Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger

Streben nach der Erkenntnis - Klaus Eulenberger


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Schwester verschwand und kam mit zwei Putzfrauen zurück, welche Tücher mitführten und Eimer hatten. Sie wischten und scharrten an unseren Bettlaken und Betten herum. Wir bekamen das kaum mit, da wir schon wieder eingeschlafen waren. Irgendwann wurden auch wir wieder munter und fühlten uns nach wie vor schlecht, konnten aber mit schwerer Zunge langsam sprechen. Die alten Männer klärten uns auf. „Was ihr da bekommen habt als Narkose, dass ist Äther – etwas Entsetzliches. Man denkt, man wird durch die Luft gehoben und dann irgendwo fallen gelassen. Aber macht euch keine Sorge, das wird schon wieder.“ Wir waren mehrere Tage in dem Zimmer und bekamen mit, dass die Alten durchweg und leider immer schlechte, abscheuliche Laune hatten. Sie waren alle wegen Magenproblemen hier, teilweise schon operiert, und ihnen ging es scheinbar nicht gut. Ich kann mich noch besinnen, dass unten auf der Straße, an einem Auto, welches, das muss ich schon sagen, eine extrem schrille Hupe hatte, diese ständig bedient wurde. Die Alten regten sich darüber fürchterlich auf, beschwerten sich bei den Schwestern und bekamen heraus, dass dies der Sohn vom Chefarzt sei. Daraufhin verstummten sie, da sie zu feige waren, weiteres zu unternehmen. Tage gingen vorbei und uns wurde mitgeteilt, dass uns morgen früh, 10 : 00 Uhr, am Haupteingang bzw. -ausgang ein Auto abholt. Wir freuten uns riesig. Allerdings gelang es uns nicht, so schöne Bündel, wie uns unsere Mütter geschnürt hatten, herzustellen. Irgendwoher, entweder war’s von meiner Mutti oder vom Krankenhaus, wie auch immer, hatte ich ein Kopfkisseninlett entdeckt und befehligte, leicht überheblich (ich war immerhin ein Jahr älter als Erik): „Du, deine und meine Sachen knallen wir alle hier in diesen Kopfkissenbezug. Der ist groß genug und wir haben ein Gepäckstück, was wir abwechselnd tragen können – die Last auf dem Rücken und mit beiden Händen können wir dann das lose Ende von dem Bezug halten.“

      Erik leistete keinen Widerspruch und so standen wir, unsere Kopfkissenbeule neben die Tür gelegt, wartend am Ausgang. Es wurde zehn Uhr, viertel elf, halb elf, elf, halb zwölf. Zwischendurch berieten wir immer, was zu tun sei. Nun wurde es mir aber zu bunt und ich sagte mit der Souveränität des ein Jahr Älteren: „Erik, jetzt gehen wir los. Ich kenne genau den Weg. Wir gehen die kleine Straße vor, kommen auf die Hainichener Straße, die gehen wir rechts runter. Dort sehen wir den Schwanenteich, gehen links rum auf die Leipziger Straße, an der AKA (akademische Kampfbahn) vorbei, immer weiter bis nach Klewado. Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das!“ Also marschierten wir los. Zunächst hatte ich die Beule auf dem Rücken und hielt mit der rechten Hand den freien Zipfel. Tat mir die rechte Hand weh, nahm ich die linke. Das Problem war nur, dass die Last immer auf eine Seite wollte und abrutschte. Hatte ich die rechte Hand am Zipfel, rutschte alles nach rechts unten, bei der linken Hand alles nach links unten. „Das ist eine Scheiße, Erik, dass das Gewicht immer seitlich weg will. Man müsste zwei Zipfel von dem Inlett haben – dann bliebe es in der Mitte“, waren meine Überlegungen während unseres Laufs. „Da geht mir ein Kronleuchter auf, Klaus“, kam eine unheimlich wichtige Erkenntnis, „deshalb hat der Rucksack zwei Schlaufen – so bleibt das Gewicht in der Mitte.“ So hatten wir zwei Jungs, von knapp sieben und knapp acht Jahren, noch einmal den Rucksack erfunden. Während unseres Marsches schwatzten wir zwei angeregt drauflos. „Die werden aber staunen, wenn wir plötzlich auf unser Gut einbiegen. Sicher hat meine Mutti wieder Haferflockenmoler gebrutzelt.“

      „Was sind denn das für Dinger – Moler?“, erkundigte sich Erik. „Das sind ganz einfach Bonbons. Noch besser schmecken aber die Fondant, die es jetzt auch wieder beim Simonbäcker gibt.“ Sicherlich bildeten wir für die Städter Freibergs eine außergewöhnliche und malerische Spazier- und Transportmannschaft. Wir schauten aber nicht hin, bekamen so auch nicht mit, dass viele neugierig und überrascht zu uns blickten, uns nachschauten, die Köpfe drehten und sicher auch verwundert schüttelten. Wir waren nach zirka einer halben Stunde aus der Stadt raus und marschierten über Land. Jetzt wurden wir aber doch mehrfach angesprochen. „Wo kommt ihr denn her? Seid ihr ausgerissen? Wo sind denn eure Eltern?“ Jedes Mal antwortete ich mit dem Stolz des Truppführers. „Wir sind beide am Nabel operiert wurden und marschieren jetzt nach Hause.“

      „Weshalb seid ihr denn nicht abgeholt worden?“

      „Wozu denn, wir sind doch schon alt genug.“ Dann kamen aber zwei Bewohner von Kleinwaltersdorf, die Frau Sander mit Fahrrad und der Weber, Alfred mit Motorrad, welches er abrupt abbremste, als er uns sah. Beide kommentierten: „Wir sagen bei euch zuhause Bescheid, dass ihr kommt. Soll ich euer Gepäck, also, ich meine, euer prall gefülltes Kopfkissen auf dem Motorrad mitnehmen? Da habt ihr nicht so schwer zu schleppen.“

      „Nicht nötig, wir packen das alles ganz allein“, war meine selbstsichere Antwort. Dass ich nach weiteren zehn Minuten Lauf über die Last stöhnte, konnten die beiden ja nicht ahnen. Endlich konnten wir, von der Leipziger Straße links ab, in den Buttermilchweg einschwenken. Es ging durch den Wald, dann bereits an unseren Feldern vorbei und so kamen wir, praktisch von hinten, auf den Hof unseres Bauerngutes. Nun waren wir beide doch ziemlich fertig (wir hatten ja immerhin etliche Tage im Bett zugebracht, von der OP und dieser katastrophalen Narkose gar nicht zu sprechen) und gingen zur Haustür hinein, durch den Vorsaal in die Küche. Das war vielleicht ein Geschrei und Stimmengewirr, als wir entdeckt wurden. Fast alle stürmten gleichzeitig auf uns zu, drückten und küssten uns, da aber für die übrigen sonst nichts mehr übrig war von uns, fassten sie unsere Hände an und da diese auch schnell vertan waren, drückten sie uns irgendwo an der Schulter an der Hüfte oder sonst irgendwo, wo noch frei war. Das Ganze gefiel uns sehr. Wir fühlten uns wie Helden, sonnten uns in der Aufmerksamkeit und plapperten wild drauflos. „Ganz so schlimm war die Operation nicht, aber die Narkose war ein Ding für sich. Das war, als wenn uns jemand mit Gas vergiftet hätte. Wir wurden wie wahnsinnig dabei und sind unheimlich schnell weggetreten.“ Alle lachten. „Wenn ihr mit dem Wegtreten die künstliche Ohnmacht meint, dann ist das schon in Ordnung, denn das war ja beabsichtigt, damit ihr nicht merkt, wenn sie euch den Bauch aufschlitzen.“ Nach all dem emotionalen Stimmungsgewusel und den Umarmungsaktionen kam nun endlich meine Mutti dazu, mich zu begrüßen. Na ja, begrüßen konnte man das eigentlich gar nicht so richtig nennen. Ich hatte schon beobachtet, als die allgemeine Euphorie unseres Empfanges und unserer Wiedergeburt noch lief, dass Mama wahnsinnig abgespannt und erregt war. Als wir die Küche betraten, sah sie schmal und blass aus. Später wurde aus der weißen Gesichtsfarbe eine knallrote, die aber auch wieder zurückwechselte. Mutti war ganz einfach nervlich angeschlagen. Nun, als ich mich ihr endlich zuwenden, sie drücken und ihr einen Kuss auf die Wange geben konnte, brach ihre Aufgeregtheit voll durch. „Klausmann, wie könnt ihr der Selma und mir das antun? Das war doch ein großes Risiko, den Weg allein zu gehen und außerdem hatte ich doch den Wittasch, Erhard bestellt!“

      „Der aber überhaupt nicht kam, Mutti. Beruhige dich doch, es ist alles gut gegangen.“ Die Absicht hatte Mama aber überhaupt nicht. „Erik, wie konntest du denn zustimmen, dass ihr beiden zusammen losmarschiert? Du bist doch vielleicht vernünftiger als der Klaus.“

      „Frau Eulenberger, der Klaus hat das schon richtig gemacht und außerdem bin ich nicht unbedingt vernünftiger als er.“ Das Ganze war für Mutti noch längst nicht zu Ende. Sie wiederholte ein ums andere Mal, welchen Gefahren wir uns ausgesetzt haben, dass wir undiszipliniert sind und das so wahnsinnig viel hätte passieren können. „Gretel, beruhige dich doch. Jetzt sind doch die beiden hier und damit alles in Ordnung. Ich habe feines Gehirn gebraten und Kartoffeln gekocht, jetzt wollen wir erst einmal fein speisen. Übrigens – was hätte denn deiner Meinung nach überhaupt passieren können?“, versuchte Frau Kornblume die Situation zu beruhigen. Das hätte sie vielleicht nicht tun sollen – das Gegenteil trat ein. Mutti echauffierte sich unheimlich. „Die Narben von der Operation hätten bei dem Marsch wieder aufbrechen können. Beiden hätte schlecht werden können oder sie wären in den Straßengraben gestürzt oder sonst irgendetwas – sieh das doch mal ein, Selma.“ Alle verdrehten die Augen, Selma drückte Gretel und sagte: „Nun aber wirklich einmal Ruhe, Margarete, mit deinen Bedenken und deinem hätte, hätte passieren können. Jetzt wird gegessen!“ Mutti konnte aber immer noch nicht ihre Ruhe finden und sagte (wie üblich) „Es ist doch aber auch wirklich wooooohr!“

      Dadurch, dass ich auf meinem Schulweg immer am Gemeindeamt vorbeikam, war ich öfter als früher bei Mutti im Büro. „Komm uns doch mal besuchen, wenn du auf dem Heimweg bist, Klaus. Die Ursula und ich – wir freuen uns immer sehr, wenn wir dich einmal sehen.“ Also schaute ich


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