Bastians Traum. Guido Arnold

Bastians Traum - Guido Arnold


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wieder öffnete, sah er eine menschliche Gestalt sich ihm nähern. Das Dienstmädchen hatte ihre dunklen Haare zurückgebunden und trug ein langes, einfach geschnittenes Kleid, dessen Saum fast am Boden schleifte.

      »Rhea möchte, dass du ihr beim Essen Gesellschaft leistest«, sprach sie ihn freundlich an und senkte dabei unterwürfig ihren Blick, darauf bedacht, ihm nicht in die Augen zu sehen. »Bitte folge mir.«

      Der Schmerz in seinen Beinen machte ein Aufstehen nahezu unmöglich, doch beachtete er ihn einfach nicht und erhob sich zitternd. Er folgte dem Mädchen ins Innere des Palastes. Über eine großzügige Steintreppe führte sie ihn in das erste Obergeschoß. Durch viele Türen gingen sie, bis sie schließlich in einem prächtigen Zimmer stehen blieb und sagte: »Hier kannst du dich frisch machen und saubere Kleider anziehen, damit du ihrer Hoheit angemessen gegenübertreten kannst.«

      Cassio bedankte sich kopfnickend, worauf die junge Frau verschwand. Dann stand er ein paar Augenblicke lang mitten in diesem Zimmer und sah sich um. Die Balken der Holzdecke waren üppig mit Schnitzereien und Farbornamenten geschmückt. Die Ausstattung des Raumes beschränkte sich auf einen kleinen Stuhl, einen riesigen, massiven Holzschrank und eine Kommode, auf der sich eine mit Wasser gefüllte irdene Schüssel, ein Stück beige-gelblicher Seife sowie ein hölzerner Kamm befanden. Ein zugezogener, reich verzierter Stoffvorhang verbarg das große Fenster und schützte Cassio so vor neugierigen Blicken. An der Wand hing ein riesiger Spiegel mit einem goldenen, ornamentreich verzierten Rahmen. Er sah hinein und seufzte.

      »Cassio, hm«, setzte er an, zu seinem Spiegelbild zu sprechen, das ihm ein äußerst mitgenommenes Gesicht offenbarte. Er meinte, sich zu erinnern, diesen Namen schon einmal irgendwo gelesen zu haben. Warum eigentlich nicht? Er klang geheimnisvoll, und das war auch die Lage, in der er sich befand.

      Cassio, dachte er und lächelte. Jetzt fand er endlich Zeit, sich richtig zu waschen. Zuerst entledigte er sich aller Kleidungsstücke, die er sorgsam über die Stuhllehne hängte. Dann ging er zu der Kommode und wusch sich noch mal von Kopf bis Fuß. Die kurze Waschung vorhin am Regenfass verhinderte nicht, dass sich das klare Wasser in der Waschschüssel dunkel verfärbte. Die aufgeschürften Stellen auf seiner Haut brannten wie Feuer. Vorsichtig trocknete er sich mit den bereitgelegten weichen Tüchern ab und kämmte sein Haar.

      Jetzt brauchte er nur noch etwas zum Anziehen. Neugierig ging er auf den Schrank zu und öffnete knarrend die Tür. Drinnen fand Cassio eine Auswahl prachtvoller Kleidung bis hin zu aufwendigen Jacken, Mänteln und Schuhen. Es war auch eine der Uniformen dabei, wie sie die Männer aus Rheas Jägertrupp trugen. Für die entschied er sich. Zum einen, weil er das Gefühl hatte, getestet zu werden und zum anderen, weil sie ihm am praktischsten erschien. Schließlich hatte er tatsächlich keine entfernteste Ahnung, was noch auf ihn zukommen würde.

      Als er die Uniform angelegt hatte, stellte er fest, dass sie ihm seltsamerweise vorzüglich passte, sogar die Stiefel waren wie maßgeschneidert. Cassio sah in den Spiegel und war zufrieden. Die Uniform war nicht so üppig verziert wie die anderen Kleidungsstücke. Dafür verlieh sie ihm eine gewisse Würde und machte ihn weniger verletzlich. Außerdem passte sie besser zu seinem etwas lädierten Gesicht. Sie stand ihm wirklich gut, wie er fand. Er blickte in das entschlossene Gesicht, das ihn aus dem Spiegel heraus ansah, und fühlte sich gleich weniger allein. Jemand klopfte an die Tür. Auf seinen Ruf hin trat ein Diener ein.

      »Ihre königliche Hoheit lässt bitten«, näselte er, drehte sich um und ging voran. Cassio folgte ihm gehorsam.

      Der Diener führte ihn zu einem großen Saal, den Cassio alleine betrat. Feinstes Tafelparkett knarrte unter seinen schweren Stiefeln. Über seinem Kopf spannte sich eine geradezu luxuriös mit Schnitzwerk geschmückte Holzkassettendecke. Die Wände waren mit kostbarstem Stoff bespannt. Im ausladenden Kamin in der hinteren Ecke knisterte ein Feuer, das wohlige Wärme und gemütliches Licht im Saal verbreitete. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger ovaler Holztisch, reich gedeckt mit verschiedensten Speisen. Beim Anblick der wundervoll duftenden Gerichte lief Cassio das Wasser im Mund zusammen. Er trat näher an den Tisch. Sein Blick glitt über frisches Gemüse, knuspriges Fleisch, saftiges Obst und blieb schließlich an einem Brathuhn hängen.

      »Bedien dich nur!«, vernahm er Rheas dunkle, fast schon männliche Stimme aus dem Halbdunkel. Er sah auf. Unter lautem Scharren rutschte Rhea mit dem Stuhl nach hinten, stand auf und schritt um den Tisch herum auf Cassio zu. Ihr Blick schien ihn fast zu durchbohren. Ihre Augen hatten etwas Bezwingendes. Rhea wusste um ihre Überlegenheit und ihre Wirkung auf ihn. Lachend musterte sie ihren Gast von oben bis unten.

      »Du hast einen ausgezeichneten Schneider«, sagte sie leise. Cassio spürte den Schweiß aus seinen Poren drängen. Dann widmete sich Rhea wieder ganz der Tafel. Cassio atmete auf: Er stand nun nicht mehr im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Rhea bediente sich, indem sie von überall etwas auf ihren Teller legte und nahm dann wieder Platz. Jetzt wagte es auch Cassio, sich an den Tisch auf den zweiten Stuhl ihr gegenüber zu setzen und machte sich daran, das große Stück Geflügelbrust, das er sich auf den Teller gelegt hatte, zu verzehren. Als seine Zunge den ersten Bissen berührte, schloss er die Augen und ergab sich den Gefühlen der Zufriedenheit und Wohltat. Es war zu schön, um wahr zu sein. Das zarte, saftige Fleisch zerging ihm auf der Zunge. Auf ähnliche Weise, nur viel schneller, fanden auch die nächsten Bissen den Weg in seinen Magen, bis von dem Bratenstück nur noch Knochen übrig waren.

      Rhea hatte indessen die Füße auf den Tisch gelegt, aß weiter und beobachtete die Szene mit Wohlwollen.

      »Wie ich sehe, hat es dir gemundet.«

      »Es war köstlich, Eure Hoheit. Ich danke Euch für diese Ehre.«

      »Ich weiß, ich weiß«, winkte sie ab, »und jetzt sag mir, woher du kommst. Deine Augenfarbe ist äußerst ungewöhnlich in diesem Land. Um ehrlich zu sein, sehe ich so etwas zum ersten Mal. Du kommst wohl von weither.«

      Wenn sie nur wüsste, wie Recht sie hatte. Er war der einzige hier mit grüngrauen Augen. Wann immer er in ein Augenpaar blickte, sah er dunkles Braun oder tiefes Schwarz.

      »Es ist wahr«, antwortete er, »ich bin nicht von hier. Meine Heimat ist sehr weit entfernt, so weit, dass ich nicht einmal weiß, wie weit.«

      »Wie bist du denn hierhergekommen?«

      »Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht.«

      Rhea hatte wieder die Augenbrauen zusammengekniffen. Aus irgendeinem Grund schien Rhea ihm Glauben zu schenken, obwohl er sich selbst nicht sehr glaubwürdig vorkam.

      »Vielleicht hat dich dein Schicksal hierher geführt.« Sie lehnte sich zurück und faltete die Hände so, dass nur ihre Fingerspitzen sich berührten und beide Zeigefingernägel ihre Nasenspitze. Triumphierend sagte sie: »Und es hat dich direkt zu mir geführt.«

      Die Art, wie sie das sagte, behagte Cassio nicht. Warum war er sich nur wieder so sicher, dass alle mehr über ihn zu wissen schienen als er selbst?

      »Erzähl mir von deiner Heimat«, erhob Rhea ihre Stimme.

      »Nun, sie unterscheidet sich sehr von diesem Ort, es liegen gewissermaßen Welten dazwischen«, begann Cassio zögerlich.

      »Wie meinst du das?«

      Er überlegte kurz.

      »Nun, verzeiht, falls Euch diese Frage vermessen erscheint. Was tut Ihr den ganzen Tag?«

      Ein Anflug von Zorn machte sich daran, Rhea in Rage zu versetzen. So etwas hatte sich noch nie jemand sie ungestraft zu fragen gewagt. Doch schlagartig beruhigte sie sich wieder. Ihr ungezügelter Gast war schließlich ein Fremder, dem vorerst noch Nachsicht zustand. Nahezu sichtbar gewann ihr Verstand wieder die Herrschaft über ihre Gefühlsregungen.

      »Wir stehen kurz vor einem Krieg mit einem benachbarten Königreich«, berichtete sie kühl. »Dieser Zustand ist jedoch nicht besonders besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass er schon seit Jahren andauert. Seit Voland, dieser räudige Hund, dort den Thron bestiegen hat.« Ihre Augen funkelten. »Du hast übrigens Glück, dass du nicht ihm in die Arme gelaufen bist, denn das Beste, was dir dann hätte widerfahren können, wäre dein schneller Tod gewesen.

      Wem


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