Lindenstadt und sächsischer Kleinkram. Jens Rübner
Donnerstag“
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Zwiegespräch
Weihnachten steht vor der Tür und immerzu regnet es, so ein Nieselregen, der gar nicht mehr aufhört.
Leipzig-Reudnitz, Dezember im Jahr 1924, 20 Uhr. Eine junge Frau auf dem Heimweg. Name: Helene Voigt – Alter: 33 Jahre – Beruf: Schriftstellerin.
Guten Abend, Helene. Warum nimmst du die Brille nicht ab bei diesem Regen – sie ist dir doch lästig?
Ich seh dann nicht so gut, das wissen Sie doch. Ich seh dann die Laternen und die Sterne.
Was hast du gegen Sterne?
Es ist besser, ich seh die Lampen. Ich sehe durch die Tropfen, aber ich sehe, dass die Laternen eben Laternen sind und keine Sterne – und das ist gut so!
Stopp! Wir drehen die Zeit ein gutes halbes Jahr zurück. Frühling, es ist angenehm warm. Helene Voigt sitzt am Fenster in ihrem möblierten Zimmer im Haus Nostitzstraße 51 in Leipzig-Reudnitz. Die Vögel zwitschern munter vor sich hin und die angenehme Ruhe wird nur durch Pferdegetrappel einer vorbeifahrenden Droschke unterbrochen. Ansonsten Stille, ihre Gedanken kreisen …
Nach etwa zwei Stunden rapple ich mich auf und schaue auf ihren Schreibtisch. Auf dem Tisch steht eine Vase mit bunten, frischen Wiesenblumen und daneben liegen mehrere Blatt Papier. Darauf steht in feinster sächsischer Mundart eine Hommage an ihre, meine Stadt – Die Lindenstadt.
Lesen Sie selbst, was die hochbegabte Dichterin Lene Voigt zu Papier gebracht hat.
Die Lindenstadt
Schon unsre Dichterferschten briesen
De scheene Stadt am Bleißenstrand
Wo um de Bromenade sprießen
De Linden wie 'ne griene Wand.
An Sommerahmden, wenn de Blieten
So milde duften un so sieß,
will geener mähr sei Stiebchen hieten.
Mit Macht lockt´s Lindenbaradies.
Da ziehn mir Leibzcher dann so gerne
Rings um de Bromenade rum.
Dorch Blätterdächer illern Sterne
Un grißen freindlich ´s Bubbligum.
De Ginstler unter uns behorchen
De Seiseldeene ausm Boom.
In mnacher Linde liecht verborchen
Es neies Dema. Wollnses gloom?
Ich gannde mal e Gombonisten,
där dankte eener e Modiv.
Wenn das de andern Linden wißten,
se guckten wohl e häbbchen schief.
Buchstadt. Bachstadt. Heldenstadt. Sportstadt. Messestadt oder eben Lindenstadt, wie sie historisch auch genannt wird – zu Leipzig passen viele Label. Bis heute finden sich im Stadtgebiet viele dieser Bäume. Lindenhof, Lindenallee, Lindenstraße sind Namen, die ebenfalls darauf verweisen, so dass der Name sicher zu Recht besteht.
Weltoffen sind sie, die Leipziger, so sagt man. Aber auch auf eine charmante Art größenwahnsinnig. Schließlich haben sie die historische Wende in Ostdeutschland in den Jahren 1989 und 1990 friedlich eingeleitet und somit wesentlich zur Wiedervereinigung Deutschlands beigetragen, beinahe Olympia nach Deutschland geholt und zuletzt noch die halbe Innenstadt untertunnelt.
Leipzig – der Geburts- und Sterbeort der Lene Voigt hat sich gewaltig verändert. Vieles ist anders geworden in meiner Heimatstadt. Die graue ‚Diva‘ hat sich herausgeputzt. Die Lindenstadt ist heutzutage eine verrückte, bunte, kreative Großstadt und doch manchmal ein Dorf – quasi eine „Weltstadt im Puppenstubenformat“.
Das Schlimmste im Vorwende-Leipzig war der Zustand der Stadt. Dieser permanente Verfall. Nun ist vieles tatsächlich wieder auferstanden, liebevoll restauriert. Die Stadt selbst ist, wie man zugeben muss, lebendiger, aber leider auch gefährlicher und aggressiver geworden. Man braucht eine gewisse Zeit, um wahrzunehmen, was sie von so vielen anderen Handels-, Kultur- und Messestädten der Welt unterscheidet.
Wie soll man die Bilder einer Stadt ohne Geräusche, Geschäfte und vor allem ohne ihre Menschen mit ihren Geschichten beschreiben? Eine praktische Art, eine Stadt kennenzulernen, besteht darin, sich anzuschauen, wie in ihr gearbeitet, geliebt, gelebt und gestorben wird.
Wer Arbeit hat, dem geht’s – wie überall – gut. Dem fehlt lediglich die Zeit zum Leben. Er schwimmt durch die Tage und taucht erst am Wochenende wieder auf. Vor lauter Betriebsamkeit und Geschäftemacherei verlieren die meisten Erwachsenen in ihrem Alltag, in ihren Problemen und Sorgen die Freude über die kleinen Dinge des Lebens. Doch gerade darin liegt der Schlüssel zur Zufriedenheit.
Natürlich haben sie auch Freunde, Frauen/Männer, lieben gutes Essen, das Kino oder das Faulenzen am See. Vernünftigerweise behalten sie diese Vergnügungen dem Wochenende vor und bemühen sich an den Wochentagen Geld zu verdienen.
Eine weitere sinnvolle Art, eine Stadt kennenzulernen, wäre ein Buch darüber zu lesen. Streifen Sie also mit mir durch Leipzigs Straßen – folgen hupenden Autos, dem bunten Treiben auf Straßen, Plätzen und in den Parks. Lauschen den Gesprächen oder der lauten Musik: Geräusche, die von Lebendigkeit und kultureller Vielfalt einer Stadt zeugen. Begeben Sie sich mit mir auf die Spurensuche nach Wissens- und Bewahrenswertem unter den kleinen Dingen des Lebens. Geschichten und Lebensbilder, in denen es nicht um ewige Jugend, Reichtum oder Schönheit geht. Nein, um „sächsischen Kleinkram“, über das Labyrinth der Wörter und die damit verbundene Mischung aus Komik und Tragik.
Das Wissens- und Erhaltenswerte liegt nicht in der großen weiten Welt, sondern beginnt gleich um die Ecke!
Oma, warum hast du so eine große …?
Es gab mal Zeiten, in denen die Vulven (weibliche Scham), alle behaart und nicht nackt rasiert waren. Viele frühe Kulturen haben gar die Vulva verehrt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in der Kunst ihren magischen Zauber entfalten durfte.
Es ist interessant zu lesen, wie ungeniert und ausgelassen ein als eher steif verschrienes Volk wie die Deutschen in vergangenen Jahrhunderten seine Sexualität ausgelebt hat. Früher waren alle prüde? Von wegen! Lust,