Behindert? - Was soll’s!. Mario Ganß

Behindert? - Was soll’s! - Mario Ganß


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gab es nur einen kleinen Kiosk.

      In dieser Zeit spielten Andreas und ich im Wald, gleich neben unseren Zelten. Doch wenn es uns zu langweilig wurde, kam es uns in den Kopf, gerade jetzt angeln gehen zu wollen. Meine Mutti und Oma kannten sich jedoch mit der Angelei nicht so aus und wollten die von meinem Vater und Opa nicht durcheinander bringen. Außerdem war meine Mutti oft mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Die schmutzige Wäsche häufte sich öfters. Eigentlich viel öfters als es ihr lieb war. Dadurch dass ich meistens auf dem Waldboden kroch, waren meine Hosen schnell dreckig. Doch das war das wenigste. Ich hatte ein Manko, welches meine Mutti fast zur Verzweiflung brachte. Immer wenn ich lachte – und das war sehr oft der Fall -, gingen ständig bei mir ein paar Tropfen in die Hose. Auf der Leine hingen so täglich Hosen und Unterhosen von mir.

      Um unserer Quengelei entgegenzuwirken und die Nerven meiner Mutti zu schonen, ließ sich Oma mal wieder etwas einfallen: Schnell merkte sie, dass wir eigentlich nur am Wasser moddern wollten und dass das Angeln lediglich ein Vorwand dafür war. Sie suchte einen langen Stock, knipperte daran einen längeren Bindfaden und an dessen Ende befestigte sie einen Kienapfel. Fertig war unsere Angel! So zog sie mit uns los. Mit der einen Hand meinen Handwagen ziehend, in der anderen trug sie unsere Angel. Nebenher stiefelte Andreas.

      Meistens ging meine Oma mit uns an die hintere Badestelle des Kolpinsees. Wir mussten über den ganzen Zeltplatz und ein ganzes Stückchen noch am Ufer entlanggehen, bevor wir diese Badestelle erreichten. Der Weg dorthin war nicht gerade eben und für Oma eine ganz schöne Plackerei. An diesem Strand badeten immer nur sehr wenige, sodass uns bei unserer »Angelei« wenn überhaupt nur sehr wenige zusehen konnten. Neben diesem befand sich ein kleines Staubecken, eigentlich mehr ein Überlauf, in das das Wasser des Kolpinsees abfließen konnte. Zu diesem Stau führten wenige Stufen hinunter. Dies war genau das Richtige für Omas Vorhaben!

      Schnell zog sie mir die Schuhe, Strümpfe und die Hose aus. Es war ja warm genug dafür. Dann setzte sie mich auf die zweite Stufe des Staus. Die dritte war schon mit Wasser bedeckt, sodass meine Füße im nassen Element standen. Auf die oberste setzte sich meine Oma selbst. So hatte sie mich voll im Griff, denn zwischen ihren Knien fand ich sicheren Halt. Nun gab sie mir die improvisierte Angel mit dem Kienapfel in die Hand.

      Das »Angeln« mit dieser Rute machte mindestens genauso großen Spaß wie mit einer richtigen. Diese brauchte ich nicht stillzuhalten, sondern konnte sie nach Herzenslust mit der Spitze ins Wasser plumpsen lassen, sodass es nach allen Seiten nur so spritzte.

      Auf dem Boden des kleinen Staubeckens wuchsen allerlei Pflanzen. An diese kam ich mit der Spitze meiner Angel leicht heran. So zog ich ein Stückchen nach dem anderen von diesen Pflanzen heraus. Da sie länglich aussahen, meinte ich dann immer: »Guck’ mal, ich habe einen Aal gefangen.« Meine Oma freute sich so mit mir, befreite meine Angel von dem Grünzeug und der Spaß ging von vorne los.

      Andreas vergnügte sich währenddessen allein am Wasser. Oft fand er selbst einen Stock, mit welchem er mir beim »Aale« Fangen Konkurrenz machte. Oder er watete gleich so durch das flache Gewässer und holte das Grünzeug mit der Hand heraus. Aber die rundum stehenden Bäume verlockten ihn auch immer wieder zum Klettern. So hatte meine Oma ihre liebe Not, auf uns beide gleichzeitig aufzupassen.

      In den folgenden Jahren fuhren meine Eltern, Andreas und ich allein nach Lehnin. Meine Großeltern gönnten sich noch einige Male für jeweils drei Wochen Urlaub an der Ostsee.

      Mittlerweile besaßen auch wir ein schönes, großes neues Zelt. Es bot für uns Vier eine abgetrennte Schlafkabine und außerdem genügend Platz, um uns bei miesem Wetter drinnen aufhalten zu können. Der Luxus nahm von Jahr zu Jahr zu. Damit ich im Zelt auf dem Erdboden spielen konnte, wurde das Zelt mit einem großen Teppich ausgelegt. Nun hatten wir auch richtige, aus Stangen zusammengebaute Schränke, in denen wir unsere Sachen übersichtlich aufbewahrten.

      Um diesen Luxus länger als die sonst gewohnten drei Wochen zu genießen, entschlossen sich meine Eltern zum Dauercamping. Dies bedeutete, dass das Zelt im Mai aufgebaut und erst im September wieder abgebaut wurde. So fuhren sie fast jedes Wochenende nach Lehnin. Ich kam natürlich in den Ferien mit. In den Sommerferien war dann ein großer Urlaub für etwa drei Wochen angesagt. Mit jeder Fahrt zum Zeltplatz wurden immer noch weitere Utensilien mitgenommen. Wir mussten sogar mit der Zeit ein weiteres kleineres Zelt aufstellen, in dem wir die ganzen Kartons, Zeltsäcke, Koffer und Ähnliches aufbewahrten.

      Schon allein für mich nahm man zwei Wagen mit. Einmal den Handwagen, der sich im Wald immer aufs Neue bewährte. In der Zwischenzeit hatte ich auch einen anderen Rollstuhl bekommen. Dieser war viel handlicher als der erste. Auch bei ihm waren die großen Räder vorn und die kleineren zum Lenken hinten. Die Sitzfläche, die Fußstütze sowie die Rückenlehne waren zwar starr, konnten aber schnell einzeln herausgenommen werden. Dann ließ sich der Rest problemlos zusammenklappen und passte so ins Auto.

      Sogar auf einen Kühlschrank mussten wir beim Camping nicht verzichten, obwohl es keinen Strom gab. Neben unserem Zelt hoben wir ein tiefes Loch aus. Die dort reingelegten Lebensmittel blieben so kühl. Auch bei höheren Temperaturen. Um eine bessere Übersichtlichkeit und vor allem Sauberkeit zu erreichen, kamen wir auf die Idee, eine Milchkanne, wie sie auf den Weiden zum Melken der Kühe Verwendung fand, einzugraben. Diese Kanne besaß noch einen idealen Deckel, sodass kaum Schmutz hineinfiel. Der perfekte Kühlschrank fürs Campen!

      Die Autos der an Lehnin vorbeiführende Autobahn konnte man – wenn der Wind aus der entsprechenden Richtung wehte – auf dem Zeltplatz hören. In der Woche störte dies kaum, da nur verhältnismäßig wenige Fahrzeuge und dazu mit einer geringen Geschwindigkeit (im Gegensatz zu heute) diese benutzten. Doch am Wochenende, vor allem am Sonntagabend artete das Befahren der Autobahn im ohrenbetäubenden Lärm aus. Warum nur? In unserem dreiwöchigen Urlaub erkundeten wir dieses Phänomen:

      Die nahe gelegene A2 konnten wir bequem zu Fuß erreichen. Es war außerdem gleich eine schöne Gelegenheit, einen gemeinsamen Sonntagsspaziergang zu unternehmen. Meine Eltern zogen mich wie gewohnt mit dem Handwagen. Einige Stellen waren zwar sehr sandig, aber zu zweit schafften sie es.

      Je näher wir der Autobahn kamen, umso intensiver wurde das Brummen der Autos. Durch einige Baumlücken sahen wir dann schon die Autos vorbeihuschen. Und das waren viele, sehr viele! Auf der, über die Autobahn führende, kleinen Brücke blieben wir stehen. Als wir das »Schauspiel« zum ersten Mal sahen, das da unter uns ablief, trauten wir unseren Augen kaum. Wir glaubten uns in einer anderen Welt. Westauto an Westauto, und das in allen erdenklichen Farben! Die Fahrzeuge, die da unter uns lang fuhren, kannten wir nur sehr flüchtig. Alles schöne Autos, die wir so auf unseren Straßen nie sahen.

      Diese Autos flogen nur so an uns vorbei. Doch nicht lange. Mit der Zeit hatten wir unsere Erfahrung und sagten: »Die stehen gleich.« Es dauerte dann auch nicht lange, bis die Autos bedeutend langsamer fuhren und sogar zum Stillstand kamen. Wow! Ein Stau auf der Autobahn. So etwas kannten wir nur aus dem Fernsehen, aus dem Westfernsehen. Aber nun hatten wir die Gelegenheit, dies einmal live mitzuerleben.

      Diesen Stau konnten wir uns jedoch schnell erklären. Kurz hinter der Brücke befand sich die Abfahrt nach Westberlin. Und alle, die am Wochenende nach Westdeutschland fuhren, kamen am Sonntag wieder zurück.

      Nur schwer konnten wir uns von dem Anblick der uns selten zu Gesicht zu bekommenden Autos trennen. Aber da wir ja mehrere Wochen Urlaub hatten, kam der nächste »Autobahntag« bald wieder und so gingen wir langsam zu unserem Zelt. Wenn die Zeit es noch zuließ, versuchten wir auf dem Rückweg beiläufig für unser Abendbrot zu sorgen.

      Der Wald rund um die Autobahn muss ideale Wachstumsbedingungen für Pilze geboten haben. Sie übersäten in manchen Jahren regelrecht den Boden. Überwiegend wuchsen hier Maronen. Richtig suchen brauchte man sie nur selten. In den meisten Fällen musste man sie einfach nur abschneiden.

      An einigen Wochenenden kamen uns meine Großeltern besuchen. Auch sie wollten für sich Pilze sammeln. Dann zogen wir alle gemeinsam los, zu den Wäldern an der Autobahn. Oft fuhr mein Vater oder Opa mit dem Auto hinterher. Dies erwies sich dann auch als sehr hilfreich, denn anders hätten wir die Massen an Pilzen gar nicht weg bekommen. Es war manchmal wie verhext. Der ganze Kiefernwald stand voller Maronen. Man hätte sie zuweilen mit der Sense abmähen


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