Lindenstadt und sächsischer Kleinkram. Jens Rübner
IMO Leipzig, Industriemontagen in der Riesaer Straße. Weitere Außendekorationen fand man am Palmengarten in Lindenau und in Wiederitzsch am Sandberg. Mit Hilfe der heutigen Technik ist auch ein Motiv einer Leipziger Tanzbar auszumachen. Das Angebot im Film reichte vom Underberg bis zum Cinzano. Es lässt vermuten, dass es sich hier um ein Lokal handelte, in welchem höchstwahrscheinlich auch regelmäßig internationale Gäste zu den Leipziger Messen verkehrten. Ansonsten wäre die Marke Underberg zu tiefsten DDR-Zeiten wohl nicht im Angebot gewesen.
Mein erstes Gaumen- und Magenerlebnis mit diesem speziellen Portionsfläschchen hatte ich 1986. Katrin, meine damalige Freundin, heutige Frau überraschte mich eines Tages mit etwas Besonderem, einer Packung Underberg aus einem bedeutenden, geschichtsträchtigen und in der Bevölkerung nicht gerade beliebten Hause – dem Gästehaus des Ministerrates in Leipzig, in dem sie als Kellnerin tätig war. Hin und wieder war es gestattet, dass das Personal auch mal etwas Außergewöhnliches im Personalverkauf für DDR-Mark erwerben durfte. Ich war so neugierig, dass ich die Packung im wahrsten Sinne des Wortes wie ein „Westpaket“ aufriss und mir ein Fläschchen sofort genehmigte. Mein erster UNDERBERG. Er roch stark nach Alkohol und einem undefinierbaren Aroma aus Kräutern, der Abgang war rauchig und sehr scharf. Ich schüttelte mich heftig und währenddessen umkam meinen Magen ein sehr warm aufsteigendes Gefühl, was ich als sehr angenehm empfand. Trotz alledem beließ ich es vorsichtshalber bei dem einen ersten Schluck, denn im Geschmack war der Trunk wirklich grässlich. Oder sollte ich besser sagen, ungewöhnlich, außergewöhnlich, anders als alle bisherige gekannten Kräuter- und Magenbitter.
Heute greife ich besonders gern nach einer sehr kräftigen Mahlzeit zu diesem „altbewährten“ Mittel, dem aromatischen Magenbitter in der kleinen ummantelten Portionsflasche aus Strohpapier, um mich von Magendruck oder Völlegefühl zu befreien.
Dass die Underberg-Freunde nicht nur treu, sondern auch ein bisschen verrückt sind, sollen folgende Zeilen belegen: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!“ Mit diesem Motto von Schiller halten es ebenso einige Underberg-Freunde, die sich von der Marke inspirieren lassen und gar eigene Kunstwerke schaffen. Aber auch freiberufliche Künstler finden Gefallen am Kunstobjekt „Portionsflasche“. So gestalten die Leipziger Harald Bauer und Günter Huniat aus Underberg Packmaterialien wahre Kunstwerke. In diesem Sinne „Kommen doch auch Sie mit auf den Underberg …“ und entdecken bei einem Wiedersehen mit einer der größten Flaschen des Jahrhunderts die Botschaft – nach einem guten Essen hilft Underberg über den Berg.
„Es geschah am hellichten Tag“
Am letzten Kalendertag des Monats Mai 1969 verschwinden „Winni“ und „Shatti“, zwei Jungen im Alter von neun Jahren, und ein unvorstellbares Drama braut sich zusammen. Es ist der bis dahin spektakulärste Fall der DDR-Kriminalgeschichte. Angeblich habe der Film, Es geschah am hellichten Tag, aus dem Jahr 1959 Erwin Hagedorn zu den Taten angeregt.
„Niemand weiß, woher das Böse kommt, und wann es wieder geht“; „Was gedacht werden kann, wird auch zur Tat“ oder „Einmal Monster, immer Monster?“ Aussagen, die von Kriminalpsychologen und forensischen Psychiatern stammen und die nachdenklich machen sollten. Was um Himmels Willen sind denn forensische Psychiater? Das sind Sachverständige, die oft den Volkszorn auf sich ziehen – nämlich immer dann, wenn sie mit ihren Gutachten Straftäter zu kranken Menschen erklären, die von der Öffentlichkeit als Bestien angesehen werden, aber den Straftäter und auch seine Tat zu begreifen ist Teil ihrer Aufgabe, gerichtlichen Entscheidungen eine rationale Grundlage zu geben. Wie schwierig das sein kann, zeigt der Fall Hagedorn: Ein Fall, der in die Kriminalgeschichte einging, von der es drei Varianten gibt: die wahre und die beiden Filmfassungen (Im Alter von … DDR, 1974 & Mord in Eberswalde – BRD, 2013) eines Kindermörders, wovon keine von dreien in der DDR existieren durfte. „Wir haben ganz sicher keinen pädophilen, homosexuellen Sadisten in Eberswalde.“ – Auszug aus einem Dialog im Film Mord in Eberswalde (WDR-Produktion). „Es gibt solche Subjekte im Sozialismus nicht!“ geht der Dialog weiter und er endet mit dem Satz: „Das ist übrigens die Haltung der Partei."
Doch zuerst die Fakten: Leipzig, 15. September 1972 – in den Vormittagsstunden wird der „Kinderschlitzer von Eberswalde“, Erwin Hagedorn, einer der grausamsten Sexualmörder in der DDR-Kriminalgeschichte, in der Strafvollzugseinrichtung Leipzig vom Henker Hermann Lorenz durch einen gezielten Nahschuss mit der Pistole in den Hinterkopf hingerichtet.
Unauffällige Transporter fahren in den Hinterhof des Gefängniskomplexes, der mitten in einem belebten Leipziger Wohnviertel gelegen ist. Dass es sich hierbei um die Einfahrt zum Todestrakt handelt, ahnen weder die Bevölkerung noch die Gefangenen selbst. Zum Tode Verurteilte erfahren erst kurz vor ihrer Hinrichtung, was geschehen wird. Sie dürfen einen Abschiedsbrief schreiben, der ihre Angehörigen aber nie erreichen, sondern zu den Akten gelegt werden wird. Bis 1968 werden zum Tode Verurteilte enthauptet, später per „unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt" getötet. Dabei tritt der Henker unbemerkt von hinten an den Verurteilten heran und schießt. Die Hingerichteten bringt man zur Einäscherung in das Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof, wo ihre Urne dann anonym beigesetzt wird. „Anatomieleiche" oder „Abfall“ – so werden im Totenbuch des Krematoriums auf dem Leipziger Südfriedhof die Menschen bezeichnet, denen in der Hinrichtungsstätte ihr Leben genommen wurde. Erst sehr viel später erfahren die Angehörigen, wo ihr Familienmitglied beigesetzt worden ist. Manche wissen es bis heute nicht.
Zwischen 1960 und 1981 wird ein Teil der Leipziger Strafvollzugseinrichtung in der Alfred-Kästner-Straße/Arndtstraße als zentrale Hinrichtungsstätte der DDR genutzt. Heutigen Erkenntnissen zufolge wurden hier in dieser Zeit 64 Menschen getötet. (Orte-der-Repression.de/Leipzig-Hinrichtungsstätte, Zugriff am 30.01.2013)
Erwin Hagedorn ist gerade 20 Jahre jung, als er hingerichtet wurde. Seine Verbrechen ähneln denen des westdeutschen Kindermörders Jürgen Bartsch. Dieser war ein pädosexueller Serienmörder, der in Velbert im Zeitraum von 1962 – 1966 vier Knaben ermordete.
1969, so die Anklage, habe Hagedorn zwei Jungen im Alter von neun Jahren im Forst bei Eberswalde getötet. Der Täter hatte seinen Opfern den Hals durchgeschnitten. Eine großangelegte, aber streng geheim gehaltene Fahndung blieb vorerst erfolglos.
Als 1971 erneut ein 12-jähriger Junge ermordet aufgefunden wurde, startete die Polizei eine breite Befragung der Bevölkerung. Anonyme Hinweise brachten die Kripo und Stasi schließlich auf die Spur des Lehrlings/Kochs in der MITROPA-Bahnhofsküche von Eberswalde.
H A G E D O R N wirkte erleichtert und gesteht sofort. Die psychiatrische Untersuchung ergibt: Hagedorn ist persönlichkeitsgestört, trotz allem aber schuldfähig. Ist er gar ein Sadist? Von Sadismus im medizinischen Sinn spricht man, wenn ein Mensch (sexuelle) Lust oder Befriedigung dadurch erlebt, dass er andere Menschen demütigen, unterdrücken oder ihnen Schmerzen zuzufügen kann. (Quelle: freie Enzyklopädie – Wikipedia) Gutachter und Rechtsmediziner formulieren es so: Sadisten empfinden beim Quälen Lust. Je wehrloser das Opfer, desto größer die Macht und Kontrolle, die man über es gewinnen kann. Deshalb sind die Opfer oft Kinder. Die Todesangst in den Augen dieser Kinder wird für den Täter zum Quell höchster Lust und Befriedigung.
Sind solche Menschen krank? Wenn dies so ist, dann wirft das die Frage auf, ob sie überhaupt anders hätten handeln können und wenn ihnen dies nicht möglich ist, sind sie für ihre Taten überhaupt verantwortlich zu machen?
Leipzig 2013. Nach 41 Jahren wird der dreifache Kindermörder aus Brandenburg (erneut) zum Film-Thema: Die ARD zeigt am 30. Januar 2013 die WDR-Produktion Mord in Eberswalde. Die Zuschauer bekommen Sadomaso-Fesselsex zu sehen, ein Abschiedsbrief wird verfasst, im Wald wird ein grausiger Leichenfund gemacht. Damit beginnt die TV-Verfilmung. Einen solchen Einstieg nennt man wohl suggestiv. Die Handlung des ARD-Films fußt auf dem oben beschriebenen realen Fall des Kindermörders Erwin Hagedorn, der zwischen 1969 und 1971 in der brandenburgischen Stadt Eberswalde drei Jungen missbraucht und getötet hatte - und erst nach langwieriger Fahndung gefasst werden konnte.
Im Alter von