Behindert? - Was soll’s!. Mario Ganß

Behindert? - Was soll’s! - Mario Ganß


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Strom und fließend Wasser mussten wir während unseres Urlaubes verzichten. Kerzen, Petroleum- und Taschenlampen spendeten uns abends Licht. Wasser holten wir in Eimern und Kanistern von einer zentralen Pumpe. Das war eine gewöhnliche Schwengelpumpe. Da war Muskelkraft gefragt.

      Wir kochten auf Petroleumkochern. Es gehörte schon eine gewisse Geschicklichkeit dazu, diese Dinger in Gang zu setzen. Auf diesen Kochern wurde nicht nur das Mittagessen gekocht. Wir brauchten auch viel warmes Wasser fürs Waschen und Abwaschen.

      Als Toiletten dienten auf dem Platz mehrere sogenannte Plumpsklos. Am Tage störte es niemanden, diese zu benutzen, doch nachts vermied man es, dorthin zu gehen, denn es war stockfinstere Nacht. Lichtspendende Lampen wurden erst einige Jahre später aufgestellt. Da es für meine Eltern und Großeltern zu umständlich war, mich jedes Mal auf diese Toiletten zu bringen, benutzte ich ein Töpfchen.

      Unser Zeltplatz lag in einem sehr waldreichen Gebiet mit vielen Seen. Der Kolpinsee war nur wenige Meter von uns entfernt und lud oft zum Baden ein.

      Mein Opa galt als Frühaufsteher. Bei jedem Wetter ging er frühmorgens ins Wasser. Da hielt keiner von uns mit. Wir bevorzugten eher die doch wärmeren Nachmittagsstunden zum Baden.

      Auch ich war eine Wasserratte. Wann immer es ging, wurde ich zum Baden mitgenommen. Der Strand war bestens zum Spielen und Moddern geeignet. Das sagt man in dieser Gegend zum Herumtollen im Schlamm. Wenn Andreas und ich vom Moddern so richtig dreckig waren, hieß es: »Ab ins Wasser«. Dann tobte mein Vater mit uns heftig rum. Wir hatten einen riesigen Spaß dabei. Er warf uns hoch in die Luft, sodass wir klatschend ins Wasser plumpsten. Mindestens eine Rolle vorwärts musste bei jedem Baden dabei sein. Mein Vater griff dann mit seiner einen Hand meine Arme, mit der anderen meine Beine. Anschließend drehte er mich um eine halbe Drehung kopfüber. Dann musste er schnell genug sein und meine Arme und Beine erneut packen, um mich wieder mit dem Kopf nach oben zu drehen. Manchmal griff er auch daneben. Wie viel Wasser ich bei diesen Manövern geschluckt habe, möchte ich gerne einmal wissen. Oft mussten wir eine Pause einlegen, damit ich wieder richtig durchatmen konnte. Doch es dauerte nicht lange und ich sagte: »Noch mal.«

      Mit meinem großen Ungetüm von Rollstuhl, den ich immer noch besaß, konnte man mich auf den unebenen Waldwegen nicht schieben. Oft waren die Wege außerdem sehr versandet. Auch mit dem Sportwagen war es eine Plackerei. Aber wir wussten uns zu helfen. Meine Großeltern hatten noch von früher einen kleinen Handwagen. Wenn die Deichsel zum Ziehen abgeschraubt wurde, passte er sogar ins Auto. Dort nahm er auch nicht sonderlich viel Platz weg, denn auf der Sitzfläche und unter ihm konnten einige Sachen verstaut werden.

      In diesen Handwagen wurde ich gesetzt und über die Waldwege gezogen. Oft hoppelte es ziemlich stark, wenn große Wurzeln die Wege überquerten. Doch dies störte mich wenig. Der Handwagen erwies sich deshalb als das am besten geeignete Fortbewegungsmittel für mich. Bei längeren Spaziergängen konnte ich sogar meinen noch kleinen Bruder auf den Schoß nehmen.

      Die zahlreichen Seen rund um den Zeltplatz und in den sehr großen Wäldern, von denen Lehnin umgeben ist, luden nicht nur zum Baden ein, sondern bedeuteten auch für Angler ein kleines Paradies. Einige Seen entstanden durch den früheren Abbau von Torf. Durch die Naturbelassenheit hatten sie sehr klares und reines Wasser und wurden deshalb oft für die Aufzucht von Fischen genutzt.

      Mein Vater und Opa waren begeisterte Angler. Ein Urlaub in Lehnin ohne Angeln war einfach kein richtiger Urlaub! Oft zogen sie schon in aller Frühe los mit der Begründung: »Früh’s beißen die Fische besser.« Aber auch Nachtangeln fand öfters mit derselben Begründung statt. Welche Zeit nun tatsächlich die beste war, fand ich nie heraus.

      Andreas und ich wollten natürlich auch immer mal von Zeit zu Zeit mit zum Angeln. Doch ständig nur am Wasser zu sitzen und die Rute zu halten, wäre uns zu langweilig geworden. Aber ab und zu einen Fisch aus dem Wasser zu ziehen, das stellte schon ein tolles Erlebnis dar. Für diese Unternehmungen sahen wir oft die Nachmittage vor. Nach dem Mittagsschlaf. Dieser war auch im Urlaub – bis auf wenige Ausnahmen – unerlässlich.

      Oft gingen mein Vater und Opa mit uns Kindern allein. Wenn die Angelstelle nicht allzu weit vom Zeltplatz entfernt lag, zogen wir zu Fuß (ich im Handwagen) los. Es gab aber auch Seen, zu denen wir mit dem Auto fuhren. Man sprach dann von den »besseren« Seen, in denen die Fische besonders gut beißen sollten. An einigen Nachmittagen kamen Mutti und Oma auch mit. Dies erlebten wir dann als einen richtigen schönen Familienausflug, denn wo Oma dabei war, gab es auch immer Kuchen.

      Während die Angelei fertig gemacht wurde, setzte man mich schon auf einen Stuhl ans Wasser. Ich bekam dann meist eine »eigene« Angelrute und konnte es kaum erwarten, sie in den Händen zu halten, was sich aufgrund meiner unkontrollierten Bewegungen als gar nicht so einfach erwies. Bei meinen manchmal stattfindenden Bewegungsausbrüchen hätte es ein Fisch schon vorher mit der Angst zu tun bekommen. Doch das Berühren der Angel mit meinen Händen gab mir das Gefühl, ein richtiger Angler zu sein.

      Es waren oft noch nicht alle Angelutensilien beziehungsweise die Verpflegung ausgepackt, da saß Andreas schon auf dem nächstgelegenen Baum. Für ihn war das Klettern noch reizvoller, als ruhig vor dem Wasser zu sitzen. Auch er hatte ebenfalls seine Angel, die meistens provisorisch für ihn hergerichtet wurde, jedoch seinen Ansprüchen genügte. An einem längeren Stock befestigte man ein Stück Angelsehne mit einem Haken. Dieser wurde mit einem Stückchen Grießklump bestückt. Das erfüllte vollkommen die Zwecke für Andreas. Kaum hatte er die Rute ausgeworfen, lockten schon wieder die Bäume. Was sich an seiner Angel tat, interessierte ihn herzlich wenig. Kurioserweise biss bei ihm immer der erste Fisch. Flugs riefen wir alle: »Andreas, bei dir beißt einer.« Schnell kam er daraufhin angerannt und zog seine Angel mit einem zappelnden Fisch aus dem Wasser. Mein Vater oder Opa half ihm, den Fisch vom Haken zu befreien. Oft war dieser zu klein, um ihn mitzunehmen und so wurde er wieder ins Wasser entlassen. Schnell bestückte man die Rute neu, Andreas warf sie aus und schwups war er aufs Neue verschwunden.

      Ich hielt es dagegen schon länger am Wasser aus. Zur einfachen Handhabung gab man mir in der Regel eine Stipprute, also eine Angel ohne Rolle. Das untere Ende klemmten wir so in die Seitenlehne des Stuhles, sodass ich sie kaum noch selbst zu halten brauchte. Da diese meist länger war, musste ich trotzdem vorsichtig sein, dass die Spitze vorn nicht ins Wasser tauchte. Dies wäre für einen Fangerfolg nicht so günstig gewesen. Mein Vater saß oft neben mir. Manchmal schien die Zeit gar nicht zu vergehen, denn es wollte kein Fisch beißen. Doch wir hatten auch mal Glück. Ein Fisch nach dem anderen zappelte an unseren Ruten. Da ich die Angel nicht allein heraus bekam, half mir mein Vater. Doch im gleichen Augenblick hing bei ihm ebenfalls einer dran. Es gab Momente, da kam mein Vater mit dem Einholen der Ruten gar nicht hinterher. So füllte sich der Setzkescher schnell. Das war für mich natürlich ein Heidenspaß. Sogar Andreas lockte die Neugier dann mal wieder ans Wasser.

      An einem Nachmittag fuhr mein Vater mit mir mal allein ans Waldidyll. Die drei nebeneinander liegenden Seen befanden sich nahe der Autobahn. An diesem Tag hatten wir richtiges Anglerglück.

      Mein Vater angelte mit seiner richtigen Wurfrute und ich mit seiner neuen Stippe. Diese war an die fünf Meter lang. Oft titschte sie mir vorn ins Wasser. Ich hatte Mühe, sie einigermaßen ruhig zu halten. Auf einmal sagte mein Vater: »Pass’ auf, da geht einer dran.« Er übernahm ganz vorsichtig meine Angel. Plötzlich tauchte die Pose unter Wasser. Mein Vater zog ruckartig an. Die Rute bog sich wie ein Flitzebogen. Wir konnten schon erahnen, was da am Haken hing. Mit einer Hand hielt mein Vater, vor Anstrengung zitternd, die Angel, mit der anderen griff er nach dem Fangkescher, der etwas entfernt im Gras lag. Er bekam ihn gerade so zu greifen. Ich konnte ja nichts machen, außer zusehen wie mein Vater sich abmühte. Dann endlich hob er unseren Fang aus dem Wasser, ein kapitaler Karpfen von etwa fünf Kilo.

      Dieser Nachmittag muss ein außergewöhnlich guter gewesen sein, denn das Spielchen wiederholte sich noch zweimal kurz hintereinander.

      An manchen Tagen kam es vor, dass mein Vater und Opa unterwegs waren, um Besorgungen zu machen. Ein Propangaskocher löste in den nächsten Jahren den Petroleumkocher ab. Mit Propangas ließ es sich viel bequemer kochen. Auch konnten wir nun bei Bedarf eine kleine Propangasheizung betreiben. Die Flasche für dieses Gas musste ab und an mal nachgefüllt werden. Da nicht jede Füllstation immer offen hatte,


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