Lindenstadt und sächsischer Kleinkram. Jens Rübner
war nicht alles besser, aber anders. Man tuschelt und man munkelt. Neid und Neugier sind die Triebkräfte, die in das Dunkel von Sodom und Gomorrha blicken lassen. Selbst der Theologieprofessor und Reformator Martin Luther betitelte die Messestadt seinerzeit als ein einziges Sodom und Gomorrha.
Es wird behauptet, dass das 18. Jahrhundert das eigentliche Jahrhundert der Prostitution war. Leipzig besaß im Gegensatz zu anderen deutschen Städten keine Bordelle beziehungsweise privilegierte Häuser, aber man gab sich Mühe, in zig öffentlichen Vergnügungsstätten und privaten Wirtschaften aller Art in und um Leipzig diesem Mangel abzuhelfen. Als Hochburgen des Lebensgenusses galten – die Große Funkenburg auch „Tempel der Wollust“ genannt sowie die auch in Goethes „Dichtung und Wahrheit“ genannte Promenade vom Barfuß- bis zum Thomaspförtchen. Somit war Leipzig seinem ganzen Treiben nach ein Miniaturbild von Paris, eine Stätte des Vergnügens. Verdorbenes, Schmutziges und Frivoles waren demzufolge keine Seltenheit, besonders wenn es Nacht wurde, war ‚Klein-Paris‘ eine Stadt, ein Hort der Völlerei, Trunksucht und Unzucht. So waren nicht nur Messegäste und Händler, nein auch Ganoven, Gauner sowie „gemeine Weiber und anderes loses Gesindel“ hier zu Geld gekommen und gaben es meist auch gleich wieder aus.
Skandale haben etwas Anrüchiges, sie sind das Schlüsselloch zu einer Welt, die für die meisten unerreichbar bleibt. Die Menschen gieren seit Bestehen nach Skandalen. Publikationen und einigen Autoren zufolge gab es über die gebürtige Leipzigerin Anita Berber (1899 – 1928) immer etwas zu tuscheln. Sie zickte, zog sich aus und nahm sich Männer, wie sie wollte. Anita Berber – die Schamlose aus Opas Kino. Einschlägige Fachzeitschriften und Lexika beschreiben darin selbst die Künstlerin Madonna und das „It-Girl“, die Erbin des Hilton –Vermögens, Paris Hilton, als Klosterschülerinnen im Vergleich zu ihr.
In Babelsberg spielt sie in den Filmen Anders als die Anderen, (1919), dem ersten Film mit homosexueller Thematik weltweit, der nach Wiedereinführung der Zensur verboten wurde. Es folgen im Jahr 1920 – Nachtgestalten und in Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler, zwei Jahre später agiert sie als „Tänzerin im Frack“. Hier doubelt sie die Tochter eines norwegischen Politikers, die die Rolle der verruchten Tänzerin Cara Carozza spielt, aber selbst nicht tanzen kann. Ein Auftritt, der unter die Haut geht und letztendlich damit endet, dass die Berber ihren Frack fallen lässt und nichts darunter trägt. Diese Szene wiederholt sie Stunden später nochmals. Doch diesmal nicht vor der Kamera, sondern vor fremden Menschen im Nobelhotel „Adlon“. Ein namensloser Gönner hatte sie eingeladen. Als der Pelzmantel fällt und nichts als nackte Haut zum Vorschein kommt, flüchtet der beleibte Herr ohne die Rechnung zu begleichen.“ (Auszug aus 100 Jahre Babelsberg – Das deutsche Hollywood)
Anita Berber, die ‚Oma‘ mit der großen … wurde am 10. Juni 1899 in Leipzig geboren; ihr Vater war der berühmte Geiger des Leipziger Gewandhausorchesters, Professor Felix Berber; ihre war Mutter die Kabarettistin und Chansonniere Lucie Berber, die unter anderem im Berliner „Chat noir" und im „Linden-Cabaret" Erfolge feierte. Anita Berber, Tänzerin, Schauspielerin und Selbstdarstellerin par excellence. Die wohl gewagteste Frau ihrer Zeit, heute spricht man wohl von einem „It-Girl“! Die Berber war (noch) nicht berühmt, aber schon berüchtigt. Nicht nur durch ihre schlüpfrigen Tänze mit den aufregenden Namen „Morphium“ und „Kokain“. Dass sie Letzteren selbst sehr zugetan ist, bleibt niemandem verborgen. Am Ende war es so schlimm, dass es immer häufiger auch während ihrer Darbietungen zu Tumulten kam. Obszöne Worte flogen durch die Luft, Freier, besoffene Gäste wollten sie anfassen – sie sprang splitternackt von der Bühne … Tische krachten zu Boden, Stühle flogen und wem ihr Spektakel nicht gefiel, bekam schon mal eins auf die Mütze, um nicht deutlicher zu werden, in die Fresse!
Zum Schluss trank die Berber eine Flasche Hochprozentiges und mehr, ihre Nasenflügel waren stark entzündet vom ständigen Kokainkonsum. Das Koksen war in. Kokain wurde zur Modedroge der „wilden Zwanziger“. Er galt als Treibstoff der neuen, schnelllebigen Zeit. Eine, die es zelebrierte, ja bis zum exzessiven Höhepunkt trieb, war Anita Berber; ihre tragische Figur – ein Sinnbild der Exzesse der „stürmischen 20er Jahre“.
Eine Ikone des Berliner Nachtlebens, ein skandalträchtiges Sternchen trat im Alter von nur 29 Jahren am 10. November 1928 von der Bühne des Lebens. Sie „verbrannte“ sich innerlich letztendlich selbst und starb an den Folgen ihrer Tuberkulose. Es war wohl die Quittung für ihr frevelhaftes, lasterhaftes irdisches Tun.
Dutzende von männlichen und weiblichen Geliebten, Verschleiß von drei Ehemännern sowie Verkauf an zig Freier für eine Nacht, wird am Ende in ihrer Vita zu lesen sein.
Er machte Zarah Leander zum Star
Die Rede ist vom Regisseur, Schauspieler und Übersetzer Hans Detlef Sierck (1897 – 1984), der es später unter dem Namen Douglas Sirk zum Meister des Hollywood-Melodrams brachte.
Sein Kurzaufenthalt in der sächsischen Lindenstadt war eine wegweisende und wichtige Station in seinem bewegten Leben. Geradezu ins Schwärmen geraten reifere Bühnenfreunde, wenn vom Alten Theater in Leipzig die Rede ist. Das Alte Theater am Richard-Wagner-Platz war die erste Theaterbühne dieser Stadt. Der Standort, heute schwer auszumachen, war dort, wo sich nahe dem Brühl auf dem Tröndlinring die Schienen der Straßenbahn in die Richtungen Goerdelerring, Ranstädter Steinweg und Pfaffendorfer Straße teilen. Das Gebäude wurde Anfang Dezember 1943 durch einen Luftangriff zerstört. An diesem Theater war Sierck (1929 – 1935) erst als Regisseur tätig, später wird er zum Intendanten berufen, damit ist er zu jener Zeit in Deutschland der jüngste auf solch einem Posten.
Angesicht der vielen Berühmtheiten, die hier wirkten, Hansi Knoteck, Ruth Hellberg, Lina Carstens und Martin Flörchinger, geht der Name Sierck zuweilen unter. Vielleicht, weil er gerade mal sechs Jahre hier arbeitete oder da seine von lebenslanger Dauer anhaltende Bekanntschaft mit der jüdischen Schauspielerin Hilde Jary für Probleme mit den Nazis sorgte.
1930 wird Sierck Mitglied im Leipziger Rotary Club, unter dessen Dach die Eliten der Stadt verkehren, um soziales Engagement von Initiativen in Leipzig und Umgebung zu unterstützen. Ein Jahr später lädt er die Rotarier zum Blick hinter die Kulissen des Alten Theaters ein. Er referiert unter anderem über die Bedeutung der Masken sowie die Auswirkungen der Reichskulturkammer auf das Theaterwesen. Am Nikolaustag 1934 gibt er seinen Austritt bekannt, um den vom Staat geforderten Maßnahmen zur „Judenreinheit“ aller Vereine zuvorzukommen. Die Rotarier wurden schon seit längerer Zeit misstrauisch beargwöhnt und schließlich im Jahr 1937 zur Selbstauflösung gezwungen. Die Zeichen der Zeit erkennend sondiert Sierck bereits intensiv Angebote aus der Theaterlandschaft. Doch letzten Endes kommt ihm, nennen wir es eine Notwendigkeit zugute. Die UFA sucht händeringend nach fähigen Regisseuren und wird auf den jungen Mann aufmerksam. Im Jahr 1934 darf er drei genehmigte billige Kurzfilme drehen und im November 1935 wurde sein Vertrag am Alten Theater gekündigt – Grund: die jüdische Abstammung seiner (zweiten) Ehefrau, der Schauspielerin Hilde Jary; die hatte Sierck vor ihrem Umzug von Bremen nach Leipzig am Schauspielhaus in der Sophienstraße unterbringen können.
Ein Jahr später, 1936, wird sein Film Schlußakkord, ein gekonnt inszeniertes Melodram um einen Dirigenten mit Lil Dagover und Willy Birgel, ein Riesenerfolg. Die Kritik lobt ihn in höchsten Tönen, wie auch seine amüsante Filmoperette das Hofkonzert mit Martha Eggerth und Johannes Heesters, positiven Zuspruch erhält. Im Jahr darauf wird unter seiner Regie eine weitere Berühmtheit am Filmhimmel geboren – die schauspielern und obendrein auch noch eine sinnliche Stimme voller Leidenschaft und Liebe hat.
Standfoto: Zu neuen Ufern
Willi Klitzke, 1937
Das Publikum strömt in Scharen ins Kino – mit den exotischen Melodramen Zu neuen Ufern und La Habanera macht Sierck 1937 die schwedische Schauspielerin und Sängerin Zarah Leander zum Star und zur absoluten Topverdienerin im deutschen Filmgeschäft. Nicht Marlene Dietrich, sondern Sara Stina Hedberg, wie die Leander mit bürgerlichem Namen heißt, ist mit 100.000 Reichsmark der höchstbezahlte weibliche Filmstar des Dritten Reiches.
Trotz allen Erfolgs