Bastians Traum. Guido Arnold

Bastians Traum - Guido Arnold


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war recht groß gewachsen und schlank. Dass er keinen Sport trieb, machte sich rund um seine Hüften bereits zart bemerkbar. Das war für ihn aber zu vernachlässigen, auch wenn er es immer wieder an sich selbst bemängelte, wenn er sich nackt im Spiegel betrachtete. Sportstudios jedenfalls ödeten ihn an. Bastian versank in Gedanken.

      Bastian, dachte er. Seine Eltern hätten ihm ruhig auch einen vollständigen Namen geben können. Als Kind war ihm das ziemlich egal. Jetzt als Mittzwanziger fand er, hätte er einen richtigen Namen verdient.

      Draußen fegte ihm kalter Herbstwind ins Gesicht. Ihm war, als ob ihm eine schwere Last von der Brust genommen wurde. Er atmete tief durch. Schon nach wenigen Sekunden verblasste das erleichternde Gefühl. Die Größe der Welt begann ihn wieder zu erdrücken. Weit und breit war niemand auf der Straße, trotzdem fühlte er sich schrumpfen, bis er im größtmöglichen Gedränge seinen Platz hätte finden können. Ohne Bewegungsfreiheit oder gar der Möglichkeit umzufallen. Zusammengedrückt vom Raum der anderen erkämpfte er sich seinen Platz in der gefühlten Masse, um nicht unterzugehen.

      Wovor er sich fürchtete, war nicht nur der physische Raum allein. Es war vielmehr der Geruch, die Persönlichkeit, der Gesichtsausdruck, der Blick, die bloße Tatsache ihrer Gegenwart. Dieses Gefühl war ihm so allgegenwärtig geworden, dass er dafür keine Menschen mehr um sich brauchte. Er spürte die gesamte Last dieser Welt auf seinen schmalen Schultern – und zwar immer und überall.

      Das einzige, was ihm jetzt noch Trost zu spenden vermochte, war der Blick zum Himmel, der sich unendlich weit und ebenso blau über ihm wölbte. Was ihm greifbare Sicherheit gab, waren einzig und allein seine vier Wände, die wie Barrikaden dem Druck der Außenwelt standhielten und ihm ein kleines bisschen Platz zum Atmen sicherten. Doch was war mit dem Druck, der von innen kam, dem stillen Feind – oder doch eher Freund? Jedenfalls wäre Bastian ohne dieses innere Drängen jetzt nicht auf dem Weg zu seinem Auto.

      Ganz in Gedanken lenkte er seine Schritte über die Fahrbahn, als ihn ein plötzliches Reifenquietschen jäh aufschrecken ließ. Im nächsten Augenblick spürte er einen harten Schlag, der ihm den Boden unter den Füßen wegzog und ihn in die Schwerelosigkeit schleuderte. Sein Körper war nur noch eine Stimmgabel, die plötzlich in Schwingungen versetzt worden war. Seine Wahrnehmung geriet zu einem Rauschen, das unaufhaltsam zu einem ohrenbetäubenden, alles überflutenden Lärm anschwoll. Sich ausbreitende Taubheit brachte schließlich die Erlösung.

      Er öffnete die Augen, erblickte zuerst den blaugrauen Himmel über sich und fühlte Erleichterung. Der Versuch, sich an die Geschehnisse zu erinnern, machte ihm klar, dass er auf dem Boden lag. Der erste Gedanke war: Hoffentlich sieht mich hier jetzt keiner so. Er richtete sich rasch auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Daran, dass er verletzt sein könnte, verschwendete er keinen einzigen Gedanken. Schließlich war er völlig schmerzfrei. Eine merkwürdige Leichtigkeit untermalte seine Gefühlswelt. Er wollte zu seinem Auto eilen. Doch erinnerte er sich nicht mehr, wo er es abgestellt hatte. Er sah sich um und stellte mit einem Mal fest, dass ihm noch ganz andere Dinge fehlten: Das Haus, in dem er wohnte, die Straße, die parkenden Autos und auch alles andere war verschwunden.

      »Na bestens, wieder so ein Scheißtraum.«

      Er erschrak beim Klang seiner Stimme und schloss den Mund schnell wieder.

      Wieder so ein Scheißtraum, dachte er bei sich. Ein wenig lachte er doch über sich. Schließlich war es sein Traum. Er konnte sagen und tun, was er wollte. Bastian musterte seine Umgebung und stellte fest, dass er sich inmitten einer endlosen Ebene befand. Der Boden war hart und staubig, mit Rissen da und dort, spärlich mit hartem, gelblichem Gras bewachsen. Obwohl nirgends eine Menschenseele zu erblicken war, hatte er irgendwie das Gefühl, sich auf den Weg machen zu müssen. So ging er zielstrebig und ohne nachzudenken der aufgehenden Sonne entgegen.

      Bastians Füße bewegten sich wie von allein und zeigten keine Anzeichen von Müdigkeit. So leicht war ihm das Gehen noch nie gefallen. Er ging und atmete in einem gleich bleibenden Rhythmus, spürte die warmen Sonnenstrahlen, die allmählich intensiver wurden und wie sie auf seiner Haut ein prickelndes Gefühl erzeugten. Die Jacke hatte er schon ausgezogen und sich über die Schulter geworfen. Er fühlte Freiheit. Hier gab es nur ihn und die Landschaft. Er war froh darüber, denn selbst im Traum bedeuteten andere Menschen Ärger und Angst. Er schloss die Augen und sog die frische Luft ein.

      Ich werde ein Lied singen, dachte er bei sich, niemand kann mich hören. Das ist die Gelegenheit.

      So fing er zu singen an, noch während er die Augen wieder öffnete. Zuerst sang er noch ganz leise vor sich hin. Mit der Zeit wurde seine Stimme wie von selbst immer lauter und lauter. So laut hatte er sich noch nie singen hören. Je länger er sang, desto besser fühlte er sich. So lief er weiter und weiter.

      Als die Sonne hoch am Himmel stand, hatte sich eine gewisse Heiserkeit und Trockenheit in seinem Mund ausgebreitet. Er hielt schließlich inne und verschnaufte.

      »Dieser Traum dauert verdammt lange«, sagte er laut. Dieser Traum fühlt sich auch verdammt realistisch an. Die Haut auf seinen Armen, verfärbte sich schon rötlich. Sein Hemd war nass geschwitzt. Seine Haare hingen ihm in klebrigen Strähnen die Stirn herunter. Außerdem kannte er schon keine Lieder mehr.

      »Egal«, sagte er sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »ich muss weitergehen.«

      Also ging er weiter, bis ihm jeder seiner Schritte wie tausend vorkam. Das hier ist ein Traum, was denn sonst?

      Langsam schlich sich Panik in seine Gedanken: Und wenn es gar kein Traum ist? Nein, das ist unmöglich.

      Vielleicht währte dieser Traum unendlich. Wenn das so war, dann war dieser Traum seine neue Realität. Aber warum? Warum er? Warum jetzt, und warum gerade hier? Das brachte wohl nur er fertig, von einer Einöde in die nächste zu wechseln. Was für eine Verbesserung!

      »Warum ich?«, murmelte er kopfschüttelnd. Befand er sich etwa in einem Leben nach dem Tod? Vielleicht war er bei dem Unfall gestorben oder lag im Koma im Krankenhaus. Er verstand das alles einfach nicht, also blieb er bei der harmlosesten Version: Es war ein Traum.

      Bastian drehte sich einmal um die eigene Achse und sah niemanden und nichts, keinen Baum, keinen Strauch, keinen Berg, keinen Fluss und auch keinen Menschen. Was wurde hier mit ihm gespielt?

      Was blieb ihm anderes übrig, als mit der Sonne hoch über ihm weiterzuziehen. Seine Beine bewegten sich beinahe mechanisch. Jetzt hatte er aufgehört nachzudenken. Er hätte seine Seele verkauft für eine kalte Cola und eine einfaches belegtes Brötchen. Niemand interessierte sich dafür. Es war niemand da. Sein Blick richtete sich nur noch nach unten auf seine Füße, die sich in gleich bleibendem Rhythmus vorarbeiteten. Er spürte sie schon lange nicht mehr.

      Während er so sinnierte, verspürte er einen Drang: Seine Blase war voll. So blieb er stehen und blickte, aus seiner Trance gerissen, zum ersten Mal seit Stunden wieder um sich. Diesmal lohnte es sich zu seiner Überraschung sogar.

      Vor Aufregung beschleunigte sich sein Puls. Seine Augen waren weit geöffnet. Bastian hielt den Atem an und konzentrierte sich nur auf den Horizont. Eine Oase in dieser Wüste! Im schwachen Licht der fast untergegangenen Sonne erblickte er eine kleine Ansammlung fast kahler Bäume und ein ausgeblichenes Holzgerüst auf einem Steinhaufen.

      Ein Brunnen, freute er sich, da hinten ist ein Brunnen!

      Er vergaß den Druck in seiner Blase. Sein Durst war stärker.

      So setzte er sich wieder in Bewegung. Unmöglich der Versuch, nicht zu beschleunigen. Nur noch ein paar Meter von seinem Ziel entfernt, lief er schließlich so schnell, dass er keuchend und beinahe stolpernd die rettende Insel inmitten der Wüstenei erreichte. Seine Augen hatten ihn nicht getrogen. Er stand tatsächlich vor einem Brunnen. Er blickte hinunter, erkannte aber nichts als Dunkelheit. Bastian hob einen kleinen Stein auf und ließ ihn in den Brunnenschacht fallen. Kurz darauf vernahm er ein leises Plumpsen.

      »Ja!«, triumphierte er.

      Über der Brunnenöffnung hing ein Tonkrug an der Holzvorrichtung. Er ließ ihn an dem Seil hinab und förderte ihn, gefüllt mit dem erfrischendsten


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