Das Duell des Herrn Silberstein. Horst Bosetzky

Das Duell des Herrn Silberstein - Horst Bosetzky


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sagen wollen. »… also, den hat er wieder laufen lassen müssen, weil sich dessen Frau und mehrere Nachbarn dafür verbürgten, ihn zur Tatzeit bei sich im Haus gesehen zu haben.«

      »Ohne Leiche kein Mord«, sagte Leutnant v. Treppeln, der das Direkte liebte.

      Rabbiner Holdheim war da einfühlsamer. »Ich gehe ja noch immer davon aus, dass Ihr Vater aus Gründen, die uns bisher verschlossen geblieben sind, das Land verlassen hat und irgendwo, vermutlich in den Staaten jenseits des Atlantiks, als ein anderer lebt und Ihnen, ist die Zeit dazu gekommen, Nachricht geben wird.«

      »Das wäre meines Herzens Freude und Wonne«, kam prompt der Einwurf von Jason Silberstein. »Das ist ja seine Lieblingswendung. Beziehungsweise: Mit Jubellippen lobsingt mein Mund.«

      Katharina nickte. »Ja, und wie gern würde ich sie wieder aus seinem Munde hören. Aber ich halte es für ausgeschlossen, dass er Berlin verlassen hat, ohne mir vorher etwas davon zu sagen.«

      »Vielleicht war er auch geistig umnachtet«, sagte Jason Silberstein mit hintergründigem Lächeln. »Wie so manch anderer in diesen Zeiten …« Das war ein Seitenhieb auf Friedrich Wilhelm IV.

      Leutnant v. Treppeln guckte böse. »Ich darf doch bitten, Herr …«

      Auch der Rabbiner übte Kritik an Jason Silberstein. »Sie wissen doch, mein Lieber: ›Der Spötter sucht nach Weisheit, sie ist nicht da …‹ Er findet sie nicht.«

      Jason Silberstein konterte mit einer jiddischen Weisheit: »Ernsst redn nor lejzim« – Ernst reden nur Spötter. »Also sind wir dankbar für jene unserer Adligen, die nicht geistig umnachtet sind, sondern sich eines klaren Verstandes erfreuen, auch wenn ihr Horizont im Augenblick etwas begrenzt ist.« Diese Spitze war gegen Hans v. Rochow gerichtet, den man nach dem Duell mit Hinckeldey zu vier Jahren Festungshaft verurteilt hatte.

      »Aber Rochow wird seine Strafe nicht absitzen müssen«, merkte Aaron Silberstein an. »Denn man ist schon dabei, Druck auf Hinckeldeys Witwe auszuüben, sie solle den König bitten, ihn zu begnadigen.«

      »Das wird er auch.« Moritz Chaumont setzte zu einer tiefschürfenden weltpolitischen Analyse an. »Weil er jeden Offizier braucht, wenn es zum Krieg mit Österreich kommt. Und zu dem muss es kommen, denn einer kann nur das Sagen haben: Wien oder Berlin. Die deutsche Frage!«

      Jason Silberstein sah Gerson Bleichröder an. »Sicher kommt der Krieg, denn an dem lässt sich am besten verdienen, und wenn eine Bank einem Staat seinen Krieg finanziert, hat sie ihn später um so sicherer in der Hand.«

      Der Banquier machte eine Geste der Hilflosigkeit. »Nebbich … Was können wir dafür, dass das Geld stärker ist als alles andere! Wir müssen sehen, dass sich das Geld vermehrt, denn eine Gesellschaft braucht das Geld, damit sie existiert, wie unser Körper nicht ohne Blut existieren kann. Geld ist Leben.«

      »Und es zu verprassen ist eine der sieben Todsünden«, sagte Friedrich Silberstein in Richtung seines Bruders.

      »Bin ich Katholik?«, fragte der mit einer kleinen Spitze in Richtung von Moritz Chaumont. »Trägheit, Völlerei, Unkeuschheit – all das wäre einem untersagt. Schrecklich!«

      Sarah Silberstein beeilte sich, das Niveau des Gespräches wieder etwas anzuheben, indem sie darauf verwies, welch wunderbare Hervorbringungen im Bereiche der Dichtung man doch dem letzten Jahre zu verdanken habe.

      Ihr Schwager tat empört. »Bezeichnest du den Tod Heinrich Heines als wunderbare Hervorbringung?«

      »Nein, aber Gottfried Kellers Die Leute von Seldwyla, Eduard Mörickes Mozart auf der Reise nach Prag, vor allem aber Jacob Corvinus’ Die Chronik der Sperlingsgasse.«

      »Corvus, der Rabe«, murmelte Charlotte Chaumont.

      Wilhelm Raabe, der seinen ersten Roman unter einem leicht durchschaubaren Pseudonym veröffentlicht hatte, reagierte mit einer leichten Verbeugung in ihre Richtung. Ein bisschen schüchtern war er schon, kam er doch aus einem kleinen Nest im Weserbergland, aus Eschershausen, und war noch kein gemachter Mann wie die anderen im Salon, sondern ein gelernter Buchhändler, der jetzt an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität seine Studien betrieb. Gerson Bleichröder fragte ihn, an wem er sich denn beim Schreiben orientiert habe.

      »Ein wenig schon an Jean Paul.«

      »Ein bisschen fühle ich mich auch an Charles Dickens erinnert«, sagte Sarah Silberstein mit Hinweis auf die gesellschafts- und bildungskritischen Aussagen Raabes.

      Jason Silberstein lachte. »Sein Dr. Wimmer ist ja sogar ein schlimmer Revolutionär und muss vor der Polizei in die böhmischen Wälder fliehen. Da kann man einmal sehen, wo es hinführt, wenn einer Schopenhauers pessimistischer Philosophie anhängt. Ich für mich kann da nur ausrufen: Es lebe der König! Mag er noch so schwachsinnig sein.«

      Leutnant v. Treppeln verbat sich solche Bemerkungen, und Gerson Bleichröder gab seiner Zuversicht Ausdruck, dass, wenn Kronprinz Wilhelm erst die Regentschaft angetreten habe, in Preußen eine liberale Ära anbrechen werde. »So hat auch dies eine gute Seite.«

      »Das klingt mir mehr nach Hegel als nach Schopenhauer«, sagte Jason Silberstein.

      Charlotte Chaumont bekannte, dass ihr an der Chronik der Sperlingsgasse die stimmungsvollen und sentimentalen Passagen am besten gefielen, und sie zitierte eines der vielen abgedruckten Gedichte: »Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! / Ich habe keinen Namen / Dafür! Gefühl ist alles …«

      Aaron Silberstein konnte nicht anders, als sie, von einem nie gekannten Zauber umfangen, anzustarren. »Ich muss das alles heute noch lesen.«

      Sein Onkel Jason stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Das Lesen alleine macht es nicht, mein Lieber.«

      Sarah Silberstein stellte sich so vor ihren Sohn, dass ihm der Blickkontakt zu Mademoiselle Chaumont verloren ging, und schob ihn unauffällig wieder in die Nähe der Tochter Meir Rosentreters.

      »Vor allem die Stelle, wo die Tänzerin vor dem König auftreten muss, obwohl ihr Kind im Sterben liegt, hat es mir angetan«, sagte Charlotte Chaumont. »Wer da nicht weinen muss, der hat kein Herz.«

      »Ach …« Wilhelm Raabe seufzte. »Wie oft durchkreuzt die Furcht vor dem Lächerlichwerden unsere innigsten, zartesten Gefühle! Man schämt sich der Träne und spottet.«

      »Recht haben Sie, junger Mann!«, rief da Jason Silberstein mit einem vermeintlichen Ernst, der viele gar nicht merken ließ, dass er Spott in Vollendung war. »Gefühl ist alles. Wie sagte mein Großvater selig immer: Wen der bojre schel ojlom wil emezn baschtrofn, git er im dem ssejchel. Auf Deutsch: Wenn Gott jemanden bestrafen will, gibt er ihm Verstand.«

      Das löste eine kleine Gesprächspause aus, weil alle erst einmal überlegen mussten, wie das wohl gemeint gewesen sein könnte und in welchem Maße sich jeder Einzelne persönlich betroffen fühlen musste.

      »Ist man also dumm, wenn man glücklich lächelt?«, fragte schließlich Isaak Hirsch, der ständig strahlte, warf doch seine Manufaktur so viel ab, dass er leben konnte wie ein Fürst.

      Man sah Jason Silberstein an, dass er die an ihn gerichtete Frage am liebsten mit einem deutlichen Ja beantwortete hätte, hielt er doch den Freund seines Bruders für recht einfältig. Doch er wollte ihn und die Gastgeber nicht kränken, und so beeilte er sich zu versichern, dass das eine das andere nicht a priori ausschließe. »Und was hat mein Großvater noch gesagt: As got nemt ejnem zu doss gelt, nemt er im dem ssejchel ojch zu.«

      Sigismund Stern, der Reformer, war nicht eben beglückt, wenn jemand jiddisch sprach, und brummte: »In Preußen ist Deutsch die Landessprache.«

      »Ich würde ja gern preußisch sprechen, wenn es so etwas nur gäbe!«, rief Jason Silberstein, durch den Einwurf kaum irritiert. »Aber gut, dann übersetze ich es kurz: Wenn Gott einem das Geld nimmt, nimmt er ihm auch den Verstand. Daraus lernen wir im Umkehrschluss: Wenn Gott einem viel Geld gibt, gibt er ihm auch viel Verstand. Also, Onkel Isaak, du kannst ganz beruhigt sein.«

      Das war Hirsch


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