Bastians Traum. Guido Arnold
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Guido Arnold
BASTIANS TRAUM
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Inhaltsverzeichnis
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Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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Coverfoto: fight club © Arman Zhenikeyev (Fotolia.com)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Aufbruch
Was für ein langweiliger Tag. Bastian blickte auf die Uhr und seufzte laut. Die Zeiger hatten sich kaum bewegt, seit er das letzte Mal dorthin gesehen hatte. Sein Leben langweilte ihn. Er sollte irgendetwas tun, irgendetwas, das ihn spüren ließ, überhaupt noch am Leben zu sein. Sein Verstand war genauso träge wie er selbst. So fiel ihm nicht das Geringste ein. Das einzige, was ihn in seinem Dasein bestätigte, waren diese Kopfschmerzen, die in seinem Schädel rumorten und an die er sich schon so sehr gewöhnt hatte.
Verzweifelt kämpfte er gegen den Impuls, den Fernseher anzuschalten und einfach aufzugeben. Welchen Sinn hätte es denn schon, seine Nerven damit zu quälen, sich etwas einfallen zu lassen, das dieses lahme Leben veränderte? Angst machte ihm, es könnte vielleicht ewig so weitergehen und die Zeit würde viel zu schnell vergehen, wenn er sich erst einmal an diese träge Ereignislosigkeit und Leere in seinem Leben gewöhnt hätte. Dann hätte er es geschafft, sein gesamtes Leben zu verschwenden, wenn er nicht sofort wieder auf die Uhr sehen würde, um sich zu vergewissern, dass erst höchstens fünf Minuten vergangen waren. So sah er wieder zur Uhr: sechzehn Uhr dreißig. Die Zeiger hatten sich kaum bewegt. Er fühlte Erleichterung. Aus seiner Erfahrung wusste er, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde.
Bastian spürte kein Verlangen, weder hatte er Hunger noch wollte er Sex oder Nikotin. Trotzdem griff er nach der Packung auf dem Tisch vor ihm, zog sich eine Zigarette heraus und zündete sie sich an. Rauchen gefährdet die Gesundheit. Wenigstens eine Angewohnheit, die ihm Todesmut abverlangte. Angst vor dem Tod hatte er keine, zumindest nicht mehr als jeder andere auch. Er hatte nur Angst davor, zu viele Dinge unerledigt zurückzulassen, etwas zu verpassen. Er hasste es aufzugeben.
Doch im Moment verachtete er sich selber. Seine eigene Unfähigkeit, etwas zu verändern, erschien ihm unerträglich. Sein rechtes Bein über das linke Knie geschlagen zählte er die Minuten, die ungenutzt an ihm vorüberzogen. Gleichzeitig wollte er am liebsten die Zeit aufhalten, die ihm einfach so zwischen den Fingern zerrann. Krampfhaft suchte er nach einem Weg, diesen Zustand zu beenden. Er wippte nervös mit der Fußspitze auf und ab. Seine Glieder waren angespannt, bereit für den Absprung. Dennoch saß er wie gebannt auf seinem Sofa. Unbekannte Kräfte hielten ihn dort mit stählernen Armen fest. Er wünschte, irgendetwas würde alles ändern. Er war sich darüber im Klaren, selbst etwas verändern zu müssen. Nur hatte er nicht die blasseste Ahnung wie. Jede Art von Abwechslung hätte er in Kauf genommen, würde sie ihm nur geboten.
Das Ticken der Wanduhr drang tiefer in sein Bewusstsein ein. Die vier Wände, die ihn so schützend umgaben, waren gleichzeitig auch sein Gefängnis, das er schon längst verlassen haben wollte. Doch was erwartete ihn dort draußen in einer Welt, der er schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt hatte? Wie oft hatte er sich diese Welt ohne Leute vorgestellt, wie unendlich groß sie dann wäre! So müsste er seinen Mitmenschen begegnen. Sie würden ihn ansehen, ihn mit ihren Blicken bedrängen, ihn erdrücken. Anderseits hatte er es satt, sich noch länger zu verstecken. Er wollte raus. Mittlerweile wurde er von der Enge seines Wohnzimmers regelrecht zerquetscht. Seine Verzweiflung wuchs stärker als seine Angst.
Er drückte seine halb gerauchte Zigarette umständlich im Aschenbecher aus und erhob sich langsam. Zielstrebig ging er ins Badezimmer und drehte das Wasser auf. Während er sich die Hände wusch, schaute er in den Spiegel über dem Waschbecken. Immer, wenn er sich betrachtete – und das tat er bei jeder sich bietenden Gelegenheit – fühlte er sich wohler, fühlte er sich weniger allein.
Was stimmt nicht mit dir, Bastian? dachte er, zog die Augenbrauen zusammen und musterte sein Spiegelbild kritisch. Geh doch einfach hinaus. Gut, die Welt wartete nicht gerade auf ihn. Was hielt ihn noch fest? War es der Fernseher? Sein abgenutztes Sofa? Oder waren es die Türme schmutzigen Geschirrs in seiner Küche? Blieb er aus Angst, das Telefon könnte läuten, und er würde es verpassen?
Er überlegte, wohin er wohl gehen sollte, bevor ihm die Decke endgültig auf den Kopf fiel. Wieder breitete sich diese unerträgliche Leere in seinem Kopf aus. Wohin sollte er nur gehen? Einkaufen war er schon letzte Woche. Er benötigte nicht allzu viel. Wieder seufzte er laut und ging in den Flur, schlüpfte in ein Paar Schuhe und schnappte sich eine Jacke, darauf bedacht, dabei so wenig Lärm wie möglich zu machen. Ein Blick durch den Spion versicherte ihn, dass sich keine Nachbarn im Treppenhaus aufhielten. Beruhigt öffnete er die Tür und verließ seine schützende Wohnung. Leise zog er die Tür hinter sich zu, schloss einmal ab und holte den Aufzug.
Im Fahrstuhl freute sich Bastian sogar ein bisschen darauf, mit der Masse Mensch zu verschmelzen, ohne wirklich ein Teil von ihr zu werden. Wie ein Chamäleon, das seine Farbe der seiner Umgebung anpasst, um nicht aufzufallen und so Gefahren aus dem Weg zu gehen. Welche Farbe hatte ein Chamäleon gewöhnlich? Vielleicht hatte es gar keine eigene. Er jedenfalls hatte eine, nur erinnerte er sich nicht mehr so genau an sie.
Immerhin sah er heute ganz passabel aus, wie ihm der Spiegel im Aufzug bestätigte. Seine grünen Augen mochte er an sich am liebsten. Immerhin waren grüne Augen etwas Besonderes. Das war dann auch schon so ziemlich alles, was ihm gefiel. Für seinen Geschmack hatte er eine viel zu große Nase. Schulterlanges,