Phalansterium. Matthias Falke

Phalansterium - Matthias Falke


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sich dann wieder der Schotterpiste.

      »Wollen Sie mir Angst machen?«

      »Ich glaube, dazu bin ich nicht der Mann.« Er lachte das helle kindliche Lachen, für das die Menschen dieser friedlichen Welt berühmt waren.

      »Es ist ein ganzer Planet«, sagte ich noch. »Wir entfernen uns nicht weiter als ein paar Tagesmärsche von der Stadt.«

      »Mögen die Götter Sie beschützen!«

      Wenig später erreichten wir den letzten kleinen Ort am Rand der Ebene. Es war wirklich schade, dass der Dunst vor den Bergen hing. Wir hatten sie nur während des Landeanfluges kurz gesehen. Dann war die Fähre in die Glocke aus Smog und Nebel eingetaucht, die über dem Talkessel hing. Die Stadt und der nahe gelegene Feba See erzeugten einen eigentümlichen Qualm aus Ruß und Feuchtigkeit, der den Himmel beschlug wie warmer Atem eine kalte Glasscheibe. Am nächsten Morgen würden wir das Panorama umso prachtvoller erleben!

      Wir verabschiedeten uns von dem Fahrer, der knatternd zur Kaserne zurück raste. Dann standen wir in dem sich langsam absetzenden Staub. Ich begann mich nach einer Dusche zu sehnen. Dabei hatten wir die Wanderung noch gar nicht angetreten. Es lohnte auch nicht mehr, an diesem Tag noch etwas zu unternehmen. In dem Dorf, in dem Tashi uns abgesetzt hatte, gab es eine kleine Pension, ein Rasthaus für Pilger. Es wurde von Ran Darjen betrieben, einem ehemaligen einfachen Lama der Prana Bindu. Er war aus dem Orden ausgeschieden und hatte stattdessen dieses Gasthaus an einer der wichtigsten Pilgerrouten aufgemacht.

      Wir ließen uns ein Zimmer geben. Im Speiseraum waren wir die einzigen Gäste. Es war gemütlich. Alles war mit Teppichen aus dicker Naturwolle ausgelegt. Die Tische und Stühle bestanden aus echtem Holz, das mit Schnitzereien verziert war. Als das letzte Tageslicht vor den Fenstern verschwunden war, entzündete Ran ein Feuer aus getrockneten Torfsoden und Dung. Er bewirtete uns zuvorkommend mit Suppe, Reis und Gemüse. Dazu gab es ein dünnes heimisches Bier, das ebenfalls aus Reis gebraut wurde. Und allmählich fingen wir an, es zu glauben.

      Wir hatten Urlaub!

      Als ich aufwachte, war der Platz neben mir leer. Ich streckte mich und sah mich um. Das Zimmer enthielt nur zwei Betten und eine Kommode. Die Vorhänge waren zugezogen. Ich erinnerte mich dunkel, in der Nacht noch an den widerspenstigen Kordeln genestelt zu haben. Aber draußen schien es schon hell zu sein. Der karierte Stoff teilte dem Licht eine rötliche Farbe mit.

      Ich stand auf und zog mich an. Jennifers Bett war leer, aber ungemacht. Sie musste sich, wie es ihre Art war, in aller Frühe aus dem Raum gestohlen haben.

      Ich ging aus dem Zimmer. Im Treppenhaus war es kühl und roch nach Kalk. Bis zu unserer Etage bestanden die Treppenstufen aus kaltem, abgewetzten Stein. Eine hölzerne Stiege führte weiter hinauf. Einer spontanen Eingebung folgend, ging ich nicht nach unten, Richtung Gastraum, sondern nach oben. Es folgte noch eine Etage, dann noch eine, dann eine noch schmalere Treppe, schon mehr eine Leiter. Sie endete vor einer waagerechten Klappe, die in die Decke eingelassen war. Ich öffnete sie, zwängte mich hindurch und stand im Freien.

      Mein Instinkt hatte nicht getrogen. Jennifer saß in Meditationshaltung auf dem flachen Dach. Ein wenig Feuerholz, das hier zum Trocknen gestapelt war, bildete eine Art Geländer; auf einer Seite bestand es auch aus säuberlich aufgeschichteten Dungfladen.

      »Störe ich dich?«

      Ich schloss behutsam die Klappe hinter mir. Jennifer hatte die Augen geöffnet. Ich sah an ihrem Blick, dass sie die Trance abgeschüttelt hatte.

      »Gar nicht.«

      Sie schaute mich lauernd an. Die Sonne kam eben im Osten durch den Morgendunst und beschien ihr hageres Gesicht.

      »Was?«, fragte ich.

      »Nichts.« Sie schmunzelte in sich hinein.

      Ich spürte, dass da etwas hinter mir war. Langsam drehte ich mich um. Dann war mir, als habe jemand auf einen Knopf gedrückt und die künstliche Schwerkraft abgestellt. Ich fiel. Ich schwebte!

      Vor uns stand die Hauptkette des Ilaya-Gebirges in ihrer ganzen Pracht, von der Morgensonne in safranfarbenes Licht getaucht.

      »Wow!«

      »Guten Morgen!«

      Jennifer stand auf und kam an meine Seite. Arm in Arm nahmen wir das Panorama in uns auf. Felswände, Bergfluchten, Eismassen türmten sich viele Kilometer hoch vor uns auf und reichten von Westen nach Osten einmal quer über den Horizont. Die Kette zog sich einmal rund um den Planeten herum, aber was vor uns stand, war der zentrale Teil in einer Breite von zweihundert Kilometern.

      »Hier wuchs ein Gebirge aus der Erde«, sagte Jennifer.

      Ich nickte. Wussten wir noch, was das war? Wir hatten Planeten, Sonnen, ganze Galaxien aus dem Raum gesehen, aber wann zuletzt ein Gebirge so wahrgenommen?

      »Gewaltig.«

      Der Wind frischte auf. Wir fröstelten, obwohl die Sonne rasch höher stieg. Aber wir konnten uns nicht von dem mächtigen Anblick losreißen.

      »Hast du keinen Hunger?«, fragte Jennifer irgendwann.

      »Und wie!«

      »Dann lass uns runter gehen!«

      Aber wir standen immer noch da und schauten und schauten.

      Sowie die Sonne sich durch die Morgennebel gekämpft hatte, begannen sich Wolken um die höchsten Gipfel zu bilden, und schnell entzogen sie sich unseren Blicken. Das machte uns den Abschied leichter. Wir kletterten ins Treppenhaus zurück und gingen frühstücken.

      »Wie hast du geschlafen?« Jennifer schlürfte den dünnen Kaffee, den Ran Darjen gekocht hatte, und bestrich eines der omelette-artigen Fladenbrote mit gelber Butter.

      »Wie ein Bär. Und du?«

      »So gut wie lange nicht mehr!«

      Sie zwinkerte mir gutgelaunt zu. Dann biss sie in den Teigfladen, dass die dicke geschmolzene Butter über ihr Handgelenk lief.

      »Hoppla!«

      Sie leckte sich die Finger.

      »Hier kann man es aushalten, was?« Ich probierte den heimischen Tee, der in einem ganz ordentlichen Ruf stand und der auch wirklich genießbar war.

      Wir waren auch jetzt die einzigen Gäste in der kleinen Stube. Zwar hatten auch andere Leute in Rans Rasthaus übernachtet, einheimische Pilger hauptsächlich. Aber sie waren längst unterwegs, da sie vor dem Morgengrauen aufbrachen und traditionell das Frühstück verschmähten.

      Ich sah mich in dem Raum mit seiner niedrigen Balkendecke und seinen abgewetzten Teppichen um. Alles trug die Zeichen des höchsten Alters. Wie lange mochte diese Welt von Menschen besiedelt sein? Das Doppelsystem von Sin Pur und Musan war von der ersten Welle von Sprungschiffen kolonisiert worden. Seitdem waren hier einige Jahrhunderte vergangen.

      Zur seltsamen Tragik der Goldenen Generation um Rogers und Laertes gehörte es ja, dass die erste MARQUIS DE LAPLACE sich immer noch bei Unterlichtgeschwindigkeit von ihrem Jungfernflug zurückkämpfte, während längst bessere Aggregate entwickelt worden waren, die ein Vielfaches der Reichweite hatten. Laertes war einer der letzten lebenden Veteranen jener Pioniertat. Die alte MARQUIS DE LAPLACE war das erste und einzige Schiff, das je mit Unterlichtantrieb zu einem anderen Stern aufgebrochen war. Immer wenn es wieder zurück kam, war es trotz der Updates ein Oldtimer, der der neuen Generation von Prospektoren und Admiralen vorsintflutlich erschien. Mit der Verbesserung der Sprungtechnik verringerte sich auch der Dilatationseffekt. Trotzdem umspannte Laertes’ Leben ein halbes Jahrtausend irdischer Zeit, und er war nach jeder Reise von der Entwicklung überrollt worden. Er und Rogers waren lebende Fossilien aus einem unbegreiflich fernen Äon. Und so entstand das Paradox, dass wir die Helden des interstellaren Aufbruchs noch persönlich kannten, die jetzt in ihren Siebzigern standen, während wir auf Welten wandelten, die vor drei oder vier Jahrhunderten von der menschlichen Rasse in Besitz genommen worden waren.

      Nach dem Frühstück unternahmen wir einen kleinen Gang durch das Dorf, wenn man die lockere Zusammenballung


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