Behindert? - Was soll’s!. Mario Ganß

Behindert? - Was soll’s! - Mario Ganß


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Ungeduld wartete ich auf ihre Entscheidung. Dann, endlich fiel diese! Da ich mich sonst als ein pfiffiges Kerlchen erwies, wollten sie mich, zunächst unter Vorbehalt, doch einschulen. In den S-Klassen sollte ich die Chance und die Zeit erhalten, wenigstens ein kleines Stückchen Lesbares zu Papier zu bekommen. Herr Reimert, mein zukünftiger Klassenlehrer, war relativ zuversichtlich, dass er auf irgendeinem Weg doch eine Lösung finden würde, mir das Schreiben beizubringen.

      So bestand ich also in meinem noch jungen Leben meine erste Prüfung. Meiner Einschulung stand nichts mehr im Weg! Das, wofür meine Eltern so lange gekämpft hatten, sollte nun endlich wahr werden! Fräulein Kleinert nahm mich lächelnd in den Arm und drückte mich ganz fest, sicherlich auch stellvertretend für meine Eltern. Sie erhielten die freudige Nachricht erst einige Tage später in einem Brief. Doch dies tat der frohen Kunde keinen Abbruch.

      Schnell vergingen die übrigen Tage bis zu den Sommerferien. Zurückblickend kann ich sagen, dass sich das eine Jahr in der Vorschule vielleicht als eines der prägendsten in meinem Leben erwies. Musste ich mich hier erstmals mit Kindern meines Alters auseinandersetzen. Außerdem lernte ich, von anderen, vorwiegend fremden Personen, Hilfe anzunehmen. Dies ist nun einmal Voraussetzung, um in einem Leben mit einer Behinderung bestehen zu können und so nicht nur auf wenige vertraute Menschen, zum Beispiel seine Eltern, fixiert zu sein.

      Endlich war es soweit. Meine Eltern reisten an, um mit mir nach Hause zu fahren. Ich freute mich riesig, denn ich wusste, dass wir in diesem Jahr wieder zelten fahren würden. Doch vor der Heimfahrt gab es noch einen kleinen Wermutstropfen. Ich musste mich von meinen Freunden für längere Zeit verabschieden. Diese Trennung überwand ich jedoch sehr schnell, denn ich sollte alle Kinder im kommenden Schuljahr wiedersehen. Allerdings fiel mir der Abschied von Fräulein Kleinert sehr schwer. Schließlich war sie mir in dem einen Jahr ganz besonders ans Herz gewachsen. Sie fand immer tröstende Worte, wenn ich mal wieder Heimweh bekam oder es mir sonst nicht gut ging und sie war für mich schon fast eine Ersatzmutter geworden.

      Letztendlich überwog doch die Freude auf mein Zuhause, nach meinen Großeltern und meinem Bruder. Schnell wurden die Sachen im Auto verstaut und es ging in Richtung Heimat. Acht Wochen verblieben mir, bevor der Ernst des Lebens und somit die Schule für mich beginnen sollte.

       Urlaub auf dem Campingplatz

      In den Ferien unternahmen meine Eltern und Großeltern mit mir und meinem Bruder stets recht viel.

      Schon als Knirps von einem Jahr fuhren meine Eltern mit mir jedes Jahr zum Zelten nach Lehnin. Diese Tradition wurde nun auch in der Ferienzeit beibehalten. Die ersten Jahre kamen meine Großeltern immer noch mit.

      Lehnin ist ein kleines Örtchen im Land Brandenburg, direkt an der A2 gelegen. Bekannt ist dieses vielleicht durch sein Kloster.

      Natürlich kann ich mich nicht an die allerersten Jahre erinnern. Erst etwa ab da, wo Andreas geboren und dann im Sommer mit zum Zelten genommen wurde.

      Jedes Jahr spielte sich etwa drei Wochen vor unserem Urlaub das gleiche Szenario ab. Auf der großen Wiese im Garten meiner Großeltern wurden die Zelte an einem sonnigen Tag aufgebaut. So konnte man sehen, ob alle Teile vom Gestänge und alle Heringe vorhanden waren. Natürlich war ich immer mit von der Partie. Ich krabbelte dann durch das grüne Gras und erkundete jeden Beutel, was da wohl drinnen sei. Manchmal nahm ich mir auch einen Hering und begann, damit Löcher in die Wiese zu bohren. Das bereitete mir ziemlich viel Spaß, wurde mir aber immer wieder bedauerlicherweise untersagt.

      Das Raten begann jedes Mal aufs Neue, wohin welche Zeltstange nun hingehört. Mein Vater und Opa begannen dann auch mal die Stangen zu nummerieren. Doch irgendwie half dies nicht wirklich. Sie tüftelten trotzdem mehrere Stunden, bis die Zeltgerüste standen. Hinterher schien alles ganz einfach und logisch zu sein und sie waren frohen Mutes, der Aufbau der Zelte in Lehnin würde zügig voran gehen.

      Unsere Familie fuhr mehrere Jahre immer für drei Wochen nach Lehnin, meistens im Juli oder August. Schon allein die Fahrt dorthin war beziehungsweise konnte sehr abenteuerlich werden.

      Anfangs besaßen meine Eltern noch kein Auto, sondern nur ein Motorrad. Meine Großeltern fuhren mit ihrem Pkw namens »Trabant« vorne weg und nahmen unser Gepäck mit. Dann kamen wir: mein Vater, meine Mutti und ich. Ja, das ging, zu dritt auf einem Motorrad! Ich saß sozusagen im Sandwich gut geschützt in der Mitte. An manchen Kreuzungen standen damals noch Polizisten, die den Verkehr mit der Hand regelten. Als sie uns drei auf dem Motorrad sahen, schüttelten sie nur lächelnd den Kopf. Was mögen die nur gedacht haben?

      Als Andreas dann mitfuhr, hatten wir auch einen Trabant Kombi. Einen, geschweige zwei Anhänger besaßen wir zunächst nicht. Das Gepäck wurde jedoch von Jahr zu Jahr mehr. Um alles auf einmal weg zu bekommen, klappten wir die Rückbänke der Autos um. So hatten wir bedeutend mehr Stauraum zur Verfügung. Nur war so für meinen Bruder und mich eigentlich kein Platz mehr im Auto. Was heutzutage höchst fahrlässig ist, schien damals problemlos möglich. Mein Bruder fuhr bei meiner Mutti und ich bei meiner Oma vorne mit; und zwar jeweils auf ihrem Schoß sitzend! Ans Anschnallen war in diesen Zeiten noch nicht zu denken, von Kindersitzen ganz zu schweigen.

      Es schien schon etwas kurios, aber jedes Jahr konnten wir regelrecht darauf warten. Am Morgen, als wir von Zerbst losfuhren, begann es wie aus Gießkannen zu schütten. Bei so einem Wetter hätte man keinen Hund vor die Tür gejagt und erst recht wäre man nicht zum Zelten aufgebrochen. Doch die Erfahrung zeigte es: In Lehnin würde die Sonne scheinen! Und so war es auch tatsächlich! Fast jedes Jahr!

      Obwohl Lehnin nur rund 80 Kilometer von Zerbst entfernt liegt und die Fahrt etwas mehr als eine Stunde dauerte, konnte unterwegs viel passieren. Pausen zum Austreten waren ja schon eingeplant. Da hatten wir »unsere« Stelle, an der routinemäßig gehalten wurde. Eine Panne am Auto erwies sich schon als problematischer.

      Am ehesten verstopfte mal eine Zündkerze. Sie selbst zu wechseln, war beim Trabant in der Regel kein Problem. Nur lagen die Reservekerzen und das Werkzeug meistens beim Reserverad. Und das lag unter der Abdeckung im Kofferraum. Um dort ranzukommen, musste dann der halbe Kofferraum leer geräumt werden. Da kam Freude auf! Doch eine Panne am Auto kam Gott sei Dank bei Weitem nicht bei jeder Fahrt vor und wenn, dann ließ uns der bevorstehende Urlaub dies mit einem gewissen Humor nehmen.

      In Lehnin angekommen, brauchten wir nicht lange nach einem geeigneten Zeltplatz zu suchen, denn jeder Camper hatte mit den Jahren schon »seinen« Platz.

      Dann kam die Stunde der Wahrheit: der Aufbau der Zelte! Jetzt konnten mein Vater und Opa beweisen, ob sie sich beim Probeaufbau im Garten alles gemerkt hatten. Für mich hatte man extra ganz oben im Auto einen Klappstuhl bereitgelegt. Auf diesen setzte man mich und ich konnte dem Aufbau der Zelte frohgelaunt zusehen.

      Anfangs schien es perfekt zu laufen. Doch mit jeder Stange, die man aus dem Sack zog, wurde die Unsicherheit größer, wohin diese nun gehöre. Es dauerte, wie schon gewohnt, mehrere Stunden, bis unsere Zelte einzugsfertig dastanden. Meine Mutti und Oma versorgten uns mit vorgeschmierten Schnitten und Getränken und hielten so die Stimmung hoch. Ein Renner war auch Omas selbstgebackener Streuselkuchen. Der schmeckte so lecker, dass sie davon gleich mehrere Bleche backte. Irgendwann standen schließlich die Zelte und konnten eingeräumt werden.

      Die ersten Jahre hatten meine Eltern nur ein sehr kleines Zelt. Trotz der geringen Größe bot es uns Vieren Platz zum Schlafen. Vorn nebeneinander schliefen meine Eltern und mein Bruder auf Luftmatratzen. Im hinteren Teil war etwas Platz, der ursprünglich als Ablagefläche für Gepäck vorgesehen war. Hier stand quer zu den Matratzen meine kleine Liege.

      Andreas besaß die Angewohnheit, nur mit einem Schnuller einzuschlafen. Fiel dieser nachts mal aus seinem Mund und er fand ihn nicht, fing er gleich an zu schreien. Dann mussten beim Schein einer Taschenlampe alle Luftmatratzen hochgenommen und nach dem Schnuller gesucht werden. Erst als Andreas erneut auf diesem herumkaute, war die Nachtruhe wieder hergestellt.

      Gegenüber unserem Zelt stand das meiner Großeltern. Dieses war schon moderner und großräumiger. Es besaß eine separate Schlafkabine und bot auch Platz, um sich mal darin hinzusetzen. Zwischen beiden Zelten spannten wir eine Plane. Unter


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