während der Exhalation zusammenbauscht, wenn die Wände des dritten Ventrikels zusammenkommen.
Erkennen Sie den Mechanismus – einen Mechanismus, der sich durch das Ganze hindurch erstreckt? Folgen Sie dann dem kleinen arteriellen Blutstrom, der zum Plexus choroideus hinaufläuft, um ihn mit arteriellem Blut zu versorgen. Folgen Sie dem Strom der Zerebrospinalen Flüssigkeit – wohin strömt sie? Folgen Sie der Arterie, die an der Außenseite des Gehirns oberhalb des dritten Ventrikels geradewegs zum Plexus choroideus verläuft und denken Sie darüber nach, was die Fachleute sagen. Sie behaupten, dass sich hier die Stelle befindet, an der der chemische Austausch zwischen der Zerebrospinalen Flüssigkeit und dem Blut stattfindet.
‚Aha!‘, sagen Sie. Wäre es für einen kranialen Behandler möglich, die Bewegung dieses Mechanismus zu ändern? Könnte er dadurch einen physiologischen Austausch herbeiführen? Wenn der Mechanismus blockiert wäre, könnten Sie seine Bewegung so wiederherstellen, dass eine normale physiologische Funktion besteht, um einen normalen Austausch zwischen der Zerebrospinalen Flüssigkeit und dem Blut an allen Plexi choroidei zu gewährleisten?
Auf diese Möglichkeit hat Dr. Still Sie in allen seinen Schriften hingewiesen. Woher kam denn die Wissenschaft der Osteopathie zu Dr. Still, wenn nicht von unserem SCHÖPFER, der den gesamten Mechanismus durchschaut? Darum verfügen wir über so viele Möglichkeiten, weit jenseits jeder anderen Wissenschaft, welche behauptet, alles für die Reparatur dieses menschlichen Mechanismus zu tun. Wir können verstehen, warum wir Mechaniker sind. Wir behandeln einen Mechanismus. Unsere Behandlung bedeutet nicht, irgendetwas einfach zu ölen oder so ähnlich.
Es handelt sich um eine ‚Apotheke‘; wenn wir den Mechanismus so wiederherstellen, dass wir eine normale Funktionsweise beziehungsweise einen chemischen Austausch am Plexus choroideus haben, dann werden wir zum Apotheker im Gehirn, der das Rezept ausfüllt. Ist Ihnen das verständlich?
Dann sehe ich mich um und stoße auf einen venösen Kanal, der sich von den üblichen