Fallsucht. Lotte Bromberg

Fallsucht - Lotte Bromberg


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Ihr Cabrio stand in Schlachtensee in einer Nebenstraße. Hier waren keine Reifenspuren. Sie starb in der warmen Nacht auf Ostersonntag, als sie am Dienstagmorgen gefunden wurde, war der Winter zurückgekehrt. Eine geschlossene Schneedecke hatte alle Spuren verwischt. Sind die Kissen eigentlich von ihr?«

      »Ihr Mann kannte sie nicht. Er hat ausgesagt, so etwas hätte er nicht in seinem Haus geduldet, weder die Kissen, noch die Tücher oder die Kerzen. Warum auch immer.«

      »Zu weiblich. Die Farben, die Stoffe, alles weich, warm, ohne Status, nur gemütlich«, sagte Tanja.

      »Nichts für Herrn Professor.«

      »Also ihr Liebhaber, für den sie das hier alles eingerichtet hat, muß ganz anders gewesen sein als ihr Mann. Romantisch, jünger wahrscheinlich?« Tanja sah Jakob an. »Wie fühlt sich das an für Sie als Mann, all die Seidentücher, die Kerzen, die Vögel draußen?«

      Jakob überlegte. »Altmodisch. Nach Tropfkerzen und Sangriaflaschen. Aber das war vor Ihrer Zeit. Stundenlanges Geknutsche. Wenig Sex, viel Zärtlichkeit und Erotik.«

      »Und was sagt uns das jetzt?« Tanja streckte die Beine aus.

      »Es zeigt die letzten Momente im Leben unseres Opfers. Da müssen wir anfangen, am Ende. Sie hat eine Welt aufgebaut, die es nicht mehr gibt und die sich von ihrem Alltag unterscheidet. Sie hat etwas feiern wollen, genießen, das sie sich ersehnt hat mit einem jungen Teil ihrer Seele und das sie glaubte, verstecken zu müssen.«

      »Und dann ist er gekommen, der Mann, für den sie das alles inszeniert hat und hat sie erstochen. Sieht aus, als wäre sie auf den Falschen getroffen.«

      »Langsam«, sagte Jakob.

      »Immerhin hat er sie getötet, das hat sie sich sicher anders vorgestellt.«

      »Wenn wir ihn haben, werden wir ihn fragen. Bis dahin denken Sie an die Tatortphotos der Toten. Wie hat sie auf Sie gewirkt, ist Ihnen etwas aufgefallen?«

      »Entspannt wirkte sie, mal davon abgesehen, daß sie tot war. Keine Angst, kein Entsetzen.«

      »Das meine ich nicht. Ihre Augen, haben Sie das gesehen? Er hat sie erstochen und ihr danach die Augen geschlossen.«

      »Also doch ihr Mann?«

      »Kollege Schuman glaubt, er wäre es gewesen.«

      »Er hat ein Alibi, noch dazu in Amerika.«

      »Schuman denkt, er hätte einen Killer engagiert.«

      »Und den schickt er los und sagt ihm, hinterher schließt Du die Augen? So ein Schwachsinn.« Tanja stand auf. »Das kenne ich von früher. Wenn der Lieblingsverdächtige ein Alibi hat, dann war es ein Auftragsmörder, die Uhren gingen falsch, die Weltverschwörung schlägt zu oder sonstwas. Und solange man auf die Sackgasse starrt, in die man sich immer tiefer eingräbt, schneien die Spuren des wirklichen Täters zu.«

      Jakob schwieg.

      Tanja ging in der Hütte auf und ab und wirbelte den Staub auf.

      Jakob hustete und schwieg.

      Sie setzte sich wieder.

      Er sah ihr in die Augen. Mittenhinein und schwieg.

      Tanja bemühte sich zurückzusehen, dieses komische Vorbild anzusehen. Seine verwuschelten Haare, die großen Hände, die großen Augen. Die sehr tiefen, sehr großen Augen. Sie schnappte nach Luft, hielt sich an der Reling fest und zog sich aus dem Sog. Die harmlose Brille war Tarnung.

      »Wir sollten ihn uns ansehen, den feinen Pinkel«, sagte sie.

      Jakob nickte. »Am besten bei ihm zuhause. Ich will wissen, wie sie gelebt hat.« Er stand langsam auf. »Lassen Sie uns das hier zusammenräumen und hinfahren, wir können frische Luft gebrauchen.«

      »Müssen wir uns nicht ankündigen?«

      »Ein bißchen Überraschung muß sein, sogar in Schlachtensee.«

      Jakob ließ Tanja am Haus vorbeifahren, in die zweite Nebenstraße rechts einbiegen und dann die erste links nehmen. Sie wendete am Ende und parkte zwischen zwei Laternenpfählen. Hunde bellten, ein Gärtner sah auf. Sie stiegen aus.

      »Warum parken wir so weit weg?«, fragte Tanja.

      »Ihr Wagen stand hier. Ihr Mann hat ihn als vermißt gemeldet, ihn dann beim Joggen entdeckt. Das ist seine Strecke, immer samstags.«

      »Am Dienstag wird seine ermordete Frau entdeckt und am Samstag geht er joggen?«

      »Offenbar ein disziplinierter Mann.«

      »Und ihre Schlüssel, wo waren die?«

      »Ordentlich zuhause in der Schlüsselschale, sagt er.«

      Sie bogen in die Straße ein. Ein weißer Neubau, Fenster und Türen wie Schießscharten. Knarzige Kiefern besetzten das Grundstück und blickten verächtlich auf das Haus herab, das man ihnen vor die Füße gelegt hatte und dessen schneeweiße Wände sie langmütig mit einer grünen Patina in den Alltag zogen. Eine dürre Hecke markierte zusammen mit einem verrosteten schmiedeeisernen Zaun die Grundstücksgrenze. Tanja drückte auf die Klingel am Tor unter dem Namen Krüger. Sie waren weithin sichtbar, trotzdem fragte eine Männerstimme: »Ja bitte?«

      »Kriminalpolizei«, sagte sie. »Wir hätten Sie gern gesprochen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, ergänzte Jakob.

      Das Tor surrte, Tanja schob es auf, knarrend kündete es von alten Zeiten ohne Schießscharten. Ein stählern hagerer, kahlköpfiger Mann erwartete sie in der geöffneten Tür. Jakob streckte die Hand aus. »Hagedorn, Hauptkommissar, wir kennen uns noch nicht.«

      Professor Dr. Peter Krüger ignorierte Jakobs Hand, trat zurück und ließ sie eintreten. Hinter ihnen fiel die Tür wie hydraulisch angesaugt ins Schloß. Es roch nach Farbe und Teppichkleber.

      Sie standen in einem Raum, der sich über die gesame Tiefe des Erdgeschosses erstreckte. Rechts waren zwei Türen, links ging das Zimmer in eine offene Küche über, die halb verborgen unter der Treppe ins Obergeschoß lag. Sie waren buchstäblich mit der Tür ins Haus gefallen. Vor ihnen breitete sich eine raumgreifende, düstere Sitzgruppe aus, die zum Garten ausgerichtet war. Bodentiefe Fenster ließen den Blick über eine sich wohlhabend abschwingende Rasenfläche auslaufen. Mittendrin senkte eine mächtige Buche ihre Zweige auf das Grün. Im Schutzraum dieses Gartens hatte sie ihre Blätter mutiger als die Havelgeschwister entfaltet und tauchte das Haus in ein kraftstrotzendes Hoffnungsgrün. Links von ihr störte eine ausladende Gartenplastik aus poliertem Stahl die Ruhe.

      »Was für ein wunderschöner Baum«, sagte Jakob.

      »Meiner Frau hat er auch gefallen. Ich bin ja nicht so für grün«, sagte der Hausherr und ging zur Sitzgruppe voraus. »Ich nehme an, daß Sie wegen des Mordes an meiner Frau gekommen sind. Was führt Sie zu mir nach so langer Zeit, eine neue Spur?«

      »Leider nein«, antwortete Jakob. »Aus gesundheitlichen Gründen mußte der Kollege den Fall abgeben und wir machen uns gerade erst ein Bild.« Sie setzten sich und Jakobs Blick fiel auf die Schießschartenwand zur Straße, sie war bis zur Decke mit Bücherregalen gefüllt. Es mußten hunderte Taschenbücher sein, in chaotischer Buntheit reihte sich Rücken an Rücken, selbst die Freiräume über den Büchern waren vollgestopft mit querliegenden Bänden. Ein verwirrend lebendiger Anblick in diesem Haus. Jakob widerstand der Versuchung, aufzuspringen und die Titel zu lesen.

      »Dann hoffe ich, daß Sie nicht sein vorschnelles Urteil übernommen haben und auch in andere Richtungen ermitteln als ausschließlich den Ehemann zu drangsalieren«, sagte Professor Krüger.

      »Soweit ich weiß, waren Sie nicht verheiratet?«, fragte Jakob.

      »Meine Frau wollte das nicht. Sie sagte, sie habe schlechte Erfahrungen. Ich hatte keinen Grund, ihr zu mißtrauen.«

      »Mit ihrem gefälschten Ausweis wäre es auch schwierig geworden auf dem Standesamt«, sagte Tanja trocken.

      »Davon habe ich nichts gewußt.«

      »Warum


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