Fallsucht. Lotte Bromberg

Fallsucht - Lotte Bromberg


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weiterhin allein blieb, setzte er sich zum Spargelschälen an den Küchentisch. Bei der dritten Stange erschien die Sporthose in der Küchentür.

      »Magst Du Spargel?«, fragte Jakob.

      Der Mann starrte ihn an. Den Spargel, die Schüssel, den Tee.

      »Setz Dich doch, ich habe Tee gemacht. Milch und Zucker?«

      Der Mann schob sich an Jakob vorbei, ohne ihn aus den Augen zu lassen und setzte sich auf den Rand eines Stuhls.

      »Das ist Assam, echt lecker. Hier aus dem Teeladen eine Straße weiter. Gehört einem ehemaligen Kunden von mir. Hat seine Frau abgemurkst. Genau genommen aus dem Fenster geworfen. Nicht aus dem Laden natürlich, sondern aus dem vierten Stock bei sich zuhause in Tegel. Jetzt verkauft er wieder Tee, zwölf Jahre später. Gibt eben immer ein Leben danach, das vergißt man gerne. Schön kräftig. Das Aroma, meine ich. Müßte was für Dich sein. Nun koste schon, sei nicht unhöflich.«

      Der Mann trank einen Schluck.

      »Zu stark, was?« Jakob legte den Spargelschäler weg und holte einen Zuckerstreuer. Der Mann ließ ihn nicht aus den Augen.

      »Nimm Zucker.« Der Mann süßte seinen Tee. Zwei Schwule bei der feierabendlichen Küchenarbeit, dachte Jakob.

      »Ich soll den Zettel wieder mitnehmen.«

      »Aber gerne.« Jakob faltete das Karo und hielt es ihm hin.

      Der Mann griff zu und versenkte ihn in der Hosentasche. »Und eine Antwort brauche ich auch.«

      »Wie war noch mal die Frage?«

      »Ob Du Wladimir hilfst oder nicht.«

      »Das überlege ich noch«, sagte Jakob und schälte weiter.

      »Aber nicht zu lange.«

      Jakob sah auf. »Was sonst? Sitzt in meiner Küche, trinkst meinen Tee und willst mir drohen? Was für eine Kinderstube.«

      »Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht.« Der Mann sah auf seine Hände. »Wladi hat schon gesagt, das hier wird ein ganz anderes Ding als was ich sonst immer mache.«

      »Recht hat er.« Jakob war mit dem Spargel fertig, schraubte seinen langen Körper vom Küchenstuhl und räumte auf. »Willst Du nun was mitessen oder nicht?«

      »Eine Antwort will ich.«

      »Was schlägt er denn vor, wie es jetzt weitergeht, Dein Wladi?«

      »Er will Sie treffen, und dann sagt er Ihnen, was Sie machen sollen.«

      »Wenn ich mich nicht irre, sitzt er in Untersuchungshaft. Soll ich ihn da etwa besuchen?«

      »Auf dem Klo will er Sie treffen, bei Gericht. Montag geht seine Verhandlung weiter. Die wird aber schnell unterbrochen, weil er ein Attest hat und danach, sagt er, muß er aufs Klo.«

      »Na, dann sag Deinem Kumpel, ich geh' im Gericht gern aufs Klo und nächsten Montag ganz bestimmt.« Jakob grinste. »Mit Wladimir wollte ich schon immer mal da hin.«

      Der Mann lief feuerrrot an, gab Jakob linkisch die Hand und stolperte aus der Wohnung.

      Jakob blieb vor dem Schaufenster stehen und sah in den Friseursalon. MM fuhr durch das Haar einer blondierten Kundin tapferen späten Mittelalters, als sei es das zottige Fell eines Straßenköters. Die Frau gestikulierte beidhändig, schwer bereift und beringt. Sogar die Füße zappelten. MM stand hinter ihr, hielt Blickkontakt über den Spiegel, legte zwei perfekt manikürte Hände auf ihre Schultern und unterbrach sie. Auf ein Winken näherte sich ein schmaler Jüngling in hautengen Jeans, den MM in das Blickfeld der Kundin schob. Der Lehrling knipste ein professionell blitzblankes Lächeln an, die Frau sank tief in den Stuhl. Ihre Füße stellten das Zappeln ein.

      Jakob betrat den Laden. Hitze aus Fönen und Hauben schlug ihm entgegen. Er schnappte nach Luft, lange genug, um von MMs Umarmung überrascht zu werden.

      »Jakob, kleiner Schlaumeier, wo warst Du denn so lang?« Sie gab ihm zwei parfümgesättigte Schmatzer auf die Wangen. »Sonders gut schaust nicht aus. Hast wieder nirgends eine anständige Frau gehabt, die sich kümmert. Na, jetzt bist ja bei mir.«

      Jakob grinste.

      »Stimmt, hab’ ich geredet Blödsinn. Wenn Maria Magdalena eins nicht ist, ist es anständig.«

      »Du bist der anständigste Mensch, den ich kenne.« Jakob lachte.

      »Du kennst eben viel zu wenig Leut’.« Sie ging zum Pausenraum voraus, streichelte ihren schnarchenden Mops, der zuckend auf einem mit Leopardenimitat bezogenen Sessel von gewonnenen Schlachten träumte und goß Kaffee aus einer Thermoskanne ein.

      »Einen neuen Lehrling hast Du«, sagte Jakob. »Hübscher Junge.«

      »Seine Schwester läuft auf der Potsdamer und hat Sorge, daß er sich was abguckt. Ich soll ihm Anständiges beibringen.«

      »Das kannst Du.«

      »Na klar.« Sie lachten. »Aber süß ist er, oder?«

      »Hauptsache, Deine Kundschaft findet das.«

      »Meinst Du die Zehlendorfer Tucke?« Sie seufzte. »Die hat mir Samuel geschickt.«

      »Er meint es gut.«

      »Soll er mich besuchen, wenn er es gut will meinen. Verfluchte Brut.« Sie schniefte.

      Jakob strich ihr über die Wange.

      »Finger weg, der Putz kostet ein Vermögen.« Sie schneuzte sich.

      »Vor kurzem hat er einen großen Fall gewonnen«, sagte Jakob.

      »In der Abendschau war er. Mein Junge. Alle konnten ihn sehen.«

      »Er ist ein guter Staatsanwalt, meistens.«

      »Dünn hat er ausgeschaut, findest Du nicht? Seine Schickse kocht nicht richtig für ihn.« Sie zog sich im Sitzen den Rock herunter. Die Knie blieben unerreichbar. »Was führt Dich denn nun her? Warst wirklich lange nicht bei mir.«

      »Ich hatte eine Auszeit. Jetzt könnte ich Deine Hilfe brauchen.«

      »Immer, mein Süßer, das weißt Du.«

      »Es geht um Deine alten Kontakte.«

      »Sag’ nicht, daß Du unter die Freier gehen willst. Ich nenne Dir zwanzig Frauen, die für eine Nacht mit dir zahlen würden.«

      »Ich komme darauf zurück, vielleicht kann ich demnächst eine Einnahmequelle gebrauchen«, sagte Jakob lachend. Er zog Photos aus der Jackentasche. »Es geht um eine Tätowierung.«

      MM sah sie sich an. »Sagt mir nix. Sieht altmodisch aus, wie eine Markierung. Zugehörigkeit, bestandene Prüfung, so was. Auf alle Fälle nichts Schmückendes.« Sie reichte die Photos zurück.

      Jakob wehrte ab. »Ich möchte, daß Du sie behältst und im Milieu rumzeigst.«

      »Das kann ich nicht, Schatz, ich bin Friseurmeisterin in Schöneberg. Aber ich könnte Erwin und Tülle fragen.«

      »Gute Idee, wie geht es denen?«

      »Wie soll es schon gehen, wenn man nichts im Hirn hat und auf dem Altenteil sitzt. Hin und wieder gebe ich ihnen zu tun. Sonst waschen sie ja nur noch ihr Auto.«

      Erwin und Tülle waren Überbleibsel aus MMs Vergangenheit. Ihr verstorbener Mann war Besitzer einer Bar in Charlottenburg gewesen, in der es neben Alkohol Ausblick auf viel Busen und andere Rundungen gab, auf denen auch klebrige Männerhände landen durften. Das Hauptgericht mußte man sich jedoch woanders holen. Da das niemand im Kiez glaubte und wechselnde Machthaber des Bordsteins immer wieder ihre explosiven Muckis in der Bar von Siegfried Herzl spazieren trugen, hatte das Eigentümerpaar sich durchgerungen, einen Türsteher zu engagieren. Nach einigen flachschädeligen, halbdebilen Fehlversuchen ihres Mannes nahm MM das Ganze in die Hand und tat den Zuhälter Erwin auf, den es allerdings nur im Paket mit Tülle gab.

      Erwin mochten die Mädchen, er hatte als


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