Von diesem Sommer bis zum nächsten. Susanne Margarete Rehe

Von diesem Sommer bis zum nächsten - Susanne Margarete Rehe


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gewesen war. Von außen betrachtet, hatte sich nichts merklich verändert, nur dort, wo ihr Bauchbarometer saß, war ein ihr unbekannter weiter Raum entstanden, der gefüllt sein wollte mit neuem Leben.

      Für Leon, Luisa und Gerdi wurde der Garten ein zweites Zuhause.

      Gerdi stand auf Weilersried im Hausflur und telefonierte.

      Den Telefonhörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt versuchte sie, ihre Schuhe anzuziehen, während sie mit Leon sprach.

      Sie hatte es eilig. Es war fast vier Uhr und wieder hatte sie es nicht geschafft, früher mit der Arbeit fertig zu werden. Jetzt lag die ganze lange Fahrt noch vor ihr und Gerdi mochte es nicht, im Dunkeln zu fahren.

      „Ja, ja – natürlich bringe ich Kartoffeln und Gemüse mit“, antwortete sie etwas gestresst in den Hörer, „hab schon alles ins Auto gepackt. Ja, auch die Kette, die du das letzte Mal hier hast liegen lassen. Wenn nichts dazwischen kommt, bin ich gegen Abend bei euch. Also, mein Schatz, ich fahr jetzt – bis dann!“

      Sie schickte noch einen flüchtigen Kuss durchs Telefon und legte auf.

      Gerdi hob ihren roten Rucksack auf, nahm die Handtasche und den dicken Pullover und machte noch einen Abstecher ins Badezimmer.

       Zahnbürste, Duschgel, Haarbürste, Deoroller … ach ja, den Kajalstift und Haarfön darf ich nicht vergessen, so was haben die beiden Männer zuhause natürlich nicht.

       Okay, ich glaub, das war’s!

      Sie stopfte alles in den Kulturbeutel und versuchte mit Nachdruck, diesen auch noch im Rucksack unterzubringen. Wohl bereits zum hundertsten Mal machte sie dabei die Erfahrung, dass es scheinbar keine Tasche gab, die wirklich zur Menge des Gepäcks passte. Egal, wie groß sie war, sie war auf jeden Fall zu klein.

      So war es natürlich auch dieses Mal. Ihr Gepäck ließ zwei Wochen Urlaub vermuten, dabei würde sie in genau achtundvierzig Stunden wieder hier sein.

       Na ja, es ist noch früh im Jahr. Der Winter hat sich noch nicht endgültig verzogen, da brauche ich eben warme Kleidung, dicke Socken, ein zweites Paar Schuhe … im Sommer wäre es sicher anders.

       Im Sommer!

       Falls ich im Sommer noch hier bin.

       Wo ist Paul überhaupt? Ich will mich von ihm verabschieden. Wenigstens einmal drücken, Kuss und Nase aneinander reiben, noch was Nettes sagen.

      Sie ging hinaus und sah Paul in der Halle, in der er Getreide reinigte und schaute ihm einen Moment lang zu. Verwegen hatte sich der feine Staub vorgenommen, jedes nur erreichbare Haar auf Pauls Gesicht zu besetzen und zeichnete eindrucksvolle Strukturen auf Wimpern und Augenbrauen. Ein wenig wild sah er aus, der Bauer, mit seiner gepuderten Auflage.

      Gerdi mochte sein Gesicht, wie eigentlich alles an diesem Mann, und am allermeisten gefielen ihr seine Augen und sein spitzbübisches Lachen, wenn es ihm gut ging.

      Sie lief zum Auto, verstaute ihr Gepäck und schlug die Tür vom Kofferraum zu.

      Paul sah Gerdi entgegen, als sie über den Hof auf ihn zuging.

      „Fahrsch’d jetzt?“, fragte er sie.

      „Ja, ich will nicht allzu spät bei Leon auftauchen. Er weiß, dass ich eigentlich schon unterwegs bin.“

      „Also dann, pfia’di!“

      Kleines, verlorenes Küsschen von ihm – Vorhang – und ab.

      Ihr Bauchbarometer machte sich bemerkbar. Es rumorte und tendierte gegen rot. In Gerdis Kopf blieben Enttäuschung und Rebellion über Pauls lieblose Art hängen. Sie schluckte die Worte hinunter, die sich in ihrer Kehle verhakt hatten, drehte sich um und ging.

      Dann stieg sie ins Auto und fuhr, ohne anzuhalten.

      Der Kilometerzähler fraß die Strecke in kleinen Happen.

      Zeit und Geschwindigkeit spürte Gerdi kaum noch. Die kleinen verschlafenen Dörfer der Alb hatte sie längst hinter sich gelassen.

      Entlang der Autobahn flog die Landschaft vorbei. Die Entfernung schien auf wundersame Weise zusammengeschrumpft auf einen harten, aber standhaften Kern, so oft war sie diese Strecke nun schon gefahren. Früher immer „hinunter“ und seit sie auf Pauls Hof lebte, immer „hinauf“.

      Aber nicht nur die angestrebte Wunschrichtung mit den dazwischen liegenden Sehnsuchtszeiten hatte sich geändert. So Vieles war anders geworden. Anders als gewünscht und gehofft und geplant.

      Gerdi erinnerte sich an ihre Fahrt „hinunter“, als sie Paul das erste Mal traf.

      Sie hatten einander über eine Annonce in einem landwirtschaftlichen Blatt kennen gelernt. Paul suchte eine Partnerin. Gerdi hatte ihm geschrieben und Paul hatte geantwortet.

      Ein später und recht heißer Frühlingstag war es gewesen, als sie sich das erste Mal trafen.

      Gerdi lebte damals noch mit Leon zusammen in einem verschlafenen Taunusdorf. Auf dem Hof befreundeter Bauersleute betrieb Gerdi ihren eigenen Gemüseanbau und unterhielt in der nahe gelegenen Kleinstadt einen Laden.

      Es war Samstagnachmittag – endlich!

      Nachdem Gerdi die letzten Gemüsekisten im Kühlraum verstaut hatte, ließ sie die Rollläden herunter, knipste das Licht aus und zog die Türe ihres kleinen Ladens hinter sich zu. Der Schweiß stand ihr in glänzenden Perlen auf der Stirn. Sie hatte zügig gearbeitet. Jeder Handgriff saß, kein unnötiger Gang, die gewohnten Arbeitsschritte schachtelten sich ineinander wie ein Baukastensystem.

      Gerdi mochte die fließende Dynamik ihrer Arbeit und war wie so oft gottfroh über die äußerst praktische Fähigkeit, wenn es sein musste, unglaublich schnell arbeiten zu können. Sie hatte ein riesiges Energiepotential zur Verfügung. Das war ihr Glück. Ohne dieses Potential hätte sie es nicht geschafft, das Pensum ihrer täglichen Aufgaben und Verpflichtungen zu bewältigen. Und dennoch, wieder war es spät geworden und ihre Arbeitswoche war unendlich lang gewesen. Oder vielleicht erschien es ihr auch nur so, weil sie diesen Samstagnachmittag herbei gesehnt hatte, wie schon lange nichts mehr.

       Mist, eigentlich bin ich jetzt total erledigt!

       Diese elende Schlepperei, bis ich endlich hier heraus komme! Es kostet mich alles!

       Die Kundschaft ist längst schon zuhause und hat sich von meinem Gemüse etwas Gutes gekocht. Soll sie ja auch! Bloß, ich stehe hier immer noch, hungrig und viel zu müde zum Essen und bin ziemlich am Ende.

       Na gut, Gerdi, aber komm, gleich hast du’s geschafft! Vergiss den Stress und lass einfach alles hinter dir!

       Heute ist ein besonderer Tag. Dein Tag! Und die vierhundert Kilometer, die vor dir liegen, die schaffst du auch noch – irgendwie.

      Glücklicherweise gab es aber noch etwas, das Gerdi mindestens so gut vermochte, wie schnell zu arbeiten. Sie konnte sich auch ziemlich schnell wieder erholen. Und das war gut so, denn sie hatte ein kleines Problem, das sich schon lange durch ihr Leben zog.

      Eigentlich konnte sie sich gar nicht mehr recht erinnern, wann es anfing. Jedenfalls war es lange her. Die Zeit, die ihr zur Verfügung stand, reichte ihr nämlich nie – weder für die Dinge, die sie machen wollte, noch für die Ruhe, die sie nötig gehabt hätte.

      Also kaufte sie sich an der Tankstelle ein Eis für eine Fünf-Minuten-Pause und lutschte die sahnige Kühle und Schokolade in sich hinein. Dann fuhr sie los – das erste Mal „hinunter“. Zusammen mit dem abgeleckten Eisstäbchen warf sie das Drückende ihres Alltags aus dem Fenster des alten VW-Busses, schob die Filmmusik von „Amelie“ in den CD-Spieler und fuhr Paul entgegen. Paul, den sie bisher nur von seinen Briefen, einem Foto und den Gesprächen am Telefon kannte.

      Als nur noch wenige Kilometer sie vom Weilersrieder Hof trennten,


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