Bastians Traum. Guido Arnold

Bastians Traum - Guido Arnold


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Oder du landest in der Folterkammer oder im Arbeitslager, wo bei deiner Statur jeder mit dir machen würde, was er will, falls du nicht vorher zu Tode geprügelt wirst oder verhungerst. Es könnte aber auch sein, dass du wirklich Pech hast und Volands Interesse erregst, denn dieser Bastard ist vollkommen wahnsinnig und absolut unberechenbar. Eines lässt sich nicht leugnen: Er ist außerordentlich kreativ. Manche behaupten sogar, er sei ein Dämon. Ich sage dir, es liegt daran, dass er mittlerweile mehr Diamina als Blut in seinem Körper hat.«

      »Diamina

      »Diamina nennt man eine pflanzliche Substanz. Man kann sie auf verschiedene Arten zu sich nehmen. Sie wirkt berauschend und steigert die Kräfte. Man kann sich schnell daran gewöhnen, und dann zerstört sie einen langsam. Er behauptet, sie erweitere seinen Geist. Wenn du mich fragst, dreht er langsam durch.«

      Cassio lief es bei diesen Erzählungen eiskalt den Rücken herunter. Er hoffte inständig, nie Gelegenheit zu bekommen, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Rhea weidete sich sichtlich an seiner Furcht und lachte amüsiert.

      »Die meiste Zeit des Tages werde ich mit Regierungsgeschäften behelligt, wenn ich nicht gerade auf der Jagd bin oder in der Bibliothek. Der Abend gehört dann ganz mir.« Bei diesem Satz lächelte sie vielsagend. »Und nun sag mir, wie sieht das Leben aus, wo du herkommst?«

      Es herrschte ein paar Sekunden Stille, dann begann Cassio zu sprechen: »Vielleicht ist es gar nicht so anders.« Auch in seiner Welt würden Kriege geführt, nur gäbe es keine Sieger. Cassio berichtete von Drogen, und dass immer mehr Jugendliche sie nähmen und in Abhängigkeit gerieten. Er erzählte ihr von internationalen Konzernen, vom großen Geld, der Korruption in der Politik und von der Armut eines großen Teils der Bevölkerung. Während die einen Geld vom Staat erhielten, um nicht zu verhungern oder zu erfrieren, kauften sich die anderen eine Grabstelle auf dem Mond oder ließen sich ihre Gesichter nach den gängigen Schönheitsidealen anpassen.

      Er sprach den unumstößlichen Glauben an den Fortschritt an und klärte sie auf über die Kriege zwischen den Religionsgemeinschaften. Rhea hörte ihm geduldig zu und unterbrach ihn nur, wenn er Ausdrücke benutzte und Gegenstände beschrieb, die sie nicht kannte.

      Während er sich in seine Rede hineinsteigerte, kamen ihm Zweifel, ob es ratsam war, jetzt schon so viel zu erzählen. Rhea würde ihm vermutlich sowieso nicht glauben.

      »Das ist ja unglaublich!«

      Rheas Augen waren weit geöffnet. »Du musst mir unbedingt mehr darüber erzählen, und zwar von Anfang an.«

      Plötzlich öffnete sich die Türe und Jago trat ein.

      »Was willst du?«, rief sie ungehalten.

      »Verzeiht, aber es ist Zeit für …«

      »Das kann jetzt warten, du darfst dich entfernen«, unterbrach sie ihn brüsk.

      »Sehr wohl, Eure Hoheit«, entgegnete er und blickte Cassio hasserfüllt an. Rhea schien es nicht zu bemerken, obwohl Cassio ernsthaft bezweifelte, dass irgendetwas ihrer Aufmerksamkeit entging. Dann verließ Jago den Raum, und Cassio setzte seine Erzählung fort. Er begann am Anfang, wie Rhea es gewünscht hatte, und er war überrascht, wie viel seines Schulwissens er ihr präsentieren konnte. Natürlich improvisierte er an einigen Stellen. Wer sollte das schon bemerken. So vergingen mehrere Stunden und schließlich schien auch Rhea müde zu werden.

      »Erzähl mir morgen mehr davon. Ich erlaube dir, mich bei der Jagd zu begleiten.«

      Dann zog sie an einem dicken Seil zu ihrer Rechten, worauf augenblicklich der Diener von vorhin wie aus dem Nichts im Saal erschien.

      »Bring meinen Gast auf sein Quartier.«

      »Sehr wohl, Eure Hoheit«, antwortete der Diener mit einer leichten Verbeugung.

      »Vielen Dank für Eure Großzügigkeit«, sprach Cassio und neigte seinen Kopf im Gehen. Rhea nickte und beachtete ihn nicht weiter. Dann folgte er dem Diener durch endlos lange Korridore in eines der Zimmer.

      »Angenehme Nachtruhe«, wünschte ihm der Diener höflich und überließ ihn sich selbst und seinen Gedanken. Cassio war mittlerweile todmüde. Gerade noch schaffte er es, sich die Stiefel von den Füßen zu ziehen und die Uniform abzulegen, um sich dann erschöpft in das wohl bequemste Bett fallen zu lassen, das je gebaut worden war.

      In seinem Kopf kreisten tausend Gedanken, aber kein einziger erreichte ihn. Stattdessen wichen sie einer sich ausbreitenden Betäubung seines Gehirns. Nicht einmal die Schmerzen in seinen Beinen nahm er noch wahr. War er es eigentlich gewöhnt, nächtelang wach zu liegen, so verging diesmal keine Minute, und er sank in einen erlösenden, traumlosen Schlaf.

      »Ihr müsst aufstehen. Rhea erwartet Euch schon!«

      Cassio öffnete ein Auge und blickte in das vertraute Gesicht des Dieners, der ihn gestern in dieses Zimmer geführt hatte. Cassio streckte sich und fühlte jeden Muskel seines Körpers. Langsam erhob er sich und sah sich um. Der Diener verzog sich unbemerkt.

      Das Zimmer ähnelte in seiner Ausstattung und seiner Möblierung dem Raum, in dem er sich tags zuvor umgezogen und gewaschen hatte. Nur stand hier anstatt eines großen Schrankes dieses wundervolle Bett, das ihn an sein eigenes erinnerte. Auch hier befand sich eine Waschschüssel auf einer Kommode.

      Cassio stand auf und tauchte seine Hände in das kühle Wasser. Aus der Ferne näherte sich ihm ein Gedanke: Das alles war unmöglich wahr. Doch ahnte er die Gefährlichkeit, sich mit diesem Aspekt seines Abenteuers auseinanderzusetzen. So verdrängte er diesen schädlichen Gedanken sofort und warf sich stattdessen eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Die Wirkung setzte prompt ein. Er fühlte sich jetzt halbwegs wach und verspürte den starken Drang, Wasser zu lassen. Er erblickte einen Nachttopf in der Ecke des Zimmers. Es schien hier keine Toiletten zu geben.

      Er erledigte, wozu die Natur ihn drängte und zog sich dann die Uniform und die Stiefel wieder an, die er am Abend achtlos auf den Fußboden geworfen hatte, atmete tief ein und wieder aus, bevor er durch die Tür schritt. Wie aus dem Nichts erschien der Diener und führte ihn in den Thronsaal.

      Rhea wartete schon ungeduldig.

      »War dein Bett unbequem? Du siehst nicht gerade wach aus.«

      »Ganz im Gegenteil, Eure Hoheit«, entgegnete Cassio mutig.

      »Dann war es wohl zu bequem«, sagte sie lachend.

      »Ich habe ein Geschenk für dich.« Sie kam auf ihn zu und nahm etwas von ihrem Gürtel. Es war ein Dolch, etwa zwanzig Zentimeter lang, mit kleinen Verzierungen am Griff. »Jeder meiner Männer hat so einen, und da du jetzt zu uns gehörst, solltest auch du einen bei dir tragen. Vielleicht wirst du ihn noch brauchen.«

      Ihre Worte erzeugten in ihm das warme Gefühl dazuzugehören und einen gewissen Schutz zu genießen. Sie waren ihm allerdings eine direkt ausgesprochene Drohung und Mahnung zugleich.

      »Ich danke Euch für Euer Vertrauen«, sagte er schüchtern.

      Rhea lachte. »Ich traue niemandem außer mir selbst. Aber du könntest mir nicht einmal schaden, wenn du ein Schwert hättest und ich nur mit meinen bloßen Händen dastünde.«

      Daran hatte er keinen Zweifel und steckte den Dolch in seinen Gürtel.

      »Folge mir«, befahl Rhea.

      Cassio gehorchte und folgte ihr durch den Palast in den Hof hinunter, den er schon kannte. Doch jetzt, da die Sonne herab schien, kam er ihm etwas freundlicher vor als am Vortag. Jago und einige Männer erwarteten sie schon, jeder auf einem Pferd. Der Gedanke, dass auch er auf so einem Ungetüm sitzen sollte, erzeugte ein flaues Gefühl in Cassios Magengegend.

      »Wird er etwa mit uns kommen?«, knirschte Jago.

      »Hast du dagegen irgendwelche Einwände?«, entgegnete Rhea. Ihr Tonfall ließ keine Zweifel offen, dass ihre Frage nach keiner Antwort verlangte.

      »Wir wissen nicht, ob wir ihm trauen können. Vielleicht ist er einer von Volands Spionen.«

      »Willst du etwa mein Urteilsvermögen in Frage stellen?«,


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