Das Duell des Herrn Silberstein. Horst Bosetzky

Das Duell des Herrn Silberstein - Horst Bosetzky


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geh ich erst wieder hin, wenn eine italienische Nacht angekündigt ist.«

      Rana überlegte nicht lange. »Schön, dann begleite ich Sie. Ist ja auch näher.« Während Kroll’s Etablissement noch hinter dem Brandenburger Thor gelegen war, brauchten sie zum Gesellschaftshaus nur ein kurzes Stück die Friedrichstraße hinaufzugehen und dann rechts in die Dorotheenstraße einzubiegen, schon waren sie am Bauhaus 7.

      Auf dem Weg dorthin begegnete Rana einem Kunsthändler, den er schon lange kannte und der ihm immer wieder Pikantes anzubieten hatte. Er trug ein Gemälde unter dem Arm, dessen Rahmen so groß war, dass er ihn, sosehr er ihn unter die Achsel presste, mit den Fingerspitzen kaum noch greifen konnte. Das Kunstwerk war nicht nur von einem weißen Laken verhüllt, sondern auch noch, gleich einem Paket, mit Bindfäden gesichert.

      Rana lachte. »Na, Rotzis, was haben Sie denn da wieder Schönes zu verbergen?«

      Der Kunsthändler trat nahe an ihn heran, um ihm ins Ohr zu flüstern, dass es ein einmaliger Genuss sei, dieses Bild zu betrachten. »Wieder etwas aus der Bibel, 1. Buch Mose, 19. Kapitel: Wie Lots Töchter ihren Vater betrunken machen, damit sie seinen Samen bekommen. Wollen Sie mal einen Blick drauf werfen?« Er zog das Laken ein Stück zurück.

      Rana war begeistert. »Sofort gekauft! Das fehlt mir noch in meiner Sammlung. Schaffen Sie’s zu mir nach Hause, das Geld bringe ich Ihnen morgen vorbei.«

      Im Gesellschaftshaus ging es so zu, wie es bei Löffler zu lesen war: »Allmählich finden sich die Tänzerinnen ein; die durch Toilette zu einer gewissen Geltung gebrachten Reize werden zur Schau gestellt, der Liebe-Markt beginnt. Gegen Mitternacht vergrößert sich die Gesellschaft und nimmt den ihr zukommenden gemischten Charakter an. Die Herren, bis dahin nur spärlich durch einige brotlose Ladendiener und duftende Frisörgehilfen vertreten, mehren sich durch edlere Ankömmlinge. Der Jurist kommt und sieht sich bald von seinen schönen, erst kürzlich entlassenen Sträflingen, der Arzt von der gesundeten Bevölkerung der Charité umgeben. Der Künstler findet seine Modelle, der Offizier in Civil lässt über das Ganze seine sieggewohnten Blicke schweifen, der Provinziale murmelt etwas von ›unterhaltenen Frauenzimmern‹. Die Logen füllen sich, die entlegenen Tische werden besetzt, und so mancher von der ängstlichen Frau erwartete Ehemann schwelgt, unbekümmert um die Entdeckung, an der Seite einer Marchande d’amour

      Nach einer solchen suchten nun auch Karl-Hermann Rana und Louis Krimnitz: nach blonden Locken, nach dunklen Augen, nach einer in schottische Seide gezwängten schmiegsamen Taille. Doch auf wen stieß Rana? Auf seinen alten Freund Hans Wilhelm v. Rochow auf Plessow, Rittergutsbesitzer, Leutnant a. D. und Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Sie setzten sich an einen Tisch, an dem sie weithin ungestört waren, und gaben Krimnitz ein Zeichen, sich doch bitte anderswo zu platzieren.

      »Was gibt es Neues?«, fragte Rochow, nachdem er eine Flasche Wein geordert hatte.

      Rana schmunzelte. »Du bist es doch, der Geschichtsträchtiges erlebt.«

      »Ich hoffe jedenfalls.« Rochow wusste, worauf der Privatarchitekt da anspielte: auf die Ereignisse im Jockeyclub, der im »Hotel du Nord« Unter den Linden angesiedelt war. Junge Adlige trafen sich dort regelmäßig zum Glücksspiel, und Polizeipräsident v. Hinckeldey hatte dem Leutnant Damm befohlen, in die Räume einzudringen, die Runde aufzulösen und die Namen der Spieler festzuhalten. Zwei von ihnen waren daraufhin aus Preußen ausgewiesen worden. »Eine bodenlose Frechheit. Dieser Armleuchter v. Hinckeldey tut so, als sei er der König.«

      Rana lächelte. »Man hört, seine Majestät haben geruht, die Razzia höchstpersönlich anzuordnen.«

      Rochow zog die Augenbrauen hoch, um anzudeuten, was vom Geisteszustand Friedrich Wilhelms IV. zu halten war. »Wrangel und Prinz Wilhelm stehen fest zu uns, und das ist es, was zählt.« Rochow holte einen Artikel der Vossischen Zeitung aus der Brusttasche und faltete ihn auseinander. »Hör mal, was sie schreiben: dass sich der Adel von dieser Aktion brüskiert fühlt … Und dann über mich: ›Hans v. Rochow war so wenig damit einverstanden, dass er den Weg der Beschwerde betrat und hierbei Ausführungen machte, welche der General-Polizei-Director als beleidigend für sich ansehen zu müssen glaubte.‹ Schön, nicht?«

      »Aber dich gefordert hat er nicht?«

      »Zum Duell? Nein, leider nicht. Dazu war die Dosis diesmal noch zu niedrig. Aber wir werden sie zu steigern wissen. Denn eines steht fest: Dieser Hinckeldey muss eliminiert werden!«

      KARL LUDWIG FRIEDRICH V. HINCKELDEY entstammte dem niederen Beamtenadel und war am 1. September 1805 in Sachsen-Meiningen als Sohn eines Geheimen Regierungsrats geboren worden. Er hatte von 1823 bis 1826 Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin und Göttingen studiert und war dann in den preußischen Staatsdienst eingetreten, wo er, erzkonservativ wie er war, schnell Karriere machte. 1834 wurde er zum Regierungsrat ernannt, 1842 kam er als Oberregierungsrat nach Merseburg, und am 14. November 1848 holte man ihn nach Berlin, um ihn zum Polizeipräsidenten zu berufen. Für Ruhe und Ordnung sollte er sorgen und das liquidieren, was von der Revolution noch geblieben war.

      Diese Aufgabe erfüllte er überaus einfallsreich. Rücksichtslos und ohne jeden Skrupel ließ er alle jagen, die im Geruch standen, demokratisch zu sein. Im April 1851 gründete er den Deutschen Polizeiverein, dessen Aufgabe es wurde, die Kräfte der Geheimpolizei in den Staaten des Deutschen Bundes zu koordinieren. Ziel war »die Ausspähung, Prävention und Bekämpfung jeglicher oppositionell erachteter Bestrebungen«. Durch verschiedene Machenschaften gelang es ihm zudem, 1853 zusätzlich Generalpolizeidirektor zu werden, das heißt Leiter der Polizei im Ministerium des Innern. Er sorgte dafür, dass die Theater- und Pressezensur verschärft wurde, ließ Zeitungen beschlagnahmen und schuf eine gigantische Überwachungsmaschinerie. So wurden alle Reisenden und die Menschen, die sich in Berlin niederlassen wollten, überwacht, selbst wenn sie von Adel waren. Haussuchungen und Razzien in Wirts- und Vereinshäusern waren an der Tagesordnung, und es wimmelte überall von Spitzeln. Und vermochte er »subversive Elemente«, auch in den eigenen Reihen, auf diese Art und Weise nicht unschädlich zu machen, so wurden falsche Zeugen ins Spiel gebracht. Joseph Fouché hätte seine helle Freude an diesem Mann gehabt.

      Karl-Hermann Rana war ein durch und durch dionysischer Mensch, und er liebte nichts mehr als das Spektakel, ja den Skandal. Und da sollte er im März 1856 voll auf seine Kosten kommen. Beim sogenannten Karussellreiten der Hof- und Gardeoffiziere hatten sich auch acht Polizeibeamte Zugang verschafft. Als sie von den erzürnten Adeligen des Platzes verwiesen wurden, ließen sie den Polizeipräsidenten herbeirufen. Hinckeldey erschien auch prompt, wurde aber am Eingang von mehreren Offizieren zurückgewiesen. Rochow, der mit dem preußischen Innenminister Ferdinand von Westphalen in der Nähe stand, beleidigte Hinckeldey derart rüde, dass der nicht mehr an sich halten konnte und Rochow zum Duell forderte.

      »Der ist dem lieben Rochow also voll ins Messer gelaufen«, sagte Rana später zu seinem Freund Benno Frühbeis.

      »Hinckeldey hat sich darauf verlassen, dass der König das Duell verbieten würde.« Benno Frühbeis war Schauspieler am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater und hatte Freunde, die am Hofe ein und aus gingen und stets auf dem Laufenden waren.

      »Hat er aber nicht?«

      »Nein.«

      Rana schüttelte den Kopf. »Aber Hinckeldey hat doch bekanntermaßen ›ein schwaches Gesicht‹, wie die Berliner sagen.«

      Frühbeis lachte. »Ja, kurzsichtig wie ein Maulwurf ist er, und meine Zugehfrau hat gesagt: ›Der sieht doch uff zwölf Schritte keen Möbelwagen.‹ Darum soll er sich ja auch mit dem König so gut verstehen: Der läuft ja auch öfter gegen die dicksten Bäume.«

      Rana zog an seiner Zigarre. Den Rauch trinken, nannte er das. »Ja nun, wer weiß, wozu es gut ist … Wo und wann wollen sie sich denn duellieren?«

      »Nächsten Montag um zehn Uhr morgens in der Jungfernheide, gleich am Forsthaus Königsdamm. Willst du hingehen?«

      »Natürlich. Rein zufällig werde ich zur Stelle sein.« Seine Neugierde war größer als seine Angst, vielleicht in irgendwelche polizeilichen Ermittlungen verwickelt zu werden und dadurch womöglich den einen oder anderen Auftrag


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