Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk. Tino Hemmann
Fedor lächelte. »Mich nimmt ja doch keiner«, raunte er, Selbstmitleid heuchelnd.
»Sei dir da bloß nicht so sicher. Und, wie geht’s deiner Freundin?«
»Laura ist nicht meine ...«, protestierte Fedor.
Rattner drückte den Jungen an sich. »Nein, klar, ist sie nicht. Aber du magst sie, oder? Hast du Laura im Schultheater kennengelernt?«
»Hm.«
»Hast du das Gefühl, dass Laura deine Augen stören?«
»Nein.«
»Also nimmt sie dich so, wie du bist? Ganz ohne Vorurteil?«
»Ja.«
»Das ist gut, Fedor, das ist sogar sehr gut.« Er beugte sich zu Fedors rechtem Ohr und flüsterte: »Halt sie dir warm, mein Junge. – Hallo Anatolij, was machst du da für Sachen?«, fragte er Sorokin laut, der zur Begrüßung erschien.
»Ich weiß lediglich, dass ich deine Frage nicht beantworten kann, Hans. Irgendetwas geschieht hier. Aber was? Ich hatte gehofft, dass du mir helfen wirst.«
Glanz plötzlich herrschte in Sorokins Keller – wie auch vor dem Häuschen – Hochbetrieb. Katie tauchte zehn Minuten nach der Spurensicherung auf, obwohl ihr der Sonntag heilig war. Auch sie fuhr Fedor, der mittlerweile draußen lauschend auf einer Treppe saß, durch den Haarschopf.
»Na, alles klar, junger Mann?«
»So richtig nicht«, flüsterte Fedor.
»Und warum?«
Der Junge druckste herum. »Darf man den Freund eines Freundes verraten?«, flüsterte er.
»Wenn es dem Freund hilft, dann muss man ihn sogar verraten. Sonst leidet man vielleicht an Gewissensbissen, die einen umbringen können. Betrifft es einen Freund von dir?«
Fedor zuckte mit den Schultern und Katie spürte, dass das Gespräch beendet war.
Die Assistentin rief nach Rücksprache mit Kommissar Rattner einen Hundeführer an, der in der Nähe wohnte und kurz darauf mit einem Polizeihund aufkreuzte. Fedor freundete sich sogleich mit diesem Mann und vor allem mit dem Hund an.
»Dann wollen wir mal sehen, ob Neus eine Spur aufnehmen kann«, sagte der Polizeihundeführer. »Willst du mitkommen? Ich nehme dich an die Hand, damit wir keine Spuren kaputt machen und Neus nicht stören. Okay?« Er führte den dreizehnjährigen Jungen hinaus vor die Tür. »Such!«, befahl er dem Schäferhund, der zunächst im Umfeld der zerstörten Tür Witterung aufzunehmen versuchte.
»Was bedeutet sein Name ›Neus‹?«
»Obwohl Neus ein deutscher Schäferhund ist, stammt er aus einem holländischen Wurf. ›Neus‹ ist Niederländisch und heißt ›Nase‹.« Der Hund zog den Führer und den Jungen mit sich. Sie liefen über kurzen Wildwuchs den Berg hinab zur Bundesstraße, jedoch abseits der offiziellen Auffahrt.
»Die haben den Hund einfach ›Nase‹ genannt?«, fragte Fedor erstaunt.
Unmittelbar neben dem Straßengraben der Bundesstraße stoppte Neus und machte Platz.
»Immerhin, die Nase ist sein bestes Stück. Neus hat uns schon oft geholfen und entscheidende Spuren gefunden. Schauen wir mal, was er hier entdeckt hat.« Der Hundeführer kommentierte jeden Handgriff für Fedor.
»Ich würde auch gern so eine Nase haben wollen«, flüsterte der Junge gespannt.
»Dann müsstest du aber auch die stinkenden Sachen intensiver riechen. Und das ist bestimmt nicht immer angenehm. Hier, halte mal kurz die Leine.« Der Hundeführer legte die Schlaufe der Lederleine über Fedors rechtes Handgelenk und zog sich mühsam einen Gummihandschuh über die schwitzenden Finger der rechten Hand. Dann entnahm er seiner Umhängetasche einen wiederverschließbaren Beutel und eine Pinzette.
»Was hat Neus denn entdeckt?«, fragte Fedor neugierig und hielt die Leine etwas verkrampft in seiner Hand, obwohl sich Neus keinen Millimeter bewegte.
Der Beamte hob mit der Pinzette einen braunen Zigarrenstummel ohne Banderole auf. »Offenbar hat unser Täter Zigarren geraucht. Die Banderole ist zwar ab, aber vielleicht hat uns der Täter damit seinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen. Du weißt, was das ist?«
»Natürlich. Über einen Gentest könnte der Mann gefunden werden, weil seine DNA ermittelt wird.«
»Warum bist du dir so sicher, dass es ein Mann ist?«
»Haben Sie schon mal eine Frau Zigarre rauchen sehen?«, fragte Fedor altklug.
»Hm. Nicht allzu oft. Wo du recht hast, hast du eben recht. In der kleinen Einfahrt dort vorn wird er das Fahrzeug versteckt haben. – Pass gut auf: Du bleibst genau hier stehen und bewegst dich nicht vom Fleck. Okay? Auf der Straße ist es zu gefährlich für dich.«
»Okay.« Fedor übergab die Leine. »Darf ich mal an der Zigarre riechen? So wie Neus es getan hat?«
»Klar doch.« Der Mann hielt dem Jungen den Zigarrenstummel unter die Nase.
Fedors Nasenlöcher weiteten sich einige Male. Dann sagte er äußerst selbstbewusst: »Kein Zweifel. Das ist die Zigarrensorte ›Independence Xtreme Vanilla‹.«
Zunächst schaute der Polizeihundeführer sehr ernst drein, dann aber lachte er. »Du veralberst mich! Die Sorten hat uns Neus jedenfalls noch nie verraten. Du bist schon eine Nase ... Also warte hier, ich bin gleich wieder da.« Er ließ Neus erneut schnüffeln, folgte dem Hund bis zu der kleinen, links und rechts zugewachsenen Einfahrt, die landwirtschaftlichen Fahrzeugen zum Erreichen des benachbarten Feldes diente, und kam kurze Zeit später zurück. Fedor hatte sich tatsächlich nicht vom Fleck gerührt.
»Wie vermutet«, sagte der Mann. »Die Spur endet in der Einfahrt.«
*
Nachdem sich Fedor ausgiebig von Neus verabschiedet hatte und die Spurensicherung verschwunden war, trafen sich Sorokin, Rattner und Katie im Wohnzimmer. Fedor verschwand im Kinderzimmer, ließ die Tür jedoch angelehnt und lauschte. Er wagte es nicht, Laura anzurufen. Ein Gefühl sagte ihm, dass Lauras Vater das letzte Telefongespräch mitgehört haben könnte.
»Definitiv wurden beide Bremsschläuche säuberlich abgeschnitten, nutzbare Spuren fanden wir aber keine.« Kommissar Rattner öffnete seine Aktentasche und holte einige geheftete Papierblätter hervor, die er über den Tisch gleiten ließ. »Und dann noch das hier«, sagte er mit einem vorwurfsvollen Unterton.
Katie runzelte die Stirn. Auf dem ersten Blatt prangte ein kyrillisches »Interpol«.
»Was ist das nun wieder?«, fragte sie.
»Wurde mir heute, zum Sonntag, zehn Minuten vor Anatolijs Anruf von einem wichtigtuenden Kurier zugestellt.«
Sorokin griff als Erster zu dem zweisprachig gedruckten Dokument. »Ein Auslieferungsantrag?«, flüsterte er.
»Ein völlig obskurer Vorgang«, sagte Rattner und hüstelte etwas unbeholfen.
Stille herrschte, bis Sorokin das Dokument gelesen hatte. »Aber das ist doch ...«, sagte er schließlich.
Über Interpol verlangte die russische Justiz die sofortige Auslieferung von Anatolij Sorokin mit der Begründung, man wäre davon überzeugt, dass Sorokin den Sohn des Wirtschaftsfunktionärs Sergei Michailowitsch Smirnow vorsätzlich getötet habe. Zudem nahm man an, dass Sorokin weitere Anschläge gegen die Russische Föderation plane. In einem zusätzlichen Antrag bestand man zudem auf die Überführung des Leichnams von Igor Smirnow zum Zwecke der Obduktion durch russische Behörden.
Rattner starrte Sorokin zwei Minuten lang an. »Ich glaube diesen Schwachsinn wirklich nicht, aber ich muss trotz allem irgendeine Reaktion zeigen. Und zwar bald.«
Sorokin erhob sich und ging zur Balkontür. »Kann mir bitte jemand erklären, was hier abgeht?«, sagte er plötzlich. »Man versucht mich umzubringen, man behauptet haarsträubende Dinge ... Irgendetwas stinkt