Behindert? - Was soll’s!. Mario Ganß

Behindert? - Was soll’s! - Mario Ganß


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nach Hause.

      Natürlich konnte ich nicht direkt beim Pilze suchen mitmachen. Mich in dem Handwagen quer durch das dichte Unterholz zu ziehen, ging nun beim besten Willen nicht. Wenn ich einen Pilz vom Wegesrand aus sah, machte ich ganz aufgeregt meine Eltern darauf aufmerksam, so als hätte ich ihn zuerst entdeckt. Doch viel mehr konnte ich ihnen nicht helfen. Aber immer nur dazustehen und zuzugucken, das wurde mir sehr schnell zu langweilig. Meinen Bruder interessierten die Pilze sowieso nicht und er turnte schon längst im Wald herum. Das reizte mich natürlich ebenfalls. Wenn der Waldboden nicht zu nass war, setzten mich meine Eltern auf die Erde und so konnte ich mit Andreas den Wald erkunden. Das konnte richtig spannend sein.

      Das Gebiet um Lehnin war damals Truppenübungsplatz der NVA. Nicht unbedingt während der Hauptsaison der Zeltler hielten die Soldaten ihre Manöver in unserer unmittelbaren Nähe ab, doch in der Ferne hörte man schon manchmal Donnerschläge von Panzern, die ihre Übungen absolvierten. Auch konnte es einmal im Jahr vorkommen, dass diese zum vom Zeltplatz nicht weit entfernten Schampsee fuhren. Dieser See war eigentlich ein reiner Anglersee. Doch an den zwei langen Seiten dieses Gewässers befand sich jeweils eine Panzereinfahrt. Hier übten die Soldaten mit den Panzern durch das Wasser zu fahren. So ein Manöver einmal hautnah mitzuerleben, war schon etwas Spannendes.

      Auch fand man in sämtlichen Waldstücken rund um Lehnin Spuren der Streitkräfte. So auch beim Spielen. Wenn ich auf den Böden der Wälder herumkroch, während meine Eltern Pilze suchten, fand ich die eine oder andere Hülse einer Patrone. Das war immer ziemlich aufregend. Unsere Eltern waren selbstverständlicher Weise nicht gerade begeistert, wenn wir mit diesem Zeug rumspielten. Oft taten wir es heimlich, wenn Mutti und Vati sich auf die Pilze konzentrierten. Es waren stets wirklich nur leere Patronenhülsen, die wir fanden, dennoch zogen uns die Dinger magisch an.

      Robbten wir an manchen Tagen etwas tiefer in den Wald hinein, entdeckten Andreas und ich auch mal riesige Vertiefungen im Erdboden, wo ganze Panzer hineinpassten, die zur Tarnung dienten. In diesen gewaltigen Löchern zu spielen, war einfach traumhaft. Wenn wir Glück hatten, fanden wir so ein Panzertarnloch, in dem seitlich noch eine kleine Aushöhlung war, in der man sich zusätzlich verstecken konnte. Oft machten wir uns dann einen Jux. Hatten wir wieder einmal so ein perfektes Versteck gefunden und wir hörten unsere Eltern nach uns rufen, verhielten wir uns mucksmäuschenstill. So hatten sie ihre liebe Mühe, uns zu finden. Doch ist es von mir ein Manko, dass ich in solchen Situationen nicht lange still sein kann. Über kurz oder lang fange ich an zu lachen. So war es schon damals. Und deshalb fanden uns unsere Eltern auch immer ziemlich schnell.

      Vom Wetter wurden wir beim Zelten in Lehnin sehr verwöhnt und die Erfahrung zeigte uns, dass mit relativer Regelmäßigkeit die letzte Woche im Juli sowie die ersten beiden Wochen des August die Sonne am verlässlichsten schien. Klar gab es in diesen Tagen auch mal Ausnahmen und der Himmel trübte sich ein. Regenschauer mussten wir ebenfalls hin und wieder in Kauf nehmen. Wenn es nachts auf das Zelt regnete, empfand ich das irgendwie als sehr beruhigend. Ein Gewitter mit aufziehendem Wind stellte sich als ein besonderes Abenteuer dar. Kam dann aber noch Sturm dazu, sah die Sache für uns schon anders aus.

      In solchen Situationen stand mein Vater nachts auf und machte regelrechte Kontrollgänge um unser Zelt. Zum einen wachte er darüber, dass das Wasser in den kleinen Gräben, die um das Zelt gezogen waren, nicht über und so in das Zelt lief. Desweiteren ging sein besorgter Blick immer erneut nach oben zu den Baumwipfeln. Dort lauerte für uns die größte Gefahr, herunterfallende Äste. Wären diese heruntergefallen und ungünstig auf das Zelt aufgekommen, hätten sie mühelos das Überzelt, das eigentliche Zelt und erst recht die Schlafkabine durchschlagen können. Zum Glück hielten die großen Kiefern jedem Sturm stand.

      Der Sommer 1978 muss ein total verkorkster gewesen sein: nass und kalt. Die kühleren Tage nutzten wir, um Ausflüge mit dem Auto in die nähere Umgebung zu unternehmen. Brandenburg, Potsdam oder auch Berlin boten sich dafür recht gut an. Auch einige Tage, an dem wir nur im Zelt spielen konnten, nahmen wir in Kauf. Doch an einem Tag mussten wir kapitulieren.

      Es fing schon am Vorabend an zu regnen und auch nachts hörte es nicht auf. Im Gegenteil. Der Regen verstärkte sich immer weiter. Auch die Tage zuvor waren sehr regnerisch. Als wir am Morgen aufstanden, merkten wir, dass wir unter diesen Umständen unsere Sachen überhaupt nicht mehr trocken bekamen. Auch das Bettzeug war schon klamm. Die kleine Propangasheizung spendete uns zwar ein wenig Wärme, doch zum Trocknen der Sachen war sie nicht geeignet. Wir sahen ein, dass es in diesem Moment keinen Sinn hatte, länger im Zelt zu verharren. Kurzerhand entschlossen wir uns, nach dem Frühstück nach Zerbst zu fahren, um unsere Sachen zu trocknen und frische zu holen.

      Mein Vater fuhr unseren Trabant so nah wie möglich an das Zelt, um mich halbwegs trocken zum Auto zu tragen. Mit dem Rollstuhl oder dem Handwagen wären wir den schon aufgeweichten Weg bis zum Parkplatz überhaupt nicht lang gekommen.

      Der Zeltplatz lag etwa drei Kilometer vom Ort Lehnin entfernt. Zu ihm führte ein teils festgefahrener, teils sandiger Waldweg. Der Sand ließ das Wasser noch einigermaßen gut versickern, sodass wir ohne größere Probleme die befestigten Straßen ab Lehnin erreichten.

      Es goss immer noch wie aus Kübeln. Die Scheibenwischer schafften es kaum, die Scheiben vom Wasser zu befreien. Nur im gemäßigten Tempo kamen wir voran.

      Auf einmal blubberte unser Trabi. Da uns das Geräusch bekannt vorkam, beunruhigte uns dies wenig. Mein Vater stieg aus, um nachzusehen was defekt war. Aus Solidarität hielt meine Mutti ihm den Schirm. Zielstrebig wechselte mein Vater die Zündkerze. So ein Blubbern war ein sicheres Zeichen, dass mit diesen etwas nicht stimmte und sie meist verstopft waren. Bei den vielen Fahrten, die mein Vater absolvierte, war das Wechseln der Kerzen für ihn zur Routine geworden. Zumal der Trabant nur zwei davon besaß und diese gut zugänglich waren.

      Mit neuer Zündkerze fuhren wir einige Kilometer weiter. Doch nach kurzer Zeit das gleiche Spielchen. Diesmal wechselte mein Vater die andere Kerze. Nun konnte nichts mehr schief gehen. Leider erwies sich dies als Irrtum. Unser Trabi blubberte und spuckte weiter. Wir sagten: »Warum lässt der uns ausgerechnet bei so einem Mistwetter im Stich?« Uns wurde es auch immer kühler, denn die Heizung in so einem Trabant funktioniert nur richtig, wenn er einigermaßen schnell fährt.

      Mein Vater unternahm einen letzten Versuch, die Kerzen zu trocknen. Aber unser Trabi dankte es ihm nur mit weiteren Aussetzern der Zündung. Wir waren machtlos und auf fremde Hilfe angewiesen. Aber wo sollte zu damaliger Zeit so schnell Hilfe herkommen? Schon allein das Wort »Handy« war uns bei Weitem kein Begriff, zumal es zu dieser Zeit noch überhaupt gar keine gab.

      Daher beschlossen wir, so lange zu fahren, wie es irgendwie ging und zu versuchen, die nächste Werkstatt zu erreichen. Diese war in Belzig. Gemächlich tuckerten wir dahin. Unser »Vorhaben« gelang uns. Wir kamen in der Werkstatt an.

      Unbürokratisch konnte uns hier weitergeholfen werden. Während meine Eltern und mein Bruder das Auto verlassen mussten, durfte ich drin sitzen bleiben. Obwohl ich nicht viel von der Reparatur sehen konnte, empfand ich es als spannend, hautnah dabei zu sein. Interessierte ich mich doch sehr für Technik.

      Die Zündkerzen waren in Ordnung, doch ein anderes Teil der Zündanlage muss verölt gewesen sein. Nach einer halben Stunde schnurrte unser Trabi wieder wie neu und wir konnten damit zufrieden nach Zerbst fahren.

      Es goss immer noch ununterbrochen. In Zerbst angekommen, heizten wir zunächst den Ofen an, um uns erst einmal aufzuwärmen. Gleichzeitig trockneten wir so unsere klammen mitgebrachten Sachen.

      Ein Mittagessen war schnell gekocht. Einen Vorrat an Lebensmitteln hatten wir immer im Haus. Während des Essens lief der Fernseher: die Tagesschau. Nach Langem waren das die neusten Informationen in Wort und Bild.

      Nachdem alle Sachen getrocknet waren und meine Mutti noch neue herausgesucht hatte, machten wir uns erneut auf den Weg nach Lehnin. Der Wetterbericht versprach eine Besserung. Außerdem wollten wir unter diesen Bedingungen unser Zelt nicht länger als nötig unbeaufsichtigt lassen.

      Die Fahrt zurück verlief problemlos. Unser Trabi schnurrte wie eine Eins. So erreichten wir zügig das Ortsende von Lehnin. Bis dahin erlebten wir eine ganz gewöhnliche Autofahrt, eben nur bei Regen. Doch was dann folgte, glich wieder einmal


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