Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk. Tino Hemmann

Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk - Tino Hemmann


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den Absperrbändern nicht betreten, Fedor. Soll ich dich führen?«, fragte Katie und griff nach Fedors rechter Hand.

      Der Junge schüttelte die Hand ab. »Bitte nicht.« Dann setzte er Stock und Klicksonar ein, bewegte sich auf die Treppe zu und ging gemächlich hinauf, ohne das massive Geländer zu berühren. Die Erwachsenen folgten ihm fast lautlos. Oben, auf der schmalen Empore, orientierte sich Fedor, ging zielstrebig auf das Büro von Sergei Michailowitsch Smirnow zu, öffnete die Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Nur seine Nasenflügel bewegten sich.

      »Habt ihr die Nachbarn befragt?«, flüsterte Sorokin.

      »Selbstverständlich. Die nächsten Nachbarn wohnen dreihundert Meter entfernt. Keiner will was gesehen oder gehört haben. Die Ballistiker wissen aber jetzt, dass mit neun Millimetern geschossen wurde, wahrscheinlich eine Beretta 92 und vermutlich mit Schalldämpfer. Beide Opfer wurden aus dem Kinderzimmer in den Wohnraum geführt und vor dem Kamin hingerichtet. Zuerst das Mädchen, dann der Junge. Beide standen mit dem Rücken zum Mörder. Es war wahrscheinlich ein Einzeltäter, zwischen ein Meter siebzig und ein Meter neunzig groß, das konnte durch die Eintrittswinkel berechnet werden. Todeszeitpunkt war zwischen 20 und 21 Uhr. Der Anruf kam bereits um 21:11 Uhr von einem vor einer Woche geklauten und jetzt schweigenden Handy, um 21:27 Uhr waren die Kollegen vor Ort. – Darf ich dir das überhaupt alles erzählen?«

      Sorokin nickte. »Natürlich darfst du.«

      »Hat Onkel Sergei Zigarren geraucht?«, fragte Fedor plötzlich.

      »Nein«, antwortete sein Vater. »Onkel Sergei hat nie geraucht. Er hasste das Rauchen.«

      Der Junge verzog das Gesicht und verließ den Raum. Katie und Sorokin folgten Fedor, der wie in Trance durch den schmalen Flur schlich und schließlich vor einer massiven Zimmertür stehen blieb. »Darf ich?«, fragte er so leise, dass die Frage kaum zu hören war. Hier befand sich die Tür zu Igors Zimmer.

      »Auch das darfst du.« Die Kriminalassistentin hielt sich zurück, während Fedor langsam, aber zielgerichtet das Kinderzimmer betrat. Erneut arbeiteten die Nasenflügel des Jungen. Vorsichtig berührten seine Finger die verschiedenen Fächer eines stabilen Regals, in dem vor allem Spielsachen und Bücher aufbewahrt wurden. Ganz plötzlich machte Fedor kehrt und lief zur Tür zurück. Tränen standen in seinen Augen. Wieder zitterte er. Zurück auf dem Flur flüsterte Fedor: »Wir können jetzt ganz schnell gehen.«

      Sorokin schaute die Assistentin verdutzt an, und die wirkte ebenso erstaunt. »Nun sag schon ... hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«, fragte Sorokin.

      Ein einziges Kopfkratzen war Fedors Antwort. Er stieg bereits die Treppe zum Foyer hinunter.

      »Danke für die allumfassende Antwort, Fedor!«

      Fedor ging auf die Haustür zu. »Bitte, Papa.« Mehr sagte er nicht.

      Katie zuckte mit den Schultern.

      »Kommst du mit zu mir?«, flüsterte Sorokin, der einen Arm um Katies Schultern gelegt hatte. »Zweisamkeit ist gut gegen Einsamkeit.«

      Sie zögerte die Antwort nicht heraus. »Okay. Ich fahre dir nach.« Sie gab Sorokin einen Wangenkuss. »Nur falls es dir keine Umstände macht, wenn ein Ameisenmädchen deinen Ameisenhügel durcheinanderbringt.«

      »Halten wir bei Theo? Ich lade dich ein.« Theodorakis, ein urgemütliches griechisches Restaurant, das Fedor und seinen Vater bislang mehr und besser versorgt hatte als die heimische Küche. Zudem war der blinde Junge Liebling des Restaurantbesitzers, der übrigens nicht Theodorakis, sondern Alexander Peleos hieß.

      *

      Zuerst lauschte Fedor angespannt. Im Wohnzimmer, wo sich die beiden Erwachsenen aufhielten, war es verdächtig still.

      Der Junge im blauen Pyjama ging durch das dunkle Zimmer zu seinem Personalcomputer, den er mit vielen Programmen aufgerüstet hatte, die ihm immens halfen. Er steckte sich die Ohrhörer in die Ohren, rückte des Mikrofon des Headsets passend vor die Lippen und fuhr den Rechner hoch.

      Zunächst googelte er nach »Frank Sonberg«, fand mehrere Einträge, einen – wie er glaubte – wichtigen auf der Seite eines Börsenmaklers: »Sonberg, Frank – Börsenberater & Makler für die Civil Engineering Consulting Company«, las ihm die barmherzig klingende Frauenstimme im Kopfhörer vor.

      »Suche: Civil Engineering Consulting Company!«, sagte Fedor, gerade laut genug, dass sein Spracherkennungsprogramm die Wörter identifizieren konnte.

      Kurz darauf meldete sich die Frauenstimme wieder: »Die Civil Engineering Consulting Company ist dem Umsatz nach das zweitgrößte Baukonsortium der Vereinigten Staaten von Amerika mit 580 Großbaustellen weltweit (Stand Dezember 2011).« Unruhig rutschte Fedor auf seinem Sitz hin und her. Plötzlich schaltete er den Rechner aus, ohne ihn herunterzufahren, riss sich das Headset vom Kopf, ging rasch zum Bett, kroch unter die Decke, lag mit dem Gesicht zur Wand und hielt den Atem an. Im selben Moment öffnete sich sanft die Zimmertür.

      Sorokin näherte sich dem Bett des Sohnes, zog die Decke zurecht, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und flüsterte: »Er schläft schon.«

      Katie streichelte Fedors Kopf. »Fedor ist so ein Süßer.« Dann verließen beide das Kinderzimmer.

      Kaum war die Tür zu, da erhob sich Fedor, ging zur Tür und lauschte. Die Geräusche waren ihm vertraut. Es klang meistens so, wenn Katie bei seinem Vater war und beide dachten, dass Fedor schlafen würde.

      Der Junge drehte sich um, griff in die Dunkelheit und hielt sein Handy in der Hand, als er sich wieder auf das Bett warf. Einige wenige Griffe, dann stand die Verbindung zu Laura.

      »He, bist du noch wach?«, flüsterte Fedor.

      »Ja. Bin ich. Alles okay bei dir?« Laura flüsterte ebenfalls.

      Mit dem Handy am Ohr kroch Fedor unter die Bettdecke. »Geht so. Dein Vater war gar nicht mit im Theater«, flüsterte er. »Obwohl der dich doch angeblich nie allein lässt.«

      »Er hatte eine Besprechung. Er hat abends oft Besprechungen.«

      »Wo? An der Börse? Die hat doch abends zu. Oder?«

      »Keine Ahnung.«

      »Sag mal, kanntest du Igor Smirnow auch?«

      »Nein, der Name sagt mir absolut nichts.«

      »Und Anja Weiß? Kennst du die?«

      »Nein, sagt mir auch nichts. – Ist das ein Verhör? Fedor, du redest mit mir! Hallo, ich bin es, Laura!«

      »Bitte nicht böse sein, Laura. Igor war doch mein Freund, verstehst du? Ich will nichts ungenutzt lassen. Vielleicht weiß ja irgendjemand etwas oder gibt einen kleinen, wichtigen Hinweis, dann ...«

      »Okay, hör auf damit. – Willst du mich noch etwas fragen?«

      »Dein Vater redet anders als die Leute hier.«

      »Logisch. Er ist in Ravensburg aufgewachsen und kam erst nach der Wende hierher.«

      »Ravensburg? Wo ist das? Ist es Schwäbisch, was er redet?«

      »Schwäbisch. Genau. – Noch was?«

      »Ja. Wie viele Handys hat dein Vater?«

      »Er hat nur eins. Ein Nokia.«

      »Er hatte nie ein anderes?«

      »Woher soll ich das wissen? Selbst wenn, dann habe ich es nicht gesehen.«

      »Hat er eine Pistole?«

      »Ganz bestimmt nicht.«

      »Okay.« Fedor dachte nach. »Tust du mir einen Gefallen, Laura?«

      »Vielleicht«, flüsterte das Mädchen. »Aber nur vielleicht.«

      »›Vielleicht‹ heißt weder ›Ja‹ noch ›Nein‹!« Fedor wartete.

      »Okay. Ja!«

      »Frag deinen Vater, warum er nicht mit im Theater war. Und dann


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