Von diesem Sommer bis zum nächsten. Susanne Margarete Rehe

Von diesem Sommer bis zum nächsten - Susanne Margarete Rehe


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war die Zeit, als Gerdi auf Pauls Hof gezogen war.

      So wie heute, war es auch früher immer auf ihren Feldrundfahrten.

      Die kleinen Gespräche über das Wetter, das Erwägen, wie sich Arbeit und Ernte entwickeln würden und Pauls vertrauter Ausspruch, dass es „net ganz schlecht sei“. Nicht ganz schlecht – das hieß immer: wir haben gemacht, was wir konnten, und wir haben versucht, das Beste daraus zu machen. Es hieß auch, sich kleine Fehler verzeihen zu können, Zugeständnisse an die eigene Unzulänglichkeit zu machen und mit dem Wettergott, dem unzuverlässigen Mitstreiter, seinen Frieden zu schließen.

      Nicht ganz schlecht!

      In diesen drei Worten steckte auch eine Hoffnung und hinter der Hoffnung verborgen saß die Angst – eine alte menschliche Angst vor Not, vor Armut und Verlust.

      Nicht, dass sich Pauls Angst in den Vordergrund gedrängt hätte, nein, sie war vielmehr ein Teil des Motors, um weiterzumachen, um täglich das komplexe Hofgefüge mit all der Arbeit und Verantwortung, die daran hing, zu stemmen und weiter zu entwickeln. Für Paul war die Angst gewissermaßen eine seiner Antriebsfedern, mit deren Zugkraft er den Hof zu dem gemacht hatte, was er heute war.

      Ihr gemeinsamer Austausch über den Zustand von Getreide und Gemüse, über die Entwicklung der Kartoffeln, der Zwischenfrucht und Grünbrache, über die Beschaffenheit und Pflege des Bodens war ihnen beiden wichtig.

      Paul war Bauer mit Leib und Seele. Er war immer bestrebt, seinen Betrieb und den Erfolg seiner Arbeit zu optimieren. Es machte ihm Spaß, Neues auszuprobieren. Und umso wichtiger war es, genau hinzuschauen, was sinnvoll war oder was er verändern musste, wie Arbeitszeit eingespart und Arbeitsabläufe erleichtert werden konnten.

      Ihre vielen kleinen Gespräche brachten neue Erkenntnisse und warfen Fragen auf.

      Die Fragen halfen Paul, seine Erfahrungen zu sortieren und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Ihre Gespräche waren ein Teil ihrer gemeinsamen Arbeit – der Arbeit, die Gerdi und Paul noch immer miteinander verband.

      Paul hatte Gerdi vom ersten Tag ihres Kennenlernens an in seine Arbeit eingebunden.

      Ihre Meinung war ihm nicht nur wichtig, mehr noch: es war der Austausch, den er nach Jahren des alleine Wirtschaftens auf seinem Hof gebraucht hatte.

      Paul war fast fünfzig Jahre alt. Sein Leben lang war er Bauer gewesen. Als Ältester der fünf Geschwister hatte er den elterlichen Hof und mit ihm auch die Lebensaufgabe, die damit verbunden war, übernommen.

      Paul hatte zusammen mit seiner früheren Frau, den drei Söhnen und der inzwischen verstorbenen Mutter auf dem Hof gelebt. Die Söhne waren längst erwachsen. Einer nach dem anderen hatte der Landwirtschaft den Rücken gekehrt. Pauls Ehe war nach endlosen Streitereien endgültig gescheitert und geschieden worden. Seine Frau war weggezogen. Sie hatte nach der Scheidung den Hof ihrer eigenen Eltern übernommen und Paul blieb zurück, allein.

      Weilersried war ein Erbhof und gehörte seit vielen Generationen Pauls Familie.

      Er lag auf altem fruchtbarem Bauernland und war zu einer Seite umsäumt von bewaldeten, sanft abfallenden Hügelketten. Zur anderen Seite hin öffnete sich das Land in die weite Niederung einer Flusslandschaft. Und über all dem spannte sich ein großartiger Himmel, der mit seinem Licht die Farben der Landschaft ungewöhnlich leuchtend hervorhob und sie an dunstigen Tagen mit einem zarten Schleier überzog und verzauberte.

      Für Gerdi war es ein wunderschöner Fleck Erde, in den sie sich vom ersten Blick an verliebt hatte.

      Kleine alte Bauernhäuser, einfach und niedrig gebaut, mit angrenzenden Scheunen, Ställen und Gärten säumten die gewundenen weiten Dorfstraßen. Die mit Liebe angelegten bunten Gärten, gepflasterte Innenhöfe, kunstvolle alte Taubenschläge und gepflegte Kirchplätze entwarfen ein fast malerisches Bild.

      In Gerdi weckte diese Gegend ein heimeliges Gefühl und zugleich ihren alten Traum von einem Platz, an dem sie geschützt und zuhause sein konnte. Es war ihre insgeheime Sehnsucht nach einem Ort, an dem die Welt noch in Ordnung war.

      Paul hatte schon immer auf Weilersried gelebt und gearbeitet. Als Bauer war er tief verwurzelt mit Landschaft und Menschen. Dieses Leben hatte ihn geprägt wie kein anderes. Von Paul ging eine bodenständige Sicherheit und Gelassenheit aus, die Gerdi in einen fast magischen Bann zog. In Paul fand sie, was ihr in ihrem Leben schmerzlich gefehlt hatte.

      Sie war wie ein Blatt im Wind und er der Boden, auf den sie fiel.

      Mit ihrem unruhigen, bewegten Leben schien Gerdi das schiere Gegenstück von Paul zu sein. Und wäre nicht schon lange das tiefe Bedürfnis nach Beständigkeit, nach Ursprünglichkeit, dem engen Verbundensein mit der Natur und deren Gesetzmäßigkeiten in ihr gereift und hätte sie nicht vor vielen Jahren diesen Weg eingeschlagen und verfolgt, sie wäre nie in die Landwirtschaft gegangen.

      Paul und sie wären einander niemals in solch tiefem Einvernehmen begegnet, wie vor fast einem Jahr.

      Sie, Gerdi, das Großstadtkind und Paul, der Bauernsohn – zwei Leben, wie sie unterschiedlicher kaum hätten sein können.

      Obwohl es jetzt schon lange zurück lag, erinnerte Gerdi sich sehr gut an den Tag, als sie das erste Mal einen Fuß auf diesen Weg gesetzt hatte. Seitdem zog er sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Die Umstände dieses Tages blieben ihr deutlich in Erinnerung, weil ihr Leben seit dieser Zeit eine Wende genommen hatte.

      Mit Leon und Luisa, ihren beiden Kindern, hatte sie damals in der Stadt gelebt.

      Ein Hinterhaus, kleine Wohnung unterm Dach, Toilette auf dem Treppenabsatz und Blick auf den zweiten Hinterhof. Es war ein einfaches Zuhause, dafür aber bezahlbar. Für die Kinder und sie hatte es gereicht. Und eigentlich lebten sie gerne dort.

      Der kleine bepflanzte Hof mit dem blühenden Pflaumenbaum, der sich mit seinen ausladenden Ästen direkt vor ihrem Fenster ausbreitete, war für alle Hausbewohner eine idyllische Oase inmitten der Großstadt.

      Im späten Frühjahr jagten die ersten Horden von Mauerseglern einander um die Häuserblöcke. Das schrille Geschrei der pfeilschnellen Vögel, die an den geöffneten Fenstern vorbeischossen, erschien Gerdi stets wie eine Verheißung auf Sommer und Sonne.

      Bald schon sickerte die Hitze allmählich wie dicker Sirup aus dem himmelblauen Ausschnitt zwischen den Häuserwänden und füllte auch ihren Hinterhof. Die hohen Mauern der Vorderhäuser standen wie ein Bollwerk gegen den Lärm und Gestank der großen Straßen, die ihren Wohnblock umgaben, und den Kindern war der Hof ein geschützter Ort zum Spielen. Für Gerdi war dies viel wert. Es war mehr, als sie je davor gehabt hatte.

      Damals, als Luisa noch klein war, fehlte ihr eine solche Möglichkeit.

      Alle Spielplätze der Umgebung hatte sie mit Luisa längst ausfindig gemacht gehabt, immer auf der Suche nach einem, der ihr erträglich schien. Gerdi mochte keine Spielplätze!

      Es war ihr eine erdrückende Vorstellung, sich auf diesen viereckigen Plätzen mit den vierfarbigen Spielgeräten zusammen mit all den anderen Müttern und Kindern festgenagelt zu fühlen.

      Über den sich anbahnenden Windel-Kinderarzt-und-Trotzphasen-Gesprächen schien stets eine allgemeine träge Unlust zu schweben. Da half auch Luisas Lachen und Spaß an der Sandkastenwelt nicht ganz darüber hinweg.

      Jetzt ging Luisa bereits in die zweite Klasse und Leon fing gerade an zu laufen.

      Und noch immer wohnten sie in der kleinen Wohnung unterm Dach. Noch immer war es der gleiche Hof, der gleiche Baum, derselbe Blick auf das viereckige Stück Himmel.

      Nur etwas war anders – Gerdi war es längst zu eng geworden.

      Sie sehnte sich nach Luft und Weite, nach Bäumen, Erde und nach echtem Wasser. Sie wollte den Lauf der Sonne nicht mehr an den länger werdenden Mauerschatten ablesen. Sie wollte hinaus – raus aus der Stadt. So oft es ihr möglich war, ging sie mit den Kindern in den stadtnahen Wald.

      Die Sehnsucht nach


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