Persephone. Matthias Falke

Persephone - Matthias Falke


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Rogers zuwider – und der Stationsleiter war auch nicht der Mann, der einen Hehl aus seinen Antipathien machte. Brinis Angewohnheit, seinem Chef zu widersprechen und seine Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, trugen nicht eben zu einem entspannten Umgangston bei. Rogers war gewohnt, dass er Anordnungen traf und dass diesen Folge geleistet wurde, ohne Verzögerung und ohne Rücksprache. Darin kam die straffe militärische Ausbildung durch, die absolviert zu haben er mit keiner Faser seines Wesens verheimlichte. Jetzt, da Brini endlich abgeflogen war und er die ERIS unter seinem alleinigen Kommando hatte, strahlte Rogers vor Gelassenheit und Jovialität.

      »Es war ein langer Tag«, brachte Grainer hervor.

      »Das war er in der Tat.«

      »Und kein verschwendeter.«

      Wieder produzierte Rogers ein kurzes, humorloses Lachen. Aber seine Miene war voller Wohlwollen.

      »Ist gut, Kinder«, sagte er, obwohl er nicht einmal der Älteste an Bord war. »Schluss für heute.«

      Ein Raunen der Erleichterung ging über das Deck. Konsolen wurden auf Stand By gesetzt, Kaffeebecher in den Recyclingschächten entsorgt. Rückenwirbel und Fingerknöchel knackten.

      Rogers sah sich munter in den Reihen seines kleinen Teams um.

      »Wie ich schon sagte«, begann er im Ton einer weiteren Ansprache. »Ich denke, dies war ein historischer Tag. Ein echter Durchbruch. Viel Arbeit liegt vor uns, aber für heute wollen wir es damit bewenden lassen.«

      Er nickte seinen Leuten noch einmal anerkennend zu. Ein dürrer Applaus eroberte das funktionale Deck. Jetzt, da die Displays und Holoschirme weitgehend deaktiviert waren, wirkte die Arbeitsebene der ERIS beinahe geräumig.

      Die Flaschen und das Gebäck, die man nach dem kleinen spontanen Umtrunk am Mittag rasch hatte verschwinden lassen, kamen wieder zum Vorschein. Die Wissenschaftler stießen miteinander an. Rogers hielt schon wieder einen Whiskytumbler in der Hand.

      Tony Grainer stand immer noch da und musterte seinen Vorgesetzten. Als dieser ihm mit der Whiskyflasche vor der Nase herumwedelte, lehnte er dankbar ab. Er wirkte beinahe entsetzt. Tatsächlich war Alkohol auf Basen der Union so eine Sache. Von offizieller Seite existierte nichts dergleichen, auch wenn allen klar war, dass auf den Schiffen und Stationen gesoffen wurden, und zwar umso mehr, je abgelegener die Einsatzorte waren.

      »Tony?« Rogers ließ einen Schluck des öligen goldbraunen Getränks auf der Zunge zergehen und sah dabei seinen Mitarbeiter erwartungsfroh an.

      »Eine Sache noch, Sir.«

      »Immer raus mit der Sprache!«

      Rogers musterte den jungen Wissenschaftler. Grainer war perfekt gekleidet und adrett gescheitelt. Alles an ihm strahlte britische Contenance aus. Er trug eine dieser interaktiven Datenbrille, die seit Generationen immer wieder in Mode kamen, in der Versenkung verschwanden, um abermals hervorgekramt zu werden. Randolph Rogers war biologisch gesehen zwar erst dreißig Jahre alt, aber als Veteran des Jungfernfluges der MARQUIS DE LAPLACE hatte er schon mehrere Jahrhunderte kommen und gehen sehen und mit ihnen die einschlägigen Trends. Brillen als Sehhilfe brauchte seit langer Zeit kein Mensch mehr, und auch die optischen Interfaces, die ihre Träger mit virtuellen Projektionen bombardierten, waren eigentlich ebenfalls nicht mehr state of the art. Man trug Implantate in der Schläfe oder am Handgelenk. Die Brillen waren im Grunde Accessoires, die man sich nicht ihrer vermeintlichen Funktionalität wegen antat, sondern aus rein modischen Erwägungen. Sie waren chic, sie verliehen ihrem Träger eine intellektuelle Ausstrahlung. Rogers fragte sich zwar, ob der so überaus korrekte Grainer so etwas nötig hatte. Aber er musste seine Mitarbeiter nehmen, wie sie kamen.

      »Mit Verlaub, Sir«, druckste der junge Mann. »Ihre Äußerung, heute Mittag, zu Dr. Brini.«

      »Was ist damit?«

      Die aufgeräumte Stimmung an Bord der ERIS war so schnell verflogen, wie sie sich nach Schichtende ausgebreitet hatte. Alle hielten die Luft an und waren eines weiteren von Rogers’ gefürchteten Ausbrüchen gewärtig.

      »Sie sagten«, begann Grainer, »diese Mission ...«

      »Ich weiß, was ich gesagt habe.« Rogers schnauzte ihn im Ton eines übellaunigen Chefausbilders an, behielt das gewinnende Lächeln aber bei. Auch seine kleinen Augen zwinkerten fröhlich, als wollten sie signalisieren, dass Rogers sein cholerisches Temperament heute selbst nicht ganz ernst nehme.

      »Ich hätte ...«, brachte Grainer hervor. »Wir hätten das gerne geklärt, Sir. Unserer Auffassung nach ist dies eine zivile Mission, und sie untersteht den entsprechenden Statuten der Union, die eine zivile wissenschaftliche Organisation ist.«

      »Sie haben vollkommen Recht, Tony«, sagte Rogers gewinnend. »Entspannen sie sich. Beinahe hätte ich gesagt: Stehen Sie bequem!«

      »Ich stehe bequem!« Grainer reagierte nicht ohne einen Anflug von Trotz auf diese militärische Redeweise. Rogers quittierte es mit einem Schmunzeln.

      »Sie haben recht«, wiederholte er. »Die Union ist durch und durch zivil, und diese Mission steht unter der Federführung der Union.«

      Er nickte zufrieden vor sich hin, als sei damit alles gesagt.

      »Aber?« Anthony Grainer registrierte, dass dies noch lange nicht die ganze Wahrheit war.

      »Aber«, nahm Rogers den Faden auf, »es gibt auch Dinge jenseits der offiziellen Verlautbarungen.«

      »Das heißt?« Der junge Wissenschaftler bemühte sich darum, so konziliant wie möglich zu erscheinen. »Also: Wenn Sie mit uns darüber reden dürfen. Oder möchten?«

      »Nicht so unterwürfig, Tony.« Der Kommandant lächelte so breit und herablassend, wie man es von ihm gewohnt war. »Wir können über alles reden. Sie haben ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren.«

      Grainer schluckte laut und vernehmlich. Auf dem einen oder anderen Gesicht spiegelte sich die Auffassung, dass man es so genau vielleicht gar nicht wissen wolle.

      »Dies ist ein ziviles Projekt«, sagte Rogers jetzt ganz ruhig, im Ton eines ausführlichen Rechenschaftsberichtes. »Aber ein solches Projekt kostet Geld. Eine ordentliche Stange Geld, wie ich bemerken darf.«

      »Das leuchtet ein«, sagte Grainer.

      »Also haben wir Drittmittel eingeworben, wie man so sagt. Wir haben uns zahlungskräftige Partner gesucht. Geldgeber, in einem Wort.«

      »Militärs?!«

      Rogers schüttelte den Kopf, als sei seinem Untergebenen ein ungehöriges Wort herausgerutscht. »Sagen wir: Unternehmen, Stiftungen, Forschungsinstitute.«

      »Militärs.« Grainer nickte düster vor sich hin.

      »Es gibt nicht nur schwarz und weiß im Leben«, erwiderte Rogers väterlich.

      »Und die Verwendung unserer Ergebnisse?«, fragte Grainer. »Was ist das für eine Stelle, zu der Sie Dr. Brini geschickt haben?«

      »Das ist einer unserer Kontakte«, erklärte Rogers unumwunden. »Dort verfügt man über die geballte Expertise, die nötig ist, aus unserem heutigen Test die passenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Womit ich Ihnen allen nicht zu nahe treten möchte. Aber wir sind ein halbes Dutzend. Dort beugen sich bald mehrere tausend Koryphäen mit heißen Köpfen über unsere Protokolle.«

      »Sie haben uns verkauft«, stellte Anthony Grainer nüchtern fest.

      Auch jetzt drückte Rogers’ Miene aus, dass er die Einwände ernst nahm, den Pessimismus, den der nur unwesentlich Jüngere damit verband, aber ganz und gar nicht teilte.

      »Es hat alles immer zwei Seiten«, sagte er. »Sehen Sie, Tony. Mit einem Küchenmesser können Sie Tomaten schneiden, Sie können aber auch jemanden abstechen, einen Einbrecher zum Beispiel.«

      »So weit bin ich inzwischen auch«, sagte der Wissenschaftler. Er schien selbst über die Unerschrockenheit, mit der er einem Dr. Rogers entgegentrat, verblüfft zu sein. Allerdings schwitzte er sichtlich, und sein blasser Teint war bis zum Haaransatz flammend rot geworden. »Ich


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